| # taz.de -- Die Wahrheit: Vertrauensbildende Abreibung | |
| > Deutschlands Ordnungshüter haben schon wieder ein Problem: Eine neue | |
| > Imagekampagne der Polizei gerät an ihre Grenzen. Bloß an welche? | |
| Bild: Immer im Einsatz für ihr Image: die Polizei | |
| Es läutet an der Tür. Ich öffne. Draußen stehen zwei Uniformierte in | |
| Dunkelblau. | |
| „Guten Tag, Herr … ähm …“, der Polizist rechts von mir schaut auf mein | |
| Klingelschild, „… Werner. Legen Sie sich bitte auf den Boden.“ | |
| „Was? Wieso?“ | |
| „Auf den Boden!“, wird sein Ton nun ein wenig harscher. „Der Kollege hilft | |
| ihnen mal eben.“ | |
| Und ehe ich es mich versehe, hat mich der Kollege, der mir als | |
| Polizeiobermeister Müller vorgestellt wird, professionell auf den Bauch | |
| gelegt, dann werden meine Arme hinter meinem Rücken verschränkt und | |
| fixiert. Schließlich setzt sich POM Müller auf meinen Rücken. | |
| „So, Herr … ähm …“, wieder schaut der andere Polizist, der sich als | |
| Polizeioberkommissar Schneller vorstellt, aufs Klingelschild, „… Werner. | |
| Wir möchten mit Ihnen über Gott sprechen.“ | |
| „Was?“, ächze ich. | |
| „Kleiner Scherz“, sagt POK Schneller, „wir kommen in einer ernsten | |
| Angelegenheit.“ | |
| „Ist was passiert?“, frage ich erschrocken. | |
| „Natürlich ist was passiert, lesen Sie denn keine Zeitung? Oder Internet? | |
| Jeden Tag passiert was. Zum Beispiel diese schlimmen Vorfälle …“ | |
| „… in Moria, meinen Sie?“ | |
| „… in NRW, wo die Kollegen zu Unrecht in ein völlig schlechtes Licht | |
| gerückt wurden.“ | |
| „Sie meinen den strukturellen Rassismus bei der nordrhein-westfälischen | |
| Polizei?“ | |
| „Sehen Sie, genau das meine ich. Der unterstellte Rassismus, der ja | |
| eigentlich nur ein Missverständnis ist. Diese ganzen vorgeblich | |
| rechtsextremistischen Vorfälle und rassistischen Übergriffe – das ist alles | |
| ironisch gemeint. Sie wissen doch, dass Rassismus und Diskriminierung bei | |
| uns keinen Platz hat. Wir als Polizei wollen – nein, wir müssen der | |
| Gesellschaft einen Spiegel vorhalten. Mit ironischen und satirischen | |
| Mitteln.“ | |
| „Und was hat das jetzt mit mir zu tun?“ | |
| „Das hat mit allen zu tun. Die Deutschen verlieren das Vertrauen in die | |
| Polizei. Aber der Präsident des Bundeskriminalamtes hat jetzt angekündigt, | |
| dass das Volk sein Vertrauen in die Polizei wiedererlangen soll. Und | |
| deswegen sind wir heute hier, um Ihnen dabei zu helfen, ihr Vertrauen in | |
| die Kollegen der Polizei wiederherzustellen.“ | |
| „Und Kolleginnen …“ | |
| „Hahaha, die Scherze mache ich hier. Wir kriegen jetzt alle eine | |
| Fortbildung in Humor und Satire. Ende 2021 wird es in Deutschland 250.000 | |
| Comedians und Kabarettisten geben. Was denken Sie, wie lustig das heute | |
| schon bei uns auf den Wachen ist. Und was glauben Sie, was für Scherze die | |
| Kollegen vom Geheimdienst erst so drauf haben? Ist leider geheim. Aber | |
| jetzt starten wir gerade eine Satirezeitschrift. Möchten Sie die | |
| abonnieren?“ | |
| POM Müller verlagert sein Gewicht ein wenig auf meinen Brustkorb. Neben | |
| meinen Kopf klatscht ein Heft auf den Fußboden. Zum Schießen steht auf der | |
| Titelseite. | |
| „Wir lassen Ihnen mal ein Ansichtsexemplar da“, sagt POK Schneller. | |
| „Das sind ja Drückermethoden …“, japse ich. | |
| POM Müller auf meinem Rücken lacht. | |
| „Ich hab doch gesagt, dass ich die Scherze mache. Ich bin zertifizierter | |
| Satire-POK. Aber wir kommen vom Thema ab“, sagt POK Schulz, „steigt Ihr | |
| Vertrauen in uns denn schon?“ | |
| „Ich glaube nicht“, antworte ich stöhnend. | |
| POM Müller erhebt sich kurz, wobei er sich auf meinen Armen abstützt. Dann | |
| kniet er sich auf den Rücken und stellt ein Bein in meinen Nacken. | |
| „Ist es so besser?“, fragt POM Müller. | |
| „Schauen Sie“, sagt POK Schneller, „wir behandeln doch alle Bundesbürger | |
| gleich. Wären wir rassistisch, dann wären sie gerade eine Person of Color. | |
| Sind Sie aber nicht. Also sind wir keine Rassisten. Ich hoffe, Sie sind | |
| soweit von unserer Vertrauenswürdigkeit überzeugt. Wenn Sie das bitte | |
| unterschreiben würden.“ | |
| POK Schneller lässt sich von POM Müller meine rechte Hand reichen und | |
| drückt mir einen Stift hinein, neben meinem Gesicht liegt nun ein Formular. | |
| „Was ist das?“ | |
| „Das ist die Bestätigung, dass wir bei heute Ihnen waren und ein | |
| Vertrauensbildungsgespräch geführt und erfolgreich abgeschlossen haben. Und | |
| dass Sie an keinen Herz- oder Kreislaufbeschwerden leiden. Und ein | |
| Blankogeständnis.“ | |
| „Das unterschreibe ich nicht.“ | |
| „Wieso, das kann man immer mal brauchen. Nein, Scherz, das ist kein | |
| Blankogeständnis. Und die Bestätigung kann ich gern für Sie | |
| unterschreiben.“ | |
| Er nimmt das Formular wieder weg, ich höre einen Stift kritzeln. POM Müller | |
| hilft mir wieder auf die Beine und knallt dabei meine Stirn an den | |
| Türrahmen. | |
| „War das auch ironisch?“, frage ich, während ich mir die schmerzende Stelle | |
| am Kopf reibe. | |
| „Mein Gott, sind Sie humorlos“, sagt POK Schneller. „Da haben wir noch | |
| einiges zu tun in Deutschland. Schönen Tag noch.“ | |
| Als ich die Tür schließe, lachen die beiden. Dann klingeln sie nebenan bei | |
| dem Studenten aus Ghana. | |
| 9 Oct 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael-André Werner | |
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