Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Spätfolgen durch Coronavirus: Nicht mehr dieselben
> Auch Monate nach ihrer Corona-Erkrankung leiden Steffi Maier und Birgit
> Birner an den Folgen. Ob die Beschwerden je verschwinden, wissen sie
> nicht.
Bild: „Ich habe mit Covid Dinge verloren, die mich ausmachen“, sagt Steffi …
Für Birgit Birner fing es mit einer Bolognese an. Sie kochte sie an einem
Montag Anfang April und bekam einfach keinen Geschmack hin, erzählt sie.
Als ihr Mann nach Hause kam, ließ sie ihn probieren. Er sagte, die
Bolognese schmecke doch in Ordnung. Erst in diesem Moment sei ihr bewusst
geworden, dass sie nichts schmeckte, sagt Birner. Die Bolognese sei
eigentlich etwas zu würzig gewesen, ihr Mann habe es vermutlich nur nicht
sagen wollen. Und dann sagte er: „Na, du wirst auch Corona haben.“ „Mal d…
Teufel nicht an die Wand“, entgegnete sie.
Birgit Birners Mann ist Hausmeister in einem Altenheim. Am Wochenende zuvor
waren dort die ersten Coronafälle aufgetreten. Das Personal wurde getestet,
auch Birners Mann. Das Ergebnis stand an diesem Montag noch aus. Birgit
Birner, die bei einer Sparkasse angestellt ist, arbeitete trotzdem schon
von zu Hause aus, zur Sicherheit.
Mittwoch kam das Test-Ergebnis ihres Mannes: positiv. Da saß Birgit Birner
schon mit dem Fieberthermometer unterm Arm am Laptop. „Ich hab schon
gedacht: Irgendwie geht’s dir nicht so gut.“
Auch als sie Mitte Dezember an ihrem Küchentisch im bayerischen Hirschau
sitzt, ist Birgit Birner all das, was vor Monaten passiert ist, noch sehr
präsent. Auch, weil es ihr Leben bis heute beeinflusst. Sie ist eine von
den Menschen, die eine Corona-Infektion zu Hause durchgestanden haben. Und
eine von denen, die, obwohl sie nicht im Krankenhaus waren, noch Monate
danach mit den Folgen kämpfen. „Ich bin nicht mehr die, die ich vorher
war“, sagt sie.
Birner hat Kuchen gebacken und ihn zusammen mit Stollen und Keksen, Kaffee
und Wasser auf den Tisch gestellt. Sie erzählt erst einmal von der Stadt
Hirschau. Aus dem schrägen Dachfenster im Flur sieht man den Monte Kaolino,
die Halde des Kaolinbergbaus. Dort ist auch ein Freizeitpark, eine
Langlaufstrecke, ein Schwimmbad. Und dort war Birgit Birner früher oft
Schwimmen, ist im Winter Ski gelaufen, erzählt sie.
Birner weiß nicht nur so viel über die Gegend, weil sie schon ihr ganzes
Leben hier in der Oberpfalz verbracht hat. Die 46-Jährige war auch
jahrelang in der CSU aktiv, war Ortsvorsitzende, Kreisvorsitzende der
Frauenunion, Stadträtin. Irgendwann konnte sie das Ehrenamt nicht mehr mit
dem Beruf in Einklang bringen. Daran, es jetzt wieder aufzunehmen, ist
nicht zu denken. Zu sehr hat sie noch mit den Folgen ihrer
Covid-19-Erkrankung zu kämpfen.
Im April hatte Birgit Birner sehr lange Fieber, „wahnsinnigen Husten“,
teilweise Herzrasen und Schweißausbrüche, erzählt sie. „Weil das Wetter so
schön war, habe ich mich mal in den Garten gelegt, um frische Luft zu
atmen. Als ich dann die Treppen wieder raufging, musste ich anhalten. Ich
wäre in einem Stück nicht hinaufgekommen.“ Dann kam der Geschmacks- und
Geruchsverlust. Und bis September hatte sie noch Haarausfall. Dass das
etwas mit Corona zu tun hatte, wusste sie lange nicht.
Auch dass sie sich wirklich mit Corona infiziert hatte, wusste Birner lange
nicht. Zuerst wurde sie beim Testen einfach vergessen, dann war ihr
Testergebnis negativ. Vielleicht war es schon zu spät für einen Nachweis.
