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# taz.de -- FDP-Politikerin über Folgen von Covid-19: „Das war der Horror“
> Karoline Preisler war an Covid-19 erkrankt und kämpft noch mit den
> Folgen. Die FDP-Politikerin sucht heute auf Demos das Gespräch mit
> Coronaleugner:innen.
Bild: Sobald Karoline Preisler, hier auf einer Demo in Konstanz, das Schild aus…
taz: Frau Preisler, Sie sind selbst an Covid-19 erkrankt und kämpfen noch
mit Spätfolgen. Wie geht es Ihnen gerade?
Karoline Preisler: Ich habe mich im März angesteckt und musste auch auf die
Isolierstation im Krankenhaus. Dort bekam ich Schlaf- und Schmerzmittel und
Medikamente für die Lunge, Sauerstoff hat mir geholfen. Dann ging es mir
sehr schnell besser. Aber als ich wieder zu Hause war und die Quarantäne
verließ, war ich noch lange nicht gesund. Ich war nur nicht mehr
ansteckend.
Womit hatten Sie noch zu kämpfen?
Mir sind elf Wochen später die Haare ausgegangen, ich hatte Probleme mit
der Fitness und der Atmung. Und ich hatte Sprachstörungen: Ich habe einen
Satz im Kopf gebildet, aber wenn ich ihn aussprechen wollte, dann kam er
nicht so raus, wie ich wollte. Worte wurden dann ausgetauscht, so als hätte
ich mich im Bücherregal vergriffen. Ich habe zwei Tage lang in Sätzen
zusammenhangslos „Zähneputzen“ gesagt und an einem Tag ständig
„Brandenburg“. Das war der Horror. Mittlerweile kann ich meine Kraft gut
einteilen und ich glaube, dass ich bald vollständig genese. Darauf freue
ich mich jetzt schon. Aber noch rieche ich manchmal Sachen, die nicht da
sind. Wenn ich zum Beispiel einen Apfel esse, dann rieche ich manchmal
Brathähnchen. Manchmal aber auch Zigarettenrauch, das ist nicht witzig.
Mein Herzmuskel ist angegriffen, auch das ist unschön.
Sie sind von Anfang an sehr offensiv mit Ihrer Erkrankung umgegangen. Auf
Twitter haben Sie unter dem Hashtag #Coronatagebuch begonnen, Ihre
Erfahrungen zu teilen. Warum haben Sie das gemacht?
Ich hab mich bei meinem Mann angesteckt, er war corona-positiv, aber wusste
es damals nicht. Als wir das erfahren haben, bin ich sofort in freiwillige
Quarantäne gegangen – mit drei kleinen Kindern. Mein Mann ist
Bundestagsabgeordneter, er war in Berlin, ich in Mecklenburg-Vorpommern.
Dann musste ich überlegen: Wie geht Quarantäne mit kleinen Kindern, wenn
man keinen Balkon oder Garten hat, wie leben Gesunde und eventuell Kranke
zusammen? Im Internet habe ich keine Erfahrungsberichte gefunden zu
Covid-19 und Familien. Deshalb wollten wir Tagebuch führen, um unsere
Erfahrungen mit anderen zu teilen. Inzwischen haben über 6 Millionen
Menschen Zugriff darauf gehabt. Für uns als Familie ist das ein gelungenes
Aufklärungsprojekt.
Aber es gibt auch Menschen, die Corona leugnen. Gibt es auch negative
Reaktionen?
Es gibt Leute, die sagen, ich solle gefälligst leise sterben. Oder Leute,
die sagen: Ich sei der beste Beweis, dass Corona keine schreckliche,
tödliche Krankheit ist. So etwas nehme ich nicht persönlich. Wir haben uns
nur wegen der außergewöhnlichen Krankheit für diesen außergewöhnlichen Weg
der Kommunikation entschieden. Mir geht es nicht um mein eigenes Schicksal,
sondern darum, eine unbekannte Krankheit etwas bekannter zu machen. Ich
habe mir zu Beginn meiner Corona-Erkrankung mehr Informationen gewünscht.
