# taz.de -- Debatte Zehn Jahre nach Kaukasuskrieg: Die Angst vor dem Russen | |
> Vor zehn Jahren tobte der „Augustkrieg“ zwischen Russland und Georgien – | |
> mit dramatischen Folgen für das kleine Kaukasusland. | |
Bild: Georgische Beamte an der Grenze zur abtrünnigen Region Südossetien | |
Russlands Regierungschef Dmitri Medwedjew wandte sich kürzlich an seine | |
georgischen Nachbarn – und das in aller Deutlichkeit: Sollte Georgien der | |
Nato beitreten, könnte das zu einem neuen schrecklichen Konflikt führen. | |
Die Pläne der Allianz, Tbilisi eine Mitgliedschaft anzubieten, seien | |
absolut unverantwortlich und eine Bedrohung für den Frieden, sagte er dem | |
Radiosender Kommersant FM. | |
Eben jener Medwedjew war 2008 Präsident der Russischen Föderation, als der | |
seit Langem schwelende Konflikt zwischen den Staaten in jenem August in | |
einen Krieg um die von Georgien abtrünnige Republik Südossetien mündete. | |
Nach wie vor geben sich beide Seiten die Schuld an dem Ausbruch der | |
bewaffneten Auseinandersetzungen, die knapp 1.000 Menschen das Leben | |
kostete und Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR zufolge 160.000 zu | |
Flüchtlingen machte. | |
Zumindest so viel steht fest: Georgiens damaliger Staatschef Michail | |
Saakaschwili gab am 7. August 2008 den Befehl zum Angriff auf Südossetiens | |
Hauptstadt Zchinwali – mit dem Ziel, die Kontrolle über die Minirepublik | |
wiederzuerlangen. Das passierte nicht zuletzt in völliger Verkennung der | |
politischen Realitäten. Die USA – zum damaligen Zeitpunkt in Georgien schon | |
länger engagiert – würden der Südkaukasusrepublik militärischen Beistand | |
leisten. Auch Russland hatte sich lange vorher auf diesen Fall vorbereitet. | |
Das zeigte nicht zuletzt der Umstand, dass russische Soldaten und | |
Paramilitärs bereits am 8. August durch den Roki-Tunnel von Nord- nach | |
Südossetien einrückten. Nach fünf Tagen endete der Krieg, der mit | |
schwersten Menschenrechtsverbrechen einherging, mit einer Niederlage | |
Georgiens. | |
Am 14. und 15. August unterzeichneten beide Seiten einen | |
Waffenstillstandsplan. Zwischenzeitlich waren russische Truppen bis weit | |
ins Innere Georgiens vorgerückt und standen circa 40 Kilometer vor Tbilisi. | |
Dort demonstrierten verzweifelte Menschen mit Slogans wie „Prag 1968, | |
Tbilisi 2008!“. Alte Menschen saßen auf gepackten Koffern, um rechtzeitig | |
die Flucht ergreifen zu können, sollte der „Russe“ die Hauptstadt | |
einnehmen. Journalisten, die aus Stalins Geburtsstadt Gori, die ebenfalls | |
kurzzeitig besetzt war, berichten wollten, wurden daran gehindert. | |
## Georgien traumatisiert | |
Heute, zehn Jahre danach, ist das Erbe dieser Ereignisse, die weite Teile | |
der georgischen Gesellschaft nachhaltig traumatisiert haben, allerorten | |
spürbar. Zwanzig Prozent seines Territoriums (neben Südossetien auch die | |
zweite abtrünnige Republik Abchasien) hat Georgien, das mit einer Größe von | |
69.700 Quadratkilometern etwas kleiner als Bayern ist, auf unabsehbare Zeit | |
verloren. Armselige, provisorische Flüchtlingsunterkünfte in Georgien sind | |
zu Dauereinrichtungen geworden, beispielsweise die Siedlung Zerowani, rund | |
30 Kilometer von Tbilisi entfernt. | |
Hinzu kommt, dass die Russen – die immer noch in Südossetien militärisch | |