Birner sagt aber auch, der Abstrich beim Coronatest sei vielleicht ungenau
gemacht worden.
Sie blieb die ganze Zeit zu Hause, ihr Mann kümmerte sich, der Hausarzt
erkundigte sich nach ihr. Irgendwann ging es Birner besser. In der ersten
Maiwoche ging sie wieder arbeiten. „Aber ich bin nicht wirklich auf die
Füße gekommen. Ich hatte zwar kein Fieber mehr, aber ich war total kaputt“,
erzählt sie. Ihr Hausarzt machte einen Antikörpertest und kümmerte sich
darum, dass bei Birner schnell eine Computertomografie der Lunge gemacht
wurde.
Birgit Birner sagt, sie hatte so viele Antikörper, dass die Skala des Tests
nicht ausreichte. Und das Bild ihrer Lunge sah so schlecht aus, dass ihr
Arzt sie sofort zu sich bestellte. In der Akutphase hatte sie wohl eine
Lungenentzündung gehabt. Ihr Arzt schrieb Birner krank, sie machte eine
Reha.
„Ich habe gedacht, ich gehe in die Reha und danach ist alles wieder gut“,
erzählt Birner. Sie räuspert sich beim Sprechen mittlerweile etwas
häufiger. Birner war immer eine sportliche Frau. „Wenn es in den Urlaub
ging, war immer ein Sportgerät dabei“, sagt sie. „Im Winter die
Langlaufski, im Sommer das Fahrrad.“
Heute muss sie kleinere Brötchen backen, wie sie sagt. Das heißt auch,
herausfinden, wo die Grenzen sind. Birner hat sich mittlerweile ein E-Bike
gekauft. Nicht nur wegen ihrer Krankheit, sie dachte schon vorher darüber
nach, sagt sie. Als sie einmal mit ihrem Mann und einem Freund eine Radtour
machte, schätzte sie die Grenzen noch nicht richtig ein, überschätzte sich.
„Ich weiß nicht, wo mein Puls war, ich war total fix und alle und
kurzatmig“, erzählt sie. Ihr Mann und der Freund haben sie gefragt, ob sie
wieder werde. Birgit Birner lacht, als sie davon erzählt.
Das Lachen geht in ein Husten über. Im November wurde ein neues Bild von
ihrer Lunge gemacht. Trotz Reha, trotz Atemtherapie hat es sich nicht
verbessert, hat sich die Lunge nicht erholt. Für Birner war das aber nicht
nur eine schlechte Nachricht, sondern auch eine gute: „Ich habe es jetzt
schwarz auf weiß“, sagt sie. „Ich bilde mir das nicht ein.“
„Ich wollte mir das am Anfang auch nicht eingestehen, aber wenn du vom Rad
steigst und denkst, du erholst dich nicht mehr, dann wirst du schlauer“,
sagt Birner. Sie habe auch zugenommen, bestimmt 10 Kilo. „Wenn das der
Preis ist, dann ist das so.“
Wenn Menschen unter den Langzeitfolgen einer Covidinfektion leiden, wird
oft von Long Covid gesprochen. Weil das Krankheitsbild noch so neu ist und
wegen der sehr unterschiedlichen Symptome, gibt es noch keine einheitliche
Definition von Langzeitfolgen, wie das Robert-Koch-Institut (RKI) [1][auf
seiner Webseite schreibt].
Mittlerweile gibt es in ganz Deutschland Post-Covid-Ambulanzen. Es sind
Anlaufstellen für Menschen, die eine Infektion durchgemacht haben, aber
auch Wochen oder Monate danach noch nicht gesund sind. Und das betrifft
nicht nur Menschen, die im Krankenhaus, vielleicht sogar auf der
Intensivstation waren, sondern eben auch solche, die einen leichteren
Verlauf hatten.
„46 Prozent unserer Patienten haben die Erkrankung zu Hause durchgemacht“,
sagt Andreas Stallmach. Er ist Direktor der Klinik für Innere Medizin IV an
der Uniklinik Jena und leitet die dortige Post-Covid-Ambulanz.
