# taz.de -- Internationale Justiz und Russland: Tolerant gegenüber Folter | |
> Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt Russland wegen | |
> Verletzungen von Menschenrechten nach dem Südossetienkrieg 2008. | |
Bild: Zerstörter Kindergarten im georgischen Gori, 80 Kilometer von der Haupts… | |
FREIBURG taz | Russland hat nach dem Südossetienkrieg 2008 | |
Menschenrechtsverletzungen an georgischen ZivilistInnen und SoldatInnen | |
„offiziell toleriert“. Dies stellte der Europäische Gerichtshof für | |
Menschenrechte (EGMR) in Straßburg fest und verurteilte Russland auf Klage | |
von Georgien. Ob und wie viel Entschädigung Russland zahlen muss, wird erst | |
später entschieden. | |
Südossetien ist ein Gebiet mit rund 50.000 EinwohnerInnen im Norden von | |
Georgien. Sein Status ist umstritten. Georgien hat die von Russland | |
unterstützte Abspaltung nie akzeptiert. [1][Südossetien] versteht sich als | |
selbständiger Staat, den aber nur fünf anderen Staaten, darunter Russland, | |
anerkennen. | |
Im zweiten südossetischen Krieg griff die georgische Artillerie im August | |
2008 die südossetische „Hauptstadt“ Zchinwali an, angeblich um einem | |
russischen Angriff zuvorzukommen. Russland schlug die georgischen Truppen | |
aber schnell zurück und besetzte bis Oktober 2008 sogar Teile Georgiens. | |
Georgien rief schon 2008 den EGMR an und verklagte Russland wegen | |
Menschenrechtsverletzungen während und nach den Kämpfen. 2011 ließ der | |
Gerichtshof die Klage zu, aber erst [2][im Mai 2018 kam es zur mündlichen | |
Verhandlung]. Bis zu einem Urteil vergingen nun erneut zweieinhalb Jahre. | |
## Heikles Verfahren | |
Es war offensichtlich eines der heikelsten Verfahren, das der EGMR je | |
durchzuführen hatte. Der Straßburger Gerichtshof hat nichts mit der EU zu | |
tun, sondern ist Teil des Europarats, zu dem 47 Staaten gehören, inklusive | |
Russland, die Türkei und die Schweiz. | |
Der EGMR entschied nun, dass die georgische Klage teilweise unzulässig ist, | |
soweit sie Vorkommnisse während der Kämpfe betrifft. In dieser Phase des | |
Krieges habe Russland keine Hoheitsgewalt über Südossetien und die | |
Pufferzone ausgeübt. Deshalb sei die Europäische Menschenrechtskonvention | |
während jener Tage nicht anwendbar gewesen. Dieser Teil des Urteils war in | |
der Großen Kammer des Gerichts am umstrittensten. Sechs der 17 RichterInnen | |
waren anderer Meinung. | |
Große Einigkeit bestand aber darüber, dass Russland nach Abschluss eines | |
Waffenstillstands in der Region Hoheitsgewalt hatte. Russland wurde daher | |
auch für Handlungen der südossetischen Behörden und Milizen verantwortlich | |
gemacht. Die russische Armee habe menschenrechtswidrige Handlungen der | |
SüdossetInnen „offiziell toleriert“, sie habe trotz teilweiser Anwesenheit | |
nicht interveniert, die Vorgänge nicht untersucht und die AkteuerInnen | |
nicht bestraft. Das Urteil fiel insoweit mit 17:0 oder 16:1 Richterstimmen. | |
Konkret ging es um das Niederbrennen und Plündern von georgischen Häusern, | |
die Folter georgischer Kriegsgefangener und die zweiwöchige Internierung | |
von 160 Älteren und Frauen im Keller des südossetischen Innenministeriums | |
unter menschenunwürdigen Umständen. | |
## Verhinderte Rückkehr | |
Auch die verhinderte Rückkehr von vertriebenen ethnischen GeorgierInnen in | |
ihre Dörfer in Südossetien wertete der EGMR als Verletzung der | |
Menschenrechtskonvention. Die Vertreibung bestand zum Zeitpunkt der | |
mündlichen Verhandlung im Mai 2018 noch fort. An diesem Punkt könnte sich | |
auch zeigen, inwieweit Russland konstruktiv an einer Umsetzung des Urteils | |
mitwirkt. | |
Üblicherweise verurteilt der EGMR einen Staat, der die Menschenrechte | |
verletzt hat, zur Entschädigung der Betroffenen. In diesem Fall befand der | |
EGMR die Entschädigungsfrage aber für noch nicht entscheidungsreif. Die | |
Festlegung einer Entschädigung kann Jahre dauern. Az.: 38263/08 | |
21 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Russische-Grenze-in-Suedossetien/!5617934 | |
[2] /Klage-Georgiens-gegen-Russland/!5505530 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
## TAGS | |
Russland | |
Georgien | |
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte | |
Bidzina Iwanischwili | |
Whistleblower | |
Russland | |
Russland | |
Russland | |
Russland | |
Georgien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Krise in Georgien: Zack, weg war er | |
Der Regierungschef Giorgi Gakharia tritt zurück. Es geht um den Umgang mit | |
dem Chef der Oppositionspartei. Dem droht die Festnahme. | |
Straßburger Gerichtshof zu Whistleblower: Erst Akten lesen, dann anzeigen | |
Wann darf der Arbeitnehmer zum Whistleblower werden? Die Straßburger | |
Richter haben dies im Fall eines deutschen Arztes klargestellt. | |
Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs: Signal an Russland | |
Ein Gericht stellt Menschenrechtsverletzungen durch Russland im | |
Georgien-Krieg fest. Sonderlich ernst nimmt das Land die Urteile aus | |
Straßburg nicht. | |
Russische Grenze in Südossetien: Die stille Eroberung | |
Russland weitet seine Grenze Stück für Stück in georgisches Staatsgebiet | |
aus. Eine Beobachtungsmission der EU ist vor Ort, darf aber nicht handeln. | |
Debatte Zehn Jahre nach Kaukasuskrieg: Die Angst vor dem Russen | |
Vor zehn Jahren tobte der „Augustkrieg“ zwischen Russland und Georgien – | |
mit dramatischen Folgen für das kleine Kaukasusland. | |
Klage Georgiens gegen Russland: Richter entscheiden über Kriegsgräuel | |
Zehn Jahre nach dem Krieg um Südossetien versucht der Europäische | |
Gerichtshof für Menschenrechte eine Aufarbeitung. Der Ausgang ist unklar. | |
Grenzkonflikt in Georgien: Plötzlich ein Zaun | |
Ob Südossetien ein Staat ist oder zu Georgien gehört, darüber herrscht | |
Streit. Ein deutscher Ex-Soldat versucht vor Ort, neuen Krieg zu | |
verhindern. |