Sie fehlten.
Sie reisen sogar zu „Querdenken“-Demos und suchen das Gespräch. Am
vergangenen Wochenende in Leipzig, davor in Berlin. Was treibt Sie an?
Also die Aufklärungsarbeit über Covid 19 ist das eine. Doch die
Demonstrationen werden unter der Überschrift „Kritik an Coronamaßnahmen“
angemeldet, aber sie haben auch einen anderen Subtext.
Welchen?
Zum Beispiel die ausgewählten Daten. In Leipzig ist am 7. November 1989 die
DDR Regierung geschlossen zurückgetreten. Ich komme selbst aus der
ehemaligen DDR und für viele Ostler ist das ein wichtiges Datum. In
Ostberlin und in Leipzig gab es damals Demonstrationen auf den gleichen
Plätzen und Straßen. Damals hat die friedliche Demonstration stattgefunden,
die Querdenker spielen mit unserer Erinnerungskultur. Sie missbrauchen eine
historische Meisterleistung eines ganzen Landes. [1][Die Querdenker zeigen
bewusst Bilder von 1989 und nennen sich Diktaturopfer.] Ich finde es
wichtig über die Verhältnismäßigkeit von Coronamaßnahmen zu diskutieren.
Und ich finde Versammlungsfreiheit extrem wichtig – immerhin habe ich
selbst hart dafür gekämpft. Aber wenn jemand heute von Diktatur spricht, in
einem Zeitalter, wo wir Gewaltenteilung haben und wo jeder noch so quere
Gedanke geäußert werden kann, dann ist er perfide und dreist. Damit haut
man den Opfern der SED-Diktatur so richtig eine rein. Deshalb bin ich nach
Leipzig gefahren, mit meiner Perspektive als Coronapatientin und als
ehemalige DDR-Bürgerin. Die friedliche Revolution 1989 war von
Verantwortung und Gewaltlosigkeit getragen. [2][Diese aktuellen
Demonstrationen sind es nicht.]
Sie haben auf den Demos immer ein Schild dabei. Darauf steht: „Ich hatte
Covid-19 und mache mir Sorgen um euch.“ Wie reagieren die Leute auf Sie?
Sobald ich das Schild auspacke, fangen Gespräche an. Deshalb packe ich es
auch nur mit Bedacht aus. Es kommt extrem gut an. Fast jeder, der auf diese
Demos geht, hat ja ein Anliegen. Es gibt leider auch genug, die auf dem
rechten Auge blind sind und „Volkssturm“ machen wollen. Doch es gibt auch
Demonstrierende, die über Menschen in Altersheimen sprechen wollen, über
Maskenschutz für Grundschulkinder. Da höre ich zu, äußere meine
Perspektive, nenne Ansprechpartner, widerspreche teils auch heftig. Aber
ich weise auch auf andere Demonstrationsteilnehmende hin, die eindeutig als
Rechte, Hooligans oder Antisemiten erkennbar sind. Ich sage dann: Sie haben
so gute Gründe, aber sie befinden sich in so schlechter Gesellschaft.
Und was antworten die dann?
Viele weisen darauf hin, dass sie nicht rechts sind, dass sie mit
Schlägereien nichts zu tun haben wollen. Aber ich kann sie nicht aus der
Verantwortung entlassen, denn sie laufen Seite an Seite mit Extremisten. In
Leipzig waren unfassbar viele Menschen ohne Masken und ohne Abstand, mit
sehr viel Alkohol und Lust auf Tabubruch unterwegs. Menschen, die vom
Äußeren und Inneren und mit der verwendeten Sprache ganz klar rechts
einzuordnen sind.
Sie und Ihre Familie [3][stehen bereits auf Neonazilisten]. Haben Sie keine
Angst, das Schild auszupacken?