Die Ambulanz in Jena gibt es seit August. „Wir haben hier ein neues
Krankheitsbild gesehen und es ist wichtig, diesbezüglich
klinisch-wisenschaftliche Erfahrungen zu generieren und natürlich Patienten
zu helfen“, sagt Stallmach am Telefon. „Deshalb haben wir die Ambulanz
eröffnet.“ Der Bedarf ist offenbar groß. Aus ganz Deutschland riefen
Patient:innen an, um aufgenommen zu werden. Die Warteliste gehe bisher bis
in den Februar des nächsten Jahres, sagt Stallmach.
„Die Patienten haben verschiedene Symptome: Luftnot bei körperlicher
Belastung, zum Beispiel beim Treppensteigen, Geschmacks- und
Geruchsverlust, Bauchschmerzen, Durchfall, Depressionen, Schlafstörungen
und Müdigkeit, die sogenannte Fatigue“, fährt er fort.
Die Folgen einer Corona-Infektion betreffen offenbar jede Altersgruppe.
Stallmach sagt, seine jüngste Patientin sei 17 Jahre alt, das
Durchschnittsalter liege bei etwa 51 Jahren. In der Ambulanz werden die
Patient:innen gründlich untersucht, Blutentnahmen, Ultraschall und Weiteres
gemacht. „Aus den geschilderten Beschwerden und Befunden entsteht dann ein
Bild, ein Verdacht, und wir entscheiden, was die richtige Therapie ist“,
sagt Stallmach.
Wie viele Menschen sind überhaupt von Langzeitfolgen betroffen?
„Verlässliche, repräsentative Daten zum Anteil der Erkrankten mit
Langzeitfolgen liegen derzeitig nicht vor“, schreibt das RKI. Eine
englische Studie lege nahe, dass bei 40 Prozent der Menschen, die im
Krankenhaus behandelt wurden und 10 Prozent derer, die nur leicht erkrankt
waren, Beschwerden auch nach vier Wochen noch anhalten.
Andreas Stallmach hat in seiner Post-Covid-Ambulanz die Erfahrung gemacht,
dass chronische Beschwerden langsam besser werden. „Ob die Symptome
vollständig verschwinden, können wir nicht sagen, weil wir das
Krankheitsgeschehen noch nicht vollständig überblicken“, sagt er.
„Wir brauchen noch mehr Beobachtungszeit“, sagt auch Stefanie Joos. Sie ist
Professorin, Leiterin des Instituts für Allgemeinmedizin und
Interprofessionelle Versorgung an der Uniklinik Tübingen und arbeitet
selbst in einer Hausarztpraxis. Auch sie sieht oft Menschen, die mit den
Folgen einer Corona-Infektion zu kämpfen haben. „Die häufigste
Post-Covid-Folge ist die Fatigue, also diese Müdigkeit, die mit mangelnder
Belastbarkeit einhergeht. Auch Atemnot ist recht häufig.“ Es gebe auch
Menschen, die kognitive Probleme haben, sich Dinge nicht gut merken können,
nicht mehr abstrahieren oder definieren können. Auch psychische Probleme
wie Depressionen seien häufig.
Joos möchte herausfinden, wie viele Menschen mit leichten
Krankheitsverläufen auch nach dem eigentlichen Ende der Infektion noch
gesundheitliche Beschwerden haben. Im Rahmen einer Studie sollen deshalb
insgesamt etwa 2.000 Menschen aus fünf Landkreisen in Baden-Württemberg
befragt werden, die positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Ein
Beispiel dafür kann die Frage sein, ob ein bestimmtes Medikament den
Verlauf der Erkrankung oder die Entwicklung von Langzeitfolgen beeinflusst
habe. Joos rechnet Anfang oder Mitte Februar mit Ergebnissen. Bis wirklich
klar ist, wie viele Menschen betroffen sind und wie lange Beschwerden
anhalten können, wird es aber noch dauern.
Mit genau dieser Unsicherheit muss Steffi Maier schon seit Wochen leben.
Die junge Lehrerin hat sich im Oktober mit dem neuartigen Coronavirus
infiziert. Und bis heute hat sie sich nicht davon erholt. Während der
Infektion hatte sie Gliederschmerzen und starke Kopfschmerzen, war müde und
hat auch mal ein Brennen in der Lunge gespürt. Ihre Symptome haben etwa
eineinhalb Wochen angehalten. Dann waren sie erst einmal weg. „Ich dachte,
das war es. Aber dann gingen die Kopfschmerzen wieder los“, erzählt die
27-Jährige Mitte Dezember bei einem Spaziergang durch einen Park in
Leipzig.
