# taz.de -- Betriebsratschef über Thalia-Buchläden: „Windige Tricks“ | |
> Die Buchhandelskette Thalia steigt aus dem Tarifvertrag aus und entledigt | |
> sich des Betriebsratschefs. Ob das korrekt war, werde nun geprüft. | |
Bild: Thalia gilt als Marktführer im klassischen Buchhandel in Deutschland | |
taz: Herr Sielemann, die Buchkette Thalia hat erklärt, ihre Berliner | |
Gesellschaft aufgespalten und in zwei Betriebe überführt zu haben. Was | |
bedeutet das? | |
Thomas Sielemann: Wir waren bisher im Großraum Berlin mit 13 Filialen am | |
Start; die Gesellschaft nannte sich Thalia Buchhandlung Berlin GmbH & Co | |
KG. Dazu gibt es noch fünf andere Thalia-Buchhandlungen in der Region, die | |
bereits länger in einer anderen Unternehmensklammer zusammengefasst waren. | |
Mit denen hatten wir als Betriebsrat und Kolleginnen schon jetzt nichts zu | |
tun. Nun wurden wir am 5. Januar informiert, dass man den Betrieb | |
auseinanderdividiert und rückwirkend zum Jahresbeginn zwölf Filialen an | |
einen anderen Rechtsträger übertragen habe: die Thalia Buchhandlung Nord | |
GmbH. Nur eine Filiale habe man an einen ehemaligen Manager übertragen. | |
Der möchte gerne ausprobieren, wie man daraus ein Franchisemodell machen | |
könnte. Das ist die Filiale in Spandau. | |
Warum die? | |
Tja, Thalia hat 350 Filialen in Deutschland und Österreich, die meisten in | |
Deutschland – und ausgerechnet die eine Filiale, wo der | |
Betriebsratsvorsitzende, nämlich ich, beheimatet ist, hat man sich für das | |
Franchiseprojekt ausgesucht. | |
Waren Sie als Betriebsrat Ziel der Aktion, weil Sie so unbequem waren? | |
Davon gehe ich aus. Als Thalia vor zwei Jahren schon mal aus der | |
Tarifbindung rauswollte, hatten wir eine ziemlich kämpferische | |
Betriebsversammlung. Deswegen haben sie das damals gelassen. Ich bin auch | |
Vorsitzender der Ver.di-Tarifkommission Einzelhandel in Berlin. Da wissen | |
sie natürlich über meine Gewerkschaftsorientierung Bescheid. Und, ja: Die | |
Vermutung liegt auf der Hand, dass die Ausgliederung von Spandau mit mir zu | |
tun hat. | |
Was bedeutet das Ganze für die Beschäftigten? | |
Bei so einem „Betriebsübergang“ tritt der neue Inhaber grundsätzlich in d… | |
Rechte und Pflichten des alten sein. Daher haben wir ein Jahr lang einen | |
Schutz, dass sich unsere Arbeitsbedingungen nicht verschlechtern, wir nicht | |
weniger Geld bekommen, andere Arbeitszeiten etc. Allerdings stehen im | |
Sommer im Einzelhandel wieder Tarifverhandlungen an, und alles, was dabei | |
herauskommt, wird an den Berliner MitarbeiterInnen – nicht nur in Spandau – | |
vorbeigehen. Eine Erhöhung im Tarifvertrag müssen die beiden neuen Firmen | |
nicht mehr zahlen. | |
Mit dem Betriebsübergang sind die Berliner Filialen nun aus dem | |
Tarifvertrag raus? | |
Ja. Die MitarbeiterInnen können sich jetzt zwar noch einen Monat lang | |
überlegen, ob sie mit in die neuen Unternehmen, in Spandau das von diesem | |
Gerald Winter oder in die andere neue Thalia-Gesellschaft, wechseln wollen. | |
Wenn sie nicht wollen, bleibt das Arbeitsverhältnis mit dem alten | |
Arbeitgeber bestehen. Aber der hat ja nun keine Filialen mehr. Darum hat er | |
offen angekündigt, dass er in diesem Fall betriebsbedingte Kündigungen | |
aussprechen müsste. | |
Der Sinn der Sache war also, aus dem Tarifvertrag auszusteigen? | |
Das war das erklärte Ziel. Thalia wird ja im Moment von McKinsey beraten. | |
Angeblich sollten die zwar nur in den Zentralstandorten eingesetzt werden, | |
um dort Effizienzvorschläge zu machen. Inzwischen gehen wir aber davon aus, | |
dass so ein „Beifang“ wie die relativ geschmeidige Abschaffung von | |
schützenden Tarifverträgen und die kostengünstige Entsorgung des | |
Betriebsratsvorsitzenden von Berlin mit dem Beratungshonorar abgegolten | |
war. Denn ganz ehrlich: Thalia war bisher kein Unternehmen, in dem man | |
nicht vorher miteinander geredet hätte. | |
Dann war das eine Überraschung für Sie? | |
So gesehen, ja – und ich bin seit 30 Jahren im Unternehmen, seit 26 Jahren | |
Betriebsrat! Wir haben trotz vieler Differenzen immer vorher geredet, wenn | |
etwas anstand. Bemerkenswerterweise hat das auch geklappt, als Thalia noch | |
einer „Heuschrecke“ gehörte, dem Private-Equity-Unternehmen Advent. Erst | |
seit man sich als inhabergeführtes Familienunternehmen geriert, fängt es | |
mit den windigen Tricks an. | |
Ist diese Aufspaltung und Tarifflucht überhaupt rechtmäßig, oder kann man | |
das noch aufhalten? | |
Das versuchen wir, und das ist jetzt Gegenstand einer juristischen Prüfung. | |
Wir sind inzwischen auch bei der sogenannten Einigungsstelle, wo wir über | |
einen nachträglich zu schließenden Interessenausgleich verhandeln. | |
Eigentlich wollte die Geschäftsführung da drum herumkommen, aber wir haben | |
sie dazu gebracht. Jetzt reden wir vor einem Arbeitsrichter. Hoffentlich | |
kommen wir noch zu einer Lösung, ansonsten muss es juristisch laufen. Das | |
ist schlimm, denn die Leute sind ohnehin gerade sehr verunsichert. Wir sind | |
ja mitten in der Pandemie und in der Kurzarbeit – und da legt uns die Firma | |
so ein Ei ins Nest! | |
Wieso Kurzarbeit? Die Buchhandlungen sind [1][doch trotz Lockdown | |
geöffnet]. | |
Unsere Filialen sind in Berlin überwiegend in Einkaufscentern – und da | |
macht sich der Lockdown mit den Geschäftsschließungen schon bemerkbar. Die | |
Kundenfrequenz und der Umsatz sind gesunken. Darum hat man sich auf weniger | |
Öffnungszeiten und Kurzarbeit geeinigt. | |
15 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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