# taz.de -- Die Wahrheit: Lobbyisten haben keine Lobby | |
> Knut Müller ist Deutschlands Super-Lobbyist. Unermüdlich wirbt er um | |
> Anerkennung – wenn nötig auch an Berliner Imbissbuden. | |
Bild: Schluss mit Barrieren für Lobbyisten, die immer wieder zum Run auf den R… | |
„Politiker haben keine Lobby, besonders Bundestagsabgeordnete nicht!“ Knut | |
Müller spricht laut – so laut, dass sich einige Gäste an den Nebentischen | |
neugierig zu ihm umdrehen. Müller steht mit seinen drei Mitarbeitern an | |
einem Imbiss am Rand des Tiergartens mit Blick auf das Reichstaggebäude. Es | |
ist sonniges Spätsommerwetter, kein Wölkchen trübt den Himmel. | |
„Schauen Sie sich allein die Arbeitsplätze an. Diese kleinen Tischchen, die | |
unbequemen Stühle. Bei der letzten Wahl sind es schon wieder mehr geworden. | |
Über 700 jetzt. Wie eng das da drin ist. Und kein Verband, keine | |
Gewerkschaft, keine Partei, die sich darum kümmert. Dann kommen die | |
Wählerinnnen und Wähler und wollen immer irgendwas: Gleichberechtigung, | |
Homo-Ehe, mehr Hartz IV, gar kein Hartz IV, Umweltschutz, Arbeitsplätze, | |
dass die Wahlversprechen eingehalten werden. Schlimm das.“ Knut Müller | |
schnaubt. „Abgeordnete haben keine Lobby.“ | |
Lobbyisten gibt es hingegen genug. Derzeit sind über 850 eingetragene | |
Vertreter ihrer Zunft im Besitz eines Hausausweises für den Bundestag. | |
„Ja“, strahlt Müller, wir haben eine europaweit einmalige | |
Eins-zu-eins-Betreuung als Abgeordnete. Aber das kostet Geld. Und wenn es | |
bei der nächsten Wahl noch mehr Abgeordnete gibt, brauchen wir noch mehr | |
Lobbyisten. Ein Teufelskreis“, seufzt der 53-jährige Hannoveraner mit dem | |
lichten Haar. Er ist selbst Lobbyist. Aber nicht irgendeiner – er ist der | |
Lobbyist der Lobbyisten. Im aktiven Lobbygeschäft kaum noch tätig, berät er | |
mittlerweile andere Lobbyisten. Seine German School of Lobbyism wird Anfang | |
nächsten Jahres eröffnet, Träger ist der Verband deutscher Lobbyisten, den | |
er vor zwei Jahren gegründet hat. | |
„Lobbyisten“, sagt Knut Müller, „haben ja selbst keine Lobby. Lobbyisten | |
werden angefeindet in der Öffentlichkeit und in den Medien.“ Kritische | |
Stimmen meinen, Lobbyisten seien die eigentliche Regierung, Politik werde | |
von Lobbyisten gemacht, nicht von Parteien oder Politikern. | |
„Das ist Unsinn“, sagt Knut Müller und lächelt. „Das sind Klischees von | |
anno dunnemals. Der Lobbyist heutzutage ist Ideengeber, Anreger, | |
Transmissionsriemen, Influencer, um einmal die Sprache der jungen Leute | |
aufgreifen. Junge Leute übrigens, die keine Lobby haben in unserem Land. | |
Kinder – ja. Kinder haben eine Lobby. Hatten sie früher nicht, da hieß es | |
noch: Kinder haben keine Lobby. Hab ich erfunden, den Spruch.“ Müller rückt | |
seine randlose Fensterglasbrille zurecht. „Und jetzt hat jede Partei einen | |
kinder- oder familienpolitischen Sprecher. Es gibt den Kinderschutzbund, | |
das Kinderhilfswerk, es gibt Nachrichten und Zeitschriften für Kinder, es | |
gibt ein Fernseh- und ein Radioprogramm. Selbst die Bild hat ein Herz für | |