Maier hat angefangen, ihre Symptome aufzuschreiben. Sie sei während der
Infektion vom Gesundheitsamt dazu aufgefordert worden, erzählt sie. Und als
die Symptome wieder losgingen, hat sie das wieder gemacht. Die Liste ist
lang und vielfältig. Da waren die Kopfschmerzen, die krassesten, die sie je
hatte. „Konnte nichts und habe nur geschlafen“, notierte sie am 12.
November. Heute sind die Kopfschmerzen besser.
Geblieben sind aber Kreislaufprobleme. Dass sie überhaupt einen längeren
Spaziergang machen kann, ist deshalb ein Fortschritt. „Vor vier Wochen
hätte das so nicht funktioniert“, sagt sie. Da wollte sie mit einer
Freundin einen Spaziergang machen. Bis zum Eingang des Parks musste sie
schon zweimal Pause machen. Weiter hat sie es nicht geschafft, musste
umdrehen, weil ihr schwindelig war.
Den Schwindel hat sie immer noch. Auf dem Spaziergang holt sie irgendwann
ein Trinkpäckchen aus ihrer Tasche. „Ist nicht das Umweltfreundlichste, ich
weiß“, sagt Maier. „Aber wenn mir schwindelig ist, dann muss ich etwas
trinken oder essen und so ein Trinkpäckchen hilft schnell.“
Maier hat gelernt, mit dem Schwindel umzugehen. Im Gespräch wird aber immer
wieder deutlich, wie sehr es ihr zu schaffen macht, dass ihr Kopf nicht
richtig funktioniert. So nennt sie das. „Ich bin eine sehr organisierte
Person, die sehr sportlich ist“, erzählt sie. „Ich baue Fahrräder selber
zusammen und bin Radrennen gefahren.“ Jetzt sei sie nicht mehr sportlich,
ist im Kopf nicht mehr so schnell wie früher, nicht mehr so organisiert.
„Das ist krass, wenn ich das so ausspreche“, sagt Maier. „Ich habe mit
Covid Dinge verloren, die mich ausmachen.“
Sie erzählt davon, wie sie an Orte gefahren ist, an die sie gar nicht
wollte. In ein Möbelhaus zum Beispiel. Bei der Ankunft wusste sie nicht
mehr, was sie dort wollte. Sie habe Namen und Passwörter vergessen.
Momente, in denen Maier Hilfe gesucht, aber nicht gefunden hat, gab es
viele. Ihr Hausarzt nehme sich viel Zeit, sagt sie. Er erzählte ihr auch,
dass er eine Patientin habe, Jahrgang 1986, der es ähnlich gehe. „Aber
eigentlich hat mein Arzt gar keine Zeit, jetzt herauszufinden, wo ich als
Covid-Patientin hin kann“, sagt Maier.
An einem Morgen habe sie die Kraft aufgebracht, herumzutelefonieren, um
Hilfe zu finden. Die Covid-Ambulanz der Charité habe ihr gesagt, sie nehmen
nur Patient:innen aus Berlin und Brandenburg auf. Beim ärztlichen
Bereitschaftsdienst habe sie angerufen, bei der unabhängigen
Patientenberatung, ihrer Krankenkasse, der Corona-Hotline. „Sie wussten
alle nicht, was sie machen sollen, wo sie mich hinschicken sollen“, sagt
Maier.
Mittlerweile wurde ihre Lunge geröntgt, wurde ein EKG gemacht, sie wurde
neurologisch untersucht. Gefunden wurde bisher nichts.
Maier arbeitet an einer demokratischen Schule, wo Kinder selbstbestimmt in
offener Unterrichtsstruktur lernen. Sie schätzt die Schule sehr. Seit der
Coviderkrankung konnte sie nicht wieder arbeiten, mittlerweile bekommt sie
Krankengeld. Nicht arbeiten zu können, war am Anfang schwer. „Weil meine
Kollegin jetzt Mehrarbeit macht“, sagt Maier. Heute ist sie entspannter.
Sie frage sich schon, ob sie je wieder so fit sein wird, 25 Kinder zu
begleiten. „Das kann ich mir nicht beantworten“, sagt sie.