Ich wäge immer genau ab, was ich tue. Mein Mann ist auch Politiker und wir
haben eine Verabredung: Es soll immer nur einer von uns auf einer
Veranstaltung sein, die gefahrengeneigt ist. Der andere muss bei den
Kindern sein. Und ich halte mich nach Möglichkeit immer in der Nähe der
Polizei auf und bin froh, dass solche Ereignisse von der Presse begleitet
werden.
Warum ist das Ihnen wichtig?
Ich hatte beispielsweise ein Gespräch mit einem Fernsehsender, dann kam ein
Mann reingeplatzt und sagte, ich würde Hass schüren. Er sagte in etwa, dass
Deutschland Widerstand brauche, er habe so viele Beweise für Rechtsbeugung.
Das war ein Anwalt aus Hamburg. Im Nachgang hat er mir eine E-Mail
geschrieben, dass das nicht veröffentlicht werden soll. Aber ich bin ja
keine Medienvertreterin. Wenn er da in Mikrofone spricht, dann muss er sich
an das Team wenden, das das aufgezeichnet hat. Er hat mir dann geantwortet,
dass er mir nach unserer Begegnung noch lange „seine Jungs“
hinterhergeschickt habe, um mich zu beobachten.
Er wollte Sie einschüchtern.
Genau, ich habe jetzt ein Kontaktverbot ausgesprochen. Mein
Gesprächsangebot gilt nur denen, die die Grundregeln der Debattenkultur
akzeptieren. Mein Mann hat später gesagt, reg dich nicht so auf, du stehst
sowieso schon auf rechten Feindeslisten.
Das ist ja ganz schön makaber.
Ja, aber wahr. Heute muss man als Politikerin damit rechnen. Schade, dass
es so ist. Ich finde es außerdem schade, dass das Anlegen von Feindeslisten
aktuell noch nicht strafbar ist.
Da kommt so viel zusammen: Corona, „Querdenken“-Demos, rechte
Bedrohungslage. Wie bewerten Sie denn als FDP-Politikerin und als
Covid-19-Patientin die aktuellen Maßnahmen?
Neben der Suspendierung der Parlamente, womit die Gewaltenteilung
aufgeweicht wird, gibt es einen weiteren wichtigen Punkt: Die Maßnahmen
sind sehr schwer durchschaubar für die Leute, die sie ausführen müssen. Am
Anfang waren Kirchen zu, jetzt sind sie auf. Oder: Erst heben Gerichte die
Beherbergungsverbote auf und zack, wenige Tage später, wie ein kleines
trotziges Kind, macht die Bundesregierung alle Beherbergungsbetriebe zu.
Das ist doch ein Tritt in den Hintern der Judikative!
Die Liberalen wollen die Maßnahmen anhand des lokalen Infektionsgeschehen
ableiten. Aber das führt doch dazu, dass überall unterschiedliche Regeln
gelten.
Sie sprechen den wundesten Punkt an, den es aktuell gibt. Trotzdem: Die
Verantwortung liegt in den Bundesländern und auch dort sollten wir viel
kleinteiliger auf das Infektionsgeschehen reagieren. Denn: Föderalismus ist
Totalitarismusschutz.
Aber er befördert auch die unübersichtliche Situation, die Sie bemängeln.
Ich bin für regionale Lösungen, aber eine gemeinsame Linie, um das
Infektionsgeschehen einzudämmen. Ein Beispiel: Die Kultusministerkonferenz
der Länder könnte sehr wohl für Schulen etwa bestimmte Maßnahmen festlegen,
unter anderem hybriden Unterricht, kleinere Klassen, Lüftungssysteme und
einen deutlich besseren Schutz für Lehrkräfte. Wir hatten doch die ganzen
Sommerferien Zeit, aber trotzdem gibt es kein gutes Konzept, das beklage
ich.
12 Nov 2020
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## AUTOREN
Jasmin Kalarickal
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