Kinder, und die ist bekanntlich herzloser als die Leichenkammer im Keller | |
des Herzzentrums München. Aber Jugendliche haben keine Lobby. Und dagegen | |
müssen wir was tun.“ | |
Er wirft einen Blick über den randlosen Brillenrand zu seinen Assistenten, | |
die fleißig alles mitschreiben. „Lobbyismus“, stellt der Oberlobbyist fest, | |
„Lobbyismus ist harte Arbeit. Lobbyisten sind wie Soldaten, die kämpfen | |
jeden Tag hart und kriegen meist zu wenig Sold. – Nein, noch besser, | |
Lobbyisten sind wie Hebammen“, kommt Müller eine Idee. „Hebammen haben | |
keine Lobby. Schreiben Sie das mit. Eigentlich müsste jede schwangere Frau | |
ein gesetzliches Anrecht auf eine Hebamme haben. Lobbyisten sind sozusagen | |
Hebammen für politische Ideen. Hebammen gehören ins Grundgesetz. – Oder | |
Rechte“, fährt er zusammenhanglos fort. „Rechte hatten bis vor zehn Jahren | |
keine Lobby. Da hat sich ein Kollege drum gekümmert. Jetzt sitzen sie in | |
jeder Partei – sogar in der AfD. Den Betroffenen fehlt da oft das | |
Bewusstsein dafür, dass sie überhaupt betroffen sind. Dann gründen wir | |
schnell einen Verein oder Verband. Da springt dann meist noch die | |
Werbeindustrie ganz schnell auf oder Medienunternehmen. Wie bei Tegel. Der | |
Flughafen hatte bis vor drei Jahren keine Lobby. Alle haben Tegel gehasst. | |
Zu laut, zu schlecht angebunden, zu hässlich, zu klein. Da hat ein Kollege | |
von mir eingegriffen. Zack, hatte der die FDP, Ryanair und die | |
Springerpresse als Partner, dann wurde der BER noch schnell runtergemacht | |
und schon ist Tegel der zentralste, praktischste und schönste Flughafen | |
Deutschlands.“ | |
Langfristig will Knut Müller den Lobbyismus allerdings überflüssig machen. | |
„Statt 700 Abgeordnete und 850 Lobbyisten“, erklärt er uns enthusiasmiert, | |
„könnten wir 500 Politik-Lobby-Hybriden haben. Politiker, die gleichzeitig | |
Lobbyisten sind, oder umgekehrt. Polobisten. Oder Lobboitiker. Am Branding | |
müssen wir noch arbeiten. Jedenfalls entwickeln wir gerade einige Polobs | |
mit einem großen Pharmakonzern. Zwei Modelle haben wir schon, den Andi | |
Scheuer und ganz neu bei uns das Modell Amthor. Der muss allerdings noch | |
ein bisschen nachreifen. Vorteil ist, dass diese Hybriden nicht mehr | |
gewählt werden müssen. Die großen Konzerne stellen ihre Polobs einfach dem | |
Bundestag kostenlos zur Verfügung – einfach alle vier Jahre, je nachdem, wo | |
die Konzerne gerade im Dax stehen. Dadurch kann viel direkter regiert | |
werden, nicht über den Umweg der Politik, die die meisten ja eh langweilig | |
finden.“ | |
Knut Müller streckt sich. Zum Abschied überreicht er allen Umstehenden am | |
Imbiss ein kleines, buntes Heftchen. „Lobby ist …“ steht auf dem Titel. | |
„Kennen Sie noch diese kleinen Cartoons, die früher in der Zeitung waren, | |
diese ‚Liebe ist …?‘ Dieses meist splitternackte Kinderpärchen – so was | |
machen wir jetzt auch. Bei uns sind es ein kleiner nackter Lobbyist und ein | |
kleiner nackter Abgeordneter. Das wird lustig.“ | |
7 Sep 2020 | |
## AUTOREN | |
Michael-André Werner | |
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