Sie weiß aber auch, dass viele, die mit Folgen einer Corona-Infektion zu
kämpfen haben, sich zur Arbeit schleppen, weil sie Angst um die Zukunft
haben. Gelesen hat sie davon in einer Gruppe auf Facebook. In die war Maier
eingetreten, als sie Symptome bekommen hatte.
Mittlerweile gibt es [2][einige Gruppen], in denen sich Coronabetroffene
austauschen. Es gibt welche für aktuell Infizierte und andere für die mit
Langzeitfolgen. „Die Vernetzung mit Betroffenen hat mir mehr geholfen als
das Gesundheitssystem“, sagt Maier. Ihr sei bewusst, dass es in den
Facebookgruppen nicht nur validierte Quellen gebe. „Aber es hat mir etwas
gebracht zu fragen, ob jemand so etwas auch schon erlebt hat und was man
dagegen tun kann.“
Diese Unterstützung durch Gleichgesinnte gewinnt mit Blick auf Covid-19
immer mehr an Bedeutung. [3][Ein paar Selbsthilfegruppen gibt es schon],
viele örtliche Kontaktstellen schreiben der taz, dass es wahrscheinlich
bald mehr geben werde. Im Moment sind persönliche Treffen der
Selbsthilfegruppen jedoch nicht möglich.
Constanze Jacke hat den Verein [4][„Leben mit Corona“] gegründet. Sie und
ihr Mann haben sich im März infiziert. Jacke selbst hatte nur leichte
Symptome, ihr geht es heute gut. Ihr Mann jedoch lag wochenlang auf der
Intensivstation, lange war unklar, ob er überlebt. Jacke war und ist
mehrfach von der Coronapandemie betroffen: als Infizierte, als Angehörige
eines schwer Kranken und als Pflegedienstleiterin in einer großen
Pflegeresidenz in der Schweiz.
Für andere Betroffene im deutschsprachigen Raum will Jacke mit dem Verein
nun ein Angebot schaffen. „Es geht um Austausch und Unterstützung“, erzäh…
sie. Ein erstes Videogespräch soll bereits Anfang des neuen Jahres
stattfinden. In der Zukunft soll es dann auch Veranstaltungen mit
Fachdozent:innen oder Wissenschaftler:innen geben.
Auch Birgit Birner ist in einer Selbsthilfegruppe. Gegründet hat sie ein
Mann, der mit ihr in der Reha war. Dazu ermuntert wiederum hatte ihn der
Psychologe Günter Diehl in der Reha-Einrichtung. Er betreut dort [5][seit
März Covidpatient:innen]. „Viele Betroffene sind erschüttert über das,
was mit ihnen passiert ist“, sagt Diehl. Bei der Genesung sei oft Geduld
gefragt. „Das ist in unserer Leistungsgesellschaft natürlich ein Problem.“
Hinzu komme: Man sieht den Betroffenen ihre Erkrankung meist nicht an.
Betroffene schildern auch immer wieder, dass sie an Ärzt:innen geraten, die
ihnen nicht glauben, die unterstellen, sie würden nur nicht arbeiten
wollen. Und auch von Menschen aus ihrem Umfeld hören Betroffene: Du sieht
doch gesund aus, so schlimm kann es ja nicht sein.
Birgit Birner kennt solche Sprüche. Da war der Kollege, der gesagt habe,
wenn die zweite Welle komme, könnte sie ja arbeiten, weil sie jetzt
Antikörper habe. „Da habe ich gesagt: Hast du einen Vogel? Ich bin noch
nicht wieder gesund!“, erzählt Birner. Da war die junge Frau mit ihrem Kind
vor dem Supermarkt. Sie sagte zu Birner und einem älteren Paar, mit dem sie
sich unterhielt, sie bräuchten ihre Masken nicht, Corona gebe es nicht,
niemand hätte das. Und als Birner sagte: „Doch, ich“, schrie die Frau laut
auf und zog ihr Kind weg.
