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# taz.de -- Die Wahrheit: Heile, heile Gänschen
> Zu Besuch bei dem Berliner Heilpuster Frank Scholz, der mit der
> allumfassenden Kraft des Atems sämtliche Krankheiten besiegt.
Bild: Selbst unter Wasser wirkt die Kraft des Heilpustens
„Na, wo tut’s denn weh?“, fragt Frank Scholz seine Patientin. Die
enddreißigjährige Lehrerin für Deutsch und Geschichte hält ihm die rechte
Hand hin. „Ich bin hingefallen und hab mir das Handgelenk verstaucht. Ich
hab’s schon gegoogelt.“
Scholz nickt, ergreift die Hand behutsam und dreht sie vorsichtig hin und
her. Die Patientin zieht hörbar Luft zwischen den Zähnen ein. „Eindeutig“,
diagnostiziert er. „Eine Verstauchung. Das Gelenk ist leicht geschwollen
und tut bei Bewegung weh.“
Dann nimmt er seine Maske ab, holt tief Luft und pustet langsam und
vorsichtig auf das Handgelenk, dreht dabei den Arm hin und her, damit sich
der Atem auch gut verteilt.
Frank Scholz ist gelernter Heilpraktiker, sein Spezialgebiet ist das
Heilpusten. Hier, in seiner gediegenen Altbaupraxis in Berlin-Friedenau,
oben Stuck, unten Fischgrätenparkett, hat er schon so manche gravierende
Krankheit besiegt.
## Lücken in den Alternativen
„Ich habe während meiner Ausbildung erst einmal den klassischen
Allgemeinheilpraktiker-Beruf angestrebt, in der Praxis aber gemerkt, dass
es bei den alternativen Heilmethoden immer noch Lücken gibt. Da habe ich
mich daran erinnert, was meine Großmutter immer gemacht hat, wenn ich mal
hingefallen bin oder mich irgendwo gestoßen habe. Sie hat mich auf den
Schoß genommen und auf die Wunde oder die verletzte Stelle gepustet. Und
dann ging der Schmerz irgendwann auch weg. Und so habe ich mich dann
sozusagen autodidaktisch zum Heilpuster weitergebildet.“
Auf den Schoß nimmt Frank S. seine Patientinnen – tatsächlich sind es
überwiegend Frauen – natürlich nicht. „Die sind ja meist auch viel zu
schwer, und ich bin nicht mehr der Jüngste“, sagt der schmächtige
45-Jährige, dessen blasser Teint an Porzellanblumen erinnert.
„Nein, die setzen sich auf den Behandlungsstuhl oder legen sich auf die
Behandlungsliege und sagen mir, was sie haben, und dann puste ich. Bei
schwereren Verletzungen oder Krankheiten müssen sie natürlich mehrmals
kommen. In Notfällen mache ich auch Hausbesuche.“
Bei Verstauchungen oder Prellungen muss der gebürtige Bietigheim-Bissinger
meist nur einmal pusten, bei blauen Flecken pustet er täglich, bis der
Fleck verschwunden ist. Bei blutenden Wunden muss er allerdings stärker in
Aktion treten, die Behandlung kann sich dann durchaus eine Woche hinziehen.
Von einer Selbstbehandlung zu Hause rät Scholz ab: „Das ist viel zu
gefährlich, da muss ein Fachmann ran, das geht ja um die Gesundheit.“ Schon
gar nichts hält er vom Pusten mit Hilfsmitteln, Luftpumpen oder anderen
technischen Geräten.
„Das wird ja im Moment gerade auf den Homeshopping-Kanälen angeboten, aber
das hat gar keinen Effekt. Pusten muss immer ein Mensch, sonst kommt keine
Energieübertragung zustande. Das ist dann nur heiße beziehungsweise kalte
Luft. Und kann schlimmstenfalls zu weiteren Krankheiten wie Erkältungen
führen.“
Thema Erkältungen. Hilft Pusten auch gegen Grippe oder gar – Corona?
„Selbstverständlich. Wir wissen ja aus der Naturheilkunde, dass sich
Gleiches am besten mit Gleichem behandeln lässt. Corona ist eine
Atemwegserkrankung, was läge da näher, als sie auch mit Atmen zu heilen.“
Scholz pustet noch dreimal kurz auf das Handgelenk seiner Patientin, dann
lässt er die Hand los. Und?, fragen wir sie, ist es schon besser?
„Nein“, meint die Patientin lächelnd, „aber das habe ich nach der ersten
Behandlung auch nicht erwartet.“
„Bei den alternativen Heilmethoden tritt eine Heilung erst nach einiger
Zeit ein“, stimmt ihr Frank Scholz zu. „Pusten ist ja keine Wunderheilung.�…
## Gelenk nicht bepusten
In zwei Tagen soll sie wiederkommen, falls das Gelenk immer noch weh tue,
in der Zwischenzeit wenig bewegen, nicht belasten und ab und zu kühlen, rät
er ihr. „Aber wie gesagt, auf keinen Fall selbst pusten.“
Die Patientin nickt. Früher sei sie in solchen Fällen zum Homöopathen
gegangen.
„Homöopathie“, sagt Scholz und in seiner Stimme klingt Verachtung mit. „…
kann man auch zum Zauberer gehen. Homöopathie ist total wirkungslos,
allenfalls bekommt man Diabetes davon, wegen des ganzen Zuckers. Hatte ich
neulich erst eine Diabetespatientin in der Praxis. Der muss ich jetzt ein
halbes Jahr jeden zweiten Tag auf den Bauch pusten.“
Scholz verabschiedet sich von seiner Patientin und bittet die nächste
herein. Sie hat ein Messer im Rücken stecken.
„O, das tut bestimmt weh“, sagt Scholz mitfühlend, die Patientin nickt
verhalten. „Und das Atmen fällt mir ein bisschen schwer.“ – „Das verst…
ich“, sagt der Heilpuster, „na, dann setzen Sie sich mal und ziehen Sie den
Pullover aus.“
Dann zieht Frank Scholz das Messer aus der blutenden Wunde, holt tief Luft
und beginnt vorsichtig mit kreisenden Bewegungen zu pusten.
4 Nov 2020
## AUTOREN
Michael-André Werner
## TAGS
Heilpraktiker
Gesundheit
Medizin
Religion
Schwerpunkt Coronavirus
Diskriminierung
Polizei
Lobbyismus
Eskalation
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