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# taz.de -- Die Wahrheit: Wie du mir – eskalier!
> Was gibt es Schöneres als die massive Steigerung alles Bisherigen? Besuch
> bei einem erfolgreichen Bremer Eskalationstrainer.
Bild: Kurz vor der Eskalation stehen beide Parteien demonstrativ zur Konfrontat…
Ein junger Mann und drei Polizisten stehen sich gegenüber.
„Guten Tag.“
„Guten Tag.“
„Ihre Papiere mal bitte.“
„Ja, Moment, sofort.“ Der junge Mann nestelt in seiner Jackentasche herum.
„Na, los los. Hopp hopp. Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit.“
„Augenblick, ich hab’s gleich.“
Er wird von dem Beamten mit einem gekonnten Griff in die stabile Bauchlage
gebracht, die Arme auf den Rücken verschränkt.
„Sehr schön“, sagt Hans Pätzold und klatscht in die Hände, „ein bissch…
plump vielleicht, aber – hat ja geklappt.“
Hans Pätzold ist Eskalationstrainer. Er gibt Workshops, vor allem für
Security-Firmen, B-Prominente und die Polizei. „Eskalation ist total
wichtig“, sagt Pätzold. „Das Konzept der Deeskalation aus den neunziger
Jahren hat versagt, vor allem, weil es nur von einer Seite des Konflikts
betrieben wird. Deeskalation ist was für Weicheier, für Warmduscher, für
Tandemhintensitzer. Fakt ist: Wir haben einen Konflikt. Der muss gelöst
werden. Möglichst schnell. Da bietet sich die Eskalation einfach an.
Deeskalation dauert viel zu lange. Ich habe schon welche erlebt, die
dauerten Stunden. Die berühmt gewordene Deeskalation von Hannover 1995 bei
den Chaostagen dauerte drei ganze Tage. Das kostet Nerven, Kraft und Geld.
Eine gute Eskalation hingegen kann ich in wenigen Sekunden aufbauen und in
ein paar Minuten beendet haben.“
## Notfalltruppe für Demos
Heute gibt Pätzold einen Kurs an der Polizeischule Bremen, es sind hier in
der Hansestadt vor allem ältere, gestandene Beamte, die sich fortbilden.
„Na ja, was heißt ‚gestandene‘? Die meisten hier sind Innendienstler, die
jetzt im Notfall zu Demos abkommandiert werden. Die sitzen viel“, witzelt
Pätzold und wird dann sofort wieder ernst. „Eskalation ist vor allem
geeignet, wenn man sich in einer Position der Stärke befindet. Ist man
klein und schwach, sollte man lieber klein beigeben. Nur sehr erfahrene
Eskalateure können eine Eskalation aufbauen, die die stärkere Partei so in
die Ecke drängt, dass sie aufgibt.“
Thesen, die der Bestseller-Autor der Ratgeber „Wie du mir – eskalier!“,
„Von Null auf 100 in 10 Sekunden. Die besten Eskalations-Strategien“ und
„Eskaliert Euch! Neue Eskalations-Strategien“ auch in seinen Büchern
aufstellt. Pätzold fährt fort: „Polizisten sind meist ganz sensible
Kerlchen. Die haben als kleiner Junge schon gesagt: Ich will Polizist
werden. Weil sie anderen helfen wollen, weil sie für Gerechtigkeit sind.
Ein Neunjähriger sagt ja nicht: ‚Wenn ich mal groß bin, will ich jeden Tag
Antifa-Typen und People of Color vermöbeln.‘ Das sagt so ein Neunjähriger
ja nicht. Nur wenn sein Vater Neonazi ist oder bei Springer arbeitet.“
Diesen Einsatzwillen müsse man den Polizisten erst einmal beibringen.
„Klar, die kriegen eine solide Ausbildung“, sagt Pätzold. „Aber da lernen
die ja auch nur, wie herum man den Schlagstock richtig hält, ohne sich zu
verletzen, und dass man nicht in den Lauf einer Pistole schauen soll, wenn
man wissen möchte, ob die geladen ist. Und tanzen und klatschen. Dann
kommen sie auf die Straße und sind erst mal hilflos. Wenn sie groß genug
sind und klettern können, dann holen sie noch Kätzchen aus Bäumen, wenn
nicht, müssen sie die Feuerwehr anrufen.“
Die deutsche Polizei sei völlig verweichlicht, konstatiert Pätzold. In
Preußen hatten die Beamten eine Uniform an, einen Helm und einen
Schlagstock. Wer da in eine Schlägerei kam, wusste, was ihn erwartetet,
auch als Polizist. „Gerade als Polizist“, sagt Pätzold. „Und heute: Übe…
Polster, Arm- und Beinschützer, schusssichere Westen, die Polizisten sehen
ja aus wie Michelin-Männchen, dann noch die Helme mit Visieren, der
preußische Polizist hätte davon geträumt – aber feucht. Man mag sich gar
nicht vorstellen, wie ein Polizist vor hundert Jahren aus dem Einsatz kam.
Heutzutage – wenn sich da ein Beamter mal den kleinen Zeh umknickt, dann
steht es morgen in der Bild als Aufmacher. Wir erinnern uns an Silvester
2019 in Hamburg.“
## Eskalation im Zweiergespräch
Aber um auf der Straße im Umgang mit den mündigen Bürgern zurechtzukommen,
müssten die Beamten eskalieren können. Doch die beste Eskalationsstrategie
sei nichts wert, wenn der Gegner nicht mitmache. Eskalation im
Zweiergespräch sei einfach, bei großen Gruppen werde es schwierig, weil
immer wieder Menschen dabei sind, die keinen Streit wollen und andere davon
abhalten oder einfach weggehen.
„Nicht zuletzt deshalb werden ja bei jeder 1.-Mai-Demo vermummte
Zivilbeamte eingesetzt, um Steine auf uniformierte Beamte zu werfen und die
ganze Sache ein bisschen eskalieren zu lassen. Man kann so einem jungen
Polizisten ja auch nicht zumuten, völlig unprovoziert eine Straße oder ein
Haus zu räumen.“
Pätzold schult die jungen Polizisten in seinen Seminaren so, dass sie sich
automatisch provoziert fühlen, wenn man sie anspricht oder anschaut. „Das
ist wie bei Hunden: Nicht in die Augen schauen, den Blick immer ein
bisschen gesenkt halten.“ Er ruft zwei Polizisten nach vorn, damit sie die
Situation üben: „Ihre Papiere mal bitte.“
„Ja, Moment, sofort.“ Der junge Mann nestelt in seiner Jackentasche herum,
wird von dem Beamten mit einem gekonnten Griff in die stabile Bauchlage
gebracht und mit einem gezielten Beinschuss kooperativ gemacht. Dann
durchsucht der Polizist die Taschen des jungen Mannes und zieht einen
Ausweis heraus.
„Sehr schön“, sagt Hans Pätzold begeistert, „schnell, effektiv, sicher.…
4 Aug 2020
## AUTOREN
Michael-André Werner
## TAGS
Eskalation
Polizei
Demonstration
Heilpraktiker
Polizei
Lobbyismus
Schwerpunkt Überwachung
Schwerpunkt Coronavirus
Schlachthof
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