Für Birner ist die Selbsthilfegruppe eine wichtige Stütze. „Es gibt da
keinen, der dir Vorwürfe macht, keinen, der mit vorwurfsvollem Unterton
fragt, wie man sich angesteckt habe“, sagt sie. Sich in einer Gruppe mit
Gleichgesinnten öffnen zu können, sei für viele hilfreich. Und Betroffene,
die schon viel Erfahrung haben, können anderen helfen. „Manche fragen sich:
Warum ich? Hätte ich das vermeiden können?“, sagt Birner. „Das kann niema…
nachfühlen, der das nicht durchlebt hat.“
Auch weil sie verletzende Sprüche kennt, sei es ihr ein Anliegen, ihre
Geschichte zu erzählen, sagt Birner. Manche Menschen reagieren vielleicht
unsensibel, weil sie niemanden kennen. „Vielleicht haben sie mehr
Verständnis, wenn sie mal ein Gesicht und einen Namen dazu kriegen.“ Sie
selbst habe die Kraft, von ihrer Krankheit zu berichten. Sie wisse aber
auch, dass andere schwerer getroffen sind und diese Kraft nicht haben.
„Vielleicht ist es für mich eine Hilfe, mit der Krankheit umzugehen“, sagt
Birner.
Ihren Geschmacks- und Geruchssinn hat sie mittlerweile wieder. An den Tag,
als der wieder kam, erinnert sie sich gut. Das war Ende April, es gab
Spargel, der Schwiegervater hatte Bratwürste gekauft, ihr Mann das
Lieblingsbier. Und Birner dachte, sie würde nichts schmecken. „Ich werde
nicht vergessen, wie ich in diese Bratwürste gebissen habe und etwas
geschmeckt habe“, erzählt sie. „Das war ein richtiges Glücksgefühl. Ich
habe mich total überfuttert an dem Tag.“
Seit September macht Birner eine Wiedereingliederung auf der Arbeit. Sie
hat aber schnell gemerkt: Mit der geschädigten Lunge, dem Reizhusten der
kommt, wenn sie viel redet, kann sie ihren alten Job nicht machen. Sie war
Kundenberaterin bei der Sparkasse und hat an der Sparkassen-Akademie
unterrichtet. Birner sprach mit ihrem Chef, und der habe sehr
verständnisvoll reagiert. Jetzt hat sie eine neue Stelle, bei der sie nicht
so viel reden muss.
2 Jan 2021
## LINKS
[1] https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.htm…
[2] https://www.facebook.com/groups/725782328256830
[3] https://www.nakos.de/data/Online-Publikationen/2020/NAKOS-Corona-Selbsthilf…
[4] https://www.leben-mit-corona.ch/Willkommen/
[5] https://espan-klinik.de/die-klinik/team/
## AUTOREN
Marthe Ruddat
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
Gesundheit
Pandemie
Long Covid
IG
Schwer mehrfach normal
Petition der Woche
Geschmackssache
Long Covid
Schwerpunkt Coronavirus
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Coronavirus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Long Covid bei Kindern: Sie kann nicht mehr alleine stehen
Die ehemals kerngesunde, geimpfte Tochter unserer Autorin erholt sich nicht
nach einer relativ milden Covid-19-Erkrankung. Hilfe gibt es keine.
Petition der Woche: Nicht einfach nur müde
Wer an ME/CFS erkrankt, muss oft um den Status „krank“ kämpfen, um nicht
einfach nur als „müde“ zu gelten. Eine Petition macht darauf nun
aufmerksam.
Sinnesverluste bei Covid-19: Kaffee war nur würziges Wasser
Nur noch matschig oder kross: Wenn Infizierte nichts mehr schmecken und
riechen. Drei Protokolle.
Studie zu Long Covid: Coronaspätfolgen auch bei Kindern
Auch Kinder können noch Monate nach einer Infektion unter Symptomen leiden,
wie eine Studie zeigt. Die Ergebnisse sind mit Vorsicht zu betrachten.
Corona-Todesfälle in Deutschland: 1.000 Tote und mehr
Der neue Höchststand an Todesfällen war von StatistikerInnen erwartet
worden. In den nächsten Wochen gibt es kaum Aussicht auf Besserung.
Langzeitfolgen einer Covid-19-Erkrankung: Nur statistisch genesen
Viele Menschen leiden auch noch, nachdem sie Covid-19 überstanden haben.
Demenzielle Schäden und Organversagen sind Folgen. Ein Besuch in der
Reha-Klinik von Bad Lippspringe.
FDP-Politikerin über Folgen von Covid-19: „Das war der Horror“
Karoline Preisler war an Covid-19 erkrankt und kämpft noch mit den Folgen.
Die FDP-Politikerin sucht heute auf Demos das Gespräch mit
Coronaleugner:innen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.