| # taz.de -- Debatte nach Leipziger Corona-Demo: Sächsischer Kontrollverlust | |
| > Nach den Ausschreitungen in Leipzig gibt es parteiübergreifend Kritik an | |
| > den sächsischen Behörden. Bundesinnenminister Seehofer schweigt. | |
| Bild: Konnten fast ungestört demonstrieren: Coronaleugner am Samstag in Leipzig | |
| Leipzig/Berlin taz | Am Sonntag erreicht das Demo-Fiasko die Bundespolitik. | |
| Tags zuvor waren [1][Zehntausende Gegner der Coronamaßnahmen in Leipzig] | |
| aufgezogen, und mit ihnen Neonazis und Hooligans. Mundschutz und Abstände | |
| wurden ignoriert, Flaschen und Pyrotechnik flogen, JournalistInnen wurden | |
| angegriffen, die Polizei überrannt. Ein Chaos mit Ansage. Nun folgt die | |
| politische Abrechnung. | |
| Als eine der Ersten erklärt Bundesjustizministerin Christine Lambrecht | |
| (SPD), die Vorgänge in Leipzig seien „durch nichts zu rechtfertigen“. „D… | |
| Demonstrationsfreiheit ist keine Freiheit zur Gewalt und zur massiven | |
| Gefährdung anderer.“ Die Polizei dürfe „marodierenden Gewalttätern nicht | |
| das Feld überlassen“. Solche Szenen dürften sich in der Pandemie nicht | |
| wiederholen. Außenminister Heiko Maas (SPD) schließt sich an: Auch für ihn | |
| verließen die gewalttätigen Demonstrierenden „den Schutzbereich dieses | |
| Grundrechts“. | |
| Auch SPD-Chef Saskia Esken nennt die Polizei „völlig überfordert“. Viele | |
| der Corona-Protestierenden seien „nur rechtsradikale Hetzer, Verleumder und | |
| Denunzianten“. Grünen-Chefin Annalena Baerbock zieht Parallelen zu Chemnitz | |
| und Heidenau. Polizei und Staat hätten Pandemie-Leugner und Neonazis | |
| gewähren lassen. „Das muss auf allen Ebenen aufgeklärt werden.“ | |
| Auch innerhalb der schwarz-rot-grünen Koalition in Sachsen brodelt es | |
| gewaltig. In einer Sondersitzung soll der sächsische Innenausschuss das | |
| Geschehen aufarbeiten. Vize-Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) will das | |
| Thema auch im Kabinett „in aller Deutlichkeit“ ansprechen: Der Staat habe | |
| sich „in Leipzig am Nasenring durch die Manege führen lassen“. Die Grünen | |
| fordern bereits den Rücktritt von Innenminister Roland Wöller (CDU). Sein | |
| „Nichthandeln“ sei „nicht mehr tragbar“. | |
| ## Neonazis bei der Demo? Kretschmer schweigt dazu | |
| Doch an Wöller und seinem Chef, Ministerpräsident Michael Kretschmer, perlt | |
| die Kritik vorerst ab. Am späten Nachmittag laden beide zu einer | |
| Online-Pressekonferenz. Zwei Statements sind es eigentlich nur, Fragen | |
| nicht erlaubt. Und die beiden CDU-Männer geben sich auffällig | |