# taz.de -- Weihnachtsgeschäft im Buchhandel: Ein ganz besonderes Geschenk | |
> In Berlin und Brandenburg durften Buchläden im zweiten Lockdown offen | |
> bleiben. Die Bilanz fällt bislang überwiegend positiv aus. | |
Bild: Bücher draußen, Bücher drinnen: Alles läuft wie immer. Fast alles | |
BERLIN taz | Und es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von der | |
Kanzlerin und ihren Statthaltern ausging, dass alles bald geschlossen | |
werde. So könnte der zweite Lockdown als traurige Weihnachtsgeschichte | |
beginnen, gäbe es da nicht zwei Länder, die aus der Reihe tanzten. Berlin | |
und Brandenburg nahmen [1][die Buchläden von der Schließung] aus und | |
bescherten den Buchhändlerinnen und Buchhändlern ein ganz besonderes | |
Weihnachtsgeschäft. | |
Jörg Braunsdorf hat sich über das Geschenk gefreut. „Ich bin sehr | |
zufrieden“, sagt der Inhaber der Tucholsky-Buchhandlung in Mitte. „Dass wir | |
offen bleiben durften, ist eine wichtige Wertschätzung durch die Politik. | |
Im Vergleich zu anderen Einzelhändlern wie dem benachbarten Blumenladen ist | |
es ein großes Glück.“ | |
Ob das Weihnachtsgeschäft besser ausfällt als im vorigen Jahr, kann er wie | |
viele seiner Kolleginnen und Kollegen noch nicht sagen. Aber eines hat Jörg | |
Braunsdorf festgestellt. „Das Kundenverhalten hat sich geändert. Es werden | |
nicht mehr nur Bücher nachgefragt.“ | |
Tatsächlich haben sich vor den Buchhandlungen in den beiden letzten | |
Adventswochen oft lange Schlangen gebildet. Wer noch ein Weihnachtsgeschenk | |
suchte, ging in den Buchladen. „Wir haben für das Weihnachtsgeschäft das | |
Papeteriegeschäft ausgebaut“, berichtet Braunsdorf über den Trend zum | |
Non-Book in den Buchhandlungen. Schon zuvor hat er auf Gesellschaftsspiele | |
gesetzt. | |
Der Buchladen als Ort, sich umzuschauen, wo es andernorts nicht mehr geht – | |
um das zu genießen, mussten die Kundinnen und Kunden aber zeitig aufstehen. | |
Denn die verschärften Zugangsbeschränkungen ließen in den kleinen | |
Kiezbuchhandlungen oft nur ein oder zwei Kunden zu. „Eine Stöberlaune kam | |
da nicht auf“, hat Katrin Mirtschink beobachtet, die in Pankow den | |
Buchladen Pankebuch führt. „Die Leute haben sich eher beeilt.“ Und seien | |
dabei auch sehr diszipliniert gewesen. | |
Schon beim ersten Lockdown im Frühjahr hatte der rot-rot-grüne Senat auf | |
Wunsch von Kultursenator Klaus Lederer (Linke) die Buchhandlungen von den | |
Schließungen ausgenommen. Die erneute Ausnahme im Dezemberlockdown hatte er | |
damit begründet, dass Buchhandlungen „geistige Tankstellen“ seien. | |
## Die Leute lesen mehr! | |
Ein bisschen kann das auch Katrin Mirtschink bestätigen. „Die Leute lesen | |
mehr in Corona, das ist schon unser Eindruck“, sagt sie. „Vielleicht ist | |
das auch ein bewusstes Gegenmittel zur ständigen Online-Anwesenheit.“ Und | |
noch etwas hat Mirtschink beobachtet: „Wir haben viele Weihnachtspostkarten | |
verkauft, darunter ganz besondere von Grafikerinnen hier in der Nähe. Es | |
wurde offenbar viel geschrieben an Weihnachten.“ | |
Voll war es in den Wochen vor Heiligabend und zwischen den Jahren nicht nur | |
in den kleinen Kiezbuchhandlungen, sondern auch bei Thalia. Während es beim | |
Kulturkaufhaus Dussmann heißt, dass sich das diesjährige Weihnachtsgeschäft | |
nicht mit den Vorjahren vergleichen lasse, kann die Großkette Thalia noch | |
keine Bilanz des Weihnachtsgeschäfts vorlegen. „Zahlen gibt es erst im | |
Januar“, vertröstet eine Sprecherin. Sie kann auch nicht sagen, ob das | |
Geschäft in Berlin und Brandenburg besser war als in den anderen | |
Bundesländern, in denen die Buchhandlungen ebenso geschlossen blieben wie | |
Blumenläden oder Boutiquen. | |
Nicht ganz so zufrieden wie einige Kolleginnen und Kollegen aus Berlin war | |
Katja Micklich. Sie führt seit 2016 mit ihrem Mann die Hutten-Buchhandlung | |
in Frankfurt (Oder). „Wir waren überrascht, dass wir offen bleiben durften. | |
Das hat uns sehr gefreut.“ Doch das Weihnachtsgeschäft blieb im Coronajahr | |
2020 hinter den Vorjahren zurück. „Die Kunden haben keine Bummellust“, sagt | |
Micklich. Außerdem befindet sich ihre Buchhandlung im Oderturm, einem | |
Einkaufszentrum, in dem die meisten Geschäfte geschlossen haben. | |
## Pragmatismus in Brandenburg | |
Dass Brandenburg seine Buchläden – anders noch als im Frühjahr – offen | |
lässt, war nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Von „geistigen Tankstellen“ | |
war in der Landesregierung keine Rede, eher von einem gewissen | |
Pragmatismus. Auf einer Pressekonferenz hatte Ministerpräsident Dietmar | |
Woidke (SPD) angekündigt, man werde sich in dieser Frage nach Berlin | |
richten. | |
Ähnliches wie Katja Micklich in Frankfurt (Oder) berichtet auch die | |
Havelländische Buchhandelsgesellschaft, die gleich fünf Buchläden in | |
Brandenburg betreibt. „Die Tage vor dem Lockdown waren sensationell und wir | |
hatten Tagesumsätze, dir wir sonst nicht mal am 23. Dezember haben“, sagte | |
Geschäftsführer Matthias Voigt dem Börsenblatt. Nach dem Shutdown sei es so | |
weitergegangen, aber nicht vergleichbar mit den Weihnachtsumsätzen der | |
Vorjahre. „Die Tagesumsätze waren um mindestens 10 Prozent geringer.“ | |
Einen Überblick über das Weihnachtsgeschäft hat auch der Börsenverein des | |
Deutschen Buchhandels noch nicht. „Ich war aber glücklich, dass Brandenburg | |
im zweiten Lockdown auch die Buchläden offen ließ“, sagt die | |
Geschäftsführerin des Börsenvereins Berlin Brandenburg, Johanna Hahn. Denn | |
so sei es gelungen zu verhindern, dass der Buchverkauf mehr noch als bisher | |
online stattfindet. „Die Leute haben die Möglichkeit genutzt, sich im | |
Buchhandel beraten zu lassen.“ Hahn spricht vom Weihnachtsgeschäft als die | |
traditionell „fünfte Jahreszeit im Buchhandel“. | |
Jörg Braunsdorf kann dem nur zustimmen. „Wenn ich mit Kollegen aus anderen | |
Bundesländern spreche, erzählen sie noch von einer Euphorie, die es im | |
Frühjahr gab, als alle mit dem Fahrrad geliefert haben oder Abholstationen | |
eingerichtet haben.“ Diese Euphorie sei aber im zweiten Lockdown verflogen. | |
„Du kannst das Weihnachtsgeschäft nicht durch Liefern kompensieren. Da ist | |
viel eingebrochen.“ | |
Ganz rund aber lief es auch in Berlin und Brandenburg nicht, trotz der | |
Öffnungen. „Es waren nicht immer alle Bücher sofort lieferbar beim | |
Großhändler“, sagt Pankebuch-Inhaberin Katrin Mirtschink. „Da gab es viele | |
Verzögerungen. Aber die Kunden hatten Verständnis.“ | |
31 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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