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# taz.de -- Buchhandel und Corona: Bücher sind doch Lebensmittel
> Buchläden zählen in Berlin zu den unverzichtbaren Geschäften. Wohl auch
> deswegen ist die Stimmung unter den Buchhändler:innen kämpferisch.
Bild: Systemrelevante Infrastruktur in Berlin: Buchladen in der Schöneberge We…
Berlin taz | „Uns geht es wirklich gut“, sagt Christian Koch. Er ist der
Inhaber der Krimibuchhandlung Hammett, die sich seit 1995 in der
Friesenstraße in unmittelbarer Nähe der Marheineke-Markthalle in Kreuzberg
befindet. Seine Buchhandlung rutschte letztes Jahr vor allem wegen einer
Dauerbaustelle vorm Haus in die Krise und konnte sich nur knapp retten.
Nun, in der Coronakrise, klingt Koch verglichen mit letztem Jahr regelrecht
beschwingt, seinen Laden hält er geöffnet wie sonst auch. „Wir hatten seit
Mitte März natürlich weniger Kunden im Laden, aber dafür wir hatten viel
mehr Versand“, sagt er. „Wir haben die Coronakrise bisher gut weggesteckt.�…
So oder so ähnlich geht es derzeit vielen Berliner Buchläden. Anders als in
allen anderen Bundesländern außer Sachsen-Anhalt durften in Berlin die
Buchläden auch während der Stilllegung des öffentlichen Lebens geöffnet
bleiben.
„Natürlich war nach der ersten Überraschung die Verunsicherung groß“,
berichtet Krischa Hasselbach von der 2014 gegründeten Buchhandlung
Buchdisko in der Pankower Florastraße. „Spätestens aber nach zwei Wochen
hat sich die Lage normalisiert. Ich hatte diesen Monat kaum
Umsatzeinbußen“, sagt sie.
## Bundesweit brechen Umsätze ein
In den Buchhandlungen bundesweit ist im Schnitt der Umsatz im Monat März im
Vergleich zum März 2019 um 30 Prozent eingebrochen. Das ist eine
Katastrophe für einen Typ von Unternehmen, der oft genug vom Idealismus
lebt und am Existenzminimum operiert.
Insofern ist es für alle Buchläden in Deutschland, die geschlossen waren
und diese Woche wieder werden öffnen können, eine gute Nachricht: Den
Berlinern ist es trotz weniger Publikumsverkehr nach Einschätzung von
Fabian Thomas vom Berlin-Brandenburger Börsenverein des deutschen
Buchhandels trotz leerer Straßen und Plätze durchschnittlich besser
ergangen.
Das zumindest hat eine Blitzumfrage des Börsenvereins ergeben, an der sich
46 Berliner Buchhandlungen beteiligt haben. Etwa ein Drittel gibt an, keine
Umsatzeinbußen gehabt zu haben. „Die Stimmung ist kämpferisch“, so Thomas
zur taz. „Die Buchhändler geben gerade Vollgas“, sagen auch Julian Müller
und Angelika Siebrands von der Einkaufs-Genossenschaft EBuch, wo bundesweit
mehr als 800 inhabergeführte Buchläden Mitglied sind, auch solche aus
Berlin. „Sie stehen da von früh bis spät, sie kämpfen ums Überleben“, f…
sie an.
Und die Buchhändler sind dabei durchaus erfolgreich. Fabian, Müller und
Siebrands berichten übereinstimmend von einer erstaunlichen Kreativität,
die die Buchhändler in den vergangenen Wochen an den Tag gelegt haben: von
jenen, die für ihre Kunden den Fahrradkurier gespielt haben etwa, von
anderen, die nach Jahren der Fremdelei nun plötzlich doch sehr schnell zu
Experten der Selbstvermarktung im Netz geworden sind und sogar selbst
Lesungen streamen.
Der Börsenverein hat in den letzten Wochen kostenlos Kurse angeboten, wie
man die eigene Webseite gestaltet und sich in den sozialen Medien
präsentiert. Und die Genossenschaft EBuch hat Plakate für die Schließung
und den Neustart von Buchläden in den meisten Bundesländern gestaltet, die
sich die Händler ausdrucken und ins Schaufenster hängen konnten. All das
wurde gut angenommen.
Und doch war der Umgang der Berliner Buchhandlungen mit den Einschränkungen
durchaus verschieden. Mehr als die Hälfte der inhabergeführten
Buchhandlungen hat ihre regulären Öffnungszeiten beibehalten. Eine davon
ist etwa die Georg Büchner Buchhandlung in der Wörter Straße in Prenzlauer
Berg. „Wir hatten den Eindruck, unsere Kunden konnten bei uns abschalten,
als wären wir eine Oase der Normalität“, berichtet Buchhändlerin Alena
Glandien der taz. Weder habe man darauf achten müssen, dass nicht zu viele
Kunden im Laden seien, noch dass sie Abstand wahren. „Die Menschen sind
hier bei uns von ganz allein sehr respektvoll“, sagt sie.
Ganz anders erzählt Nina Wehner von der Buchhandlung Buchkönigin in der
Neuköllner Hobrechtsraße. Sie gehörte zum Drittel der Berliner
Buchhandlungen, die laut der Blitzumfrage des Börsenvereins ihre
Öffnungszeiten reduziert hatten – außerdem ließ sie auch keine Kunden mehr
in den Laden, sondern stellte einen Tisch in die Tür und händigte nur noch
bestellte Bücher aus. „Das Stöbern hat gefehlt“, sagt sie. Trotzdem hatte
auch ihr Laden in Neukölln kaum Umsatzeinbußen.
## Welle der Sympathien
Der wichtigste Grund, warum die Berliner Buchhandlungen derzeit so
optimistisch in die Zukunft blicken, ist neben den guten Umsätzen der große
Zuspruch der Kunden. Von Anfang an habe es eine große Welle der Sympathie
und der Solidarität gegeben, berichten alle der von der taz befragten
Buchhändler – die Kernkompetenz Vernetzung der ohnehin erstaunlich
überlebensfähigen Berliner Kiezbuchläden trug also wieder einmal Früchte.
„Es hat sich manchmal angefühlt wie Seele streicheln“, erzählt Krischa
Hasselbach von der Buchhandlung Buchdisko.
Besonders als Ende März eine Nachricht aus dem Hause Amazon die Runde
machte, der Onlineversandhändler wolle Büchersendungen nur noch nachrangig
behandeln, da diese nun mal nicht zum täglichen Bedarf gehören, war die
Empörung groß: und das nicht nur bei jenen, die sich sonst vielleicht eher
selten in Buchhandlungen verirren.
Dabei weiß doch jeder, dass Bücher Lebensmittel sind: Viele Menschen können
ihren Job derzeit nicht machen, sie haben plötzlich wieder Zeit zu lesen,
wissen die Buchhändler. Andere müssen Kinder bespaßen, die nicht in die
Kita oder in die Schule dürfen. „Plötzlich kamen nicht mehr nur
Stammkunden, sondern auch viele neue Gesichter“, berichtet Krischa
Hasselbach von der Pankower Buchdisko. „Ich hoffe, wir können diese
Neukunden halten“, so Christian Koch von der Krimibuchhandlung Hammett.
Es geht ihnen also gut, den Berliner Kiezbuchläden, zumindest im Augenblick
noch. Dass die Großlage weiterhin bedrohlich ist, wissen die Buchhändler
natürlich auch: Am Verkauf von Büchern hängen nicht nur sie, sondern auch
die anderen bundesweit, die Verlage, die Autoren, die Literaturhäuser und
Lesebühnen. Die Absage der Leipziger Buchmesse war für alle eine Schock.
Aber auch, dass keiner weiß, wann je wieder eine Lesung wird stattfinden
können, beunruhigt alle.
20 Apr 2020
## AUTOREN
Susanne Messmer
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