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# taz.de -- Bodycams in Niedersachsen: Polizei filmt ein bisschen
> Niedersachsens Innenminister will schon seit Jahren unbedingt Bodycams
> für Polizist*innen einführen. Doch das Projekt hält nicht, was es
> verspricht.
Bild: Mäßigt das? Die Wirkung von Bodycams bleibt umstritten
Hannover taz | Die Pressemitteilung kam Mitte Dezember und ging im
Vorweihnachts-Lockdown fast unter: „Polizei Hannover führt flächendeckend
Bodycams ein“, hieß es da. Wobei die Formulierung „flächendeckend“ ein
bisschen missverständlich ist: Flächendeckend bedeutet nämlich keineswegs,
dass ein großer Anteil aller Polizeibeamt*innen mit den Schulterkameras
ausgestattet wird. Sondern lediglich, dass jede der 24 Dienststellen in
Hannover eine Bodycam mit Zubehör erhält, einige sogar zwei.
Insgesamt 34 Kameras wurden angeschafft, schon im Herbst, ganz ohne Tamtam
und feierliche Übergabe. Die Aktivist*innen von freiheitsfoo, einer
Plattform für Menschen, die sich für Freiheits- und Menschenrechte
einsetzen, nutzten die Gelegenheit, um erneut ihre Kritik an diesem Projekt
von Innenminister Boris Pistorius (SPD) loszuwerden.
Umstritten ist so einiges und das auch schon lange: Im Dezember 2016 begann
ein Pilotprojekt zur Einführung von Bodycams in Niedersachsen – die
Ergebnisse sind allerdings nur summarisch veröffentlicht worden, weil die
detaillierte Auswertung zu viele sensible Daten enthalte, wie das
Innenministerium erklärt.
Angeblich bestätigt diese Auswertung aber, was Pistorius und die
[1][Polizeigewerkschaften ohnehin schon immer verkündeten:] Mit den
Schulterkameras könnten Angriffe auf Beamt*innen verhindert oder zumindest
besser aufgeklärt werden.
## Lüneburg orderte die meisten Geräte
500 Stück sollten die Polizeidirektionen in ganz Niedersachsen anschaffen,
mit der Option, den Bestand um weitere 500 zu erweitern, verkündete
Pistorius damals. Die Anschaffung verzögerte sich dann, weil die
Integration ins IT-System der Polizei Schwierigkeiten bereitete.
Außerdem musste erst [2][einmal eine gesetzliche Grundlage] geschaffen
werden, wie die Landesdatenschutzbeauftragte immer wieder anmahnte. Das
geschah mit dem [3][umstrittenen niedersächsischen Polizeigesetz 2019.]
Mittlerweile sollen 449 Bodycams angeschafft worden sein – die meisten in
den Polizeidirektionen Lüneburg (138) und Oldenburg (105), am wenigsten in
Hannover (34). Nach wie vor gibt es Zweifel an Sinn und Zweck und
Verhältnismäßigkeit der Geräte.
Die Aktivist*innen von freiheitsfoo verweisen zum Beispiel auf die
öffentlich zugänglichen Ergebnisse der Pilotstudien aus Sachsen und
Sachsen-Anhalt, die [4][dazu sehr widersprüchliche Ergebnisse] geliefert
haben: Bei einem Großteil der Einsätze gaben die Beamt*innen demnach an,
sie hätten keine deeskalierende Wirkung feststellen können – zum Teil auch,
weil ihre Gegenüber unter Drogen- oder Alkoholeinfluss nicht weiter auf die
Kamera reagiert hätten.
## Gegen Polizeigewalt helfen die Mini-Kameras nur begrenzt
In einer Analyse des Blogs Cilip des Instituts für Bürgerrechte und
öffentliche Sicherheit hielten sich zudem die Fälle, in denen die
Beamt*innen eine deeskalierende Wirkung verzeichneten, die Waage mit jenen
Fällen, bei denen die Betroffenen sich von der Kamera erst recht provoziert
fühlten.
Auch bei der Verwertbarkeit der Aufnahmen gab es einige Enttäuschungen: Vor
allem im Handgemenge verrutscht die an der Schulter angebrachte Kamera
schnell und die Perspektive bietet zu wenig Übersicht, um im Einzelfall
deutlich erkennen zu können, wer, womit, wohin geschlagen, getreten und
getroffen hat.
Das schmälert auch die vage Hoffnung, die Bodycams könnten helfen, Fälle
von Polizeigewalt aufzuklären und zu ahnden: Lässt man entsprechende
Aufnahmen aus den USA Revue passieren, auf die als Vorbild verwiesen wird,
stammen diese fast immer aus den Dashcams der Polizeifahrzeuge oder den
Bodycams der umstehenden Kolleg*innen, selten aus denen der handelnden
Polizisten. Eine solche Kameradichte gibt es aber in keinem der
Bundesländer, die Bodycams einsetzen.
## Unklar bleibt, wer Zugriff auf die Daten bekommt
Außerdem braucht man Strukturen, die verhindern, dass Aufnahmen
nachträglich gelöscht oder manipuliert werden. Die Auskunft, wie das etwa
in Hannover aussehen soll, bleibt vage: „Der Einsatz erfolgt auf Grundlage
eines abgestuften Rollen- und Berechtigungskonzeptes“, schreibt eine
Polizeisprecherin auf taz-Nachfrage.
Die filmenden Beamt*innen können ihre Aufnahmen einsehen, aber nicht
löschen, das dürfen nur Angehörige der Dienststellenleitungen. 28 Tage lang
werden die Aufnahmen aufgehoben – und dann automatisch gelöscht, wenn sie
nicht als zu archivierendes Beweismaterial markiert werden.
Kritiker*innen monieren, dass die Aufklärung und die Einsichtmöglichkeiten
der gefilmten Bürger*innen hier regelmäßig zu kurz kommen und kaum geregelt
sind. Das gilt auch für das sogenannte Pre-Recording, mit dem die Kamera
schon einmal in Bereitschaft versetzt wird und eine halbe Minute lang
aufzeichnet. Das Gleiche einem permanenten Lauschangriff im öffentlichen
Raum, sagt Micha Ebeling von freiheitsfoo.
Ihm ist neben den rechtlichen und technischen Bedenken auch die
psychologische Wirkung wichtig: „Auf mich wirken die Bodycams wie ein
zwischen Polizei und die Gegenüber getriebener Keil.“ Wie [5][eine weitere
Aufrüstung, eine Erklärung des Misstrauens], ein Versuch, angesichts der
allgegenwärtigen Smartphones zurückzufilmen. Das Verhältnis zwischen den
Beamt*innen und der Bevölkerung verbessere das sicher nicht.
8 Jan 2021
## LINKS
[1] /Streit-um-Bodycams-bei-der-Polizei/!5578113
[2] /Neues-Polizeigesetz-in-Niedersachsen/!5527016
[3] /Neues-Polizeigesetz-in-Niedersachsen/!5591593
[4] /Kommentar-Einsatz-von-Bodycams/!5347199
[5] /Debatte-Polizeigewalt-und-Body-Cams/!5010677
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Bodycams
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