präsent sind – unter ständiger Verletzung des Waffenstillstands der mit | |
Stacheldraht und Zäunen gesicherten faktischen Grenze zwischen Georgien und | |
Südossetien „Beine machen“. Das meint nichts anderes, als dass sich die | |
Demarkationslinie langsam aber stetig immer weiter ins Landesinnere | |
Georgiens verschiebt. Fast wöchentlich werden georgische Bauern | |
festgenommen, die weggelaufenes Vieh wieder einfangen wollen und dabei die | |
„Grenze“ übertreten. Offizielle Stellen sprechen allein für 2017 von 126 | |
derartigen Fällen. Im vergangenen Februar wurde ein georgischer | |
Gemüseverkäufer in einem südossetischen Gefängnis zu Tode gefoltert. Es | |
brauchte mehrere Wochen diplomatischer Verhandlungen, bis der Leichnam den | |
Angehörigen überstellt wurde. | |
Dieser fortdauernden Machtdemonstration Moskaus setzt Tbilisi | |
gebetsmühlenartig sein Credo einer Integration in die Nato und die | |
Europäische Union entgegen. So verständlich der Wunsch der georgischen | |
Regierung sowie der Mehrheit der Bevölkerung nach einem Nato-Beitritt sein | |
mag – eine Option ist er derzeit nicht. Davor ist nicht nur Russlands | |
Regierung, deren Drohungen durchaus ernst zu nehmen sind, sondern auch | |
US-Präsident Donald Trump, der Außenpolitik nach dem Motto betreibt: „Was | |
interessiert mich mein Geschwätz von gestern.“ | |
So fand er unlängst nichts dabei, Artikel 5 des Nato-Vertrags, der den | |
Bündnisfall regelt, infrage zu stellen. Als Beispiel musste Montenegro | |
herhalten, das seit 2017 Mitglied der Nato ist. Dort lebten gefährliche | |
Menschen, weshalb der Balkanstaat zum Auslöser eines dritten Weltkrieges | |
werden könnte, halluzinierte Trump. | |
## Wunschtraum EU | |
Auch eine Aufnahme in die EU dürfte – nicht zuletzt wegen zahlreicher | |
hauseigene Probleme der Union – noch lange Wunschtraum bleiben. Zwar wird | |
Brüssel nicht müde, die territoriale Integrität und Souveränität Georgiens | |
zu beschwören und Russland dazu aufzufordern, die Anerkennung der | |
Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens zu revidieren. Doch in der | |
Praxis bleibt der zivilen europäischen Beobachtermission EUMM nichts | |
anderes übrig, als den Rechtsverstößen Russlands an der Grenze zu | |
Südossetien, die sie akribisch dokumentiert, tatenlos zuzusehen. | |
So sollte sich Georgien auf seine eigenen Stärken besinnen. Da gibt es so | |
einiges auf der Habenseite. Immerhin hat das Land, das nach den Wahlen von | |
2012 als einziges in der Region einen gewaltfreien Machtwechsel hinbekommen | |
hat, in Sachen Korruptionsbekämpfung und Justizreformen Fortschritte | |
vorzuweisen. Das honorierte die EU 2017 mit der Gewährung von Visafreiheit. | |
Auch im Verhältnis zu Südossetien und Abchasien scheint Kreativität | |
allmählich die Oberhand zu gewinnen. „Ein Schritt in eine bessere Zukunft“, | |
heißt eine neue Strategie der Regierung, die den Handel mit den beiden | |
Republiken fördern und jungen Menschen von dort Bildungsangebote machen | |
will. Das Konzept Softpower einzusetzen, könnte aufgehen – wenngleich nicht | |
mit kurzfristigen Erfolgen zu rechnen ist. Denn dem hat Russland nichts | |
Gleichwertiges entgegenzusetzen. | |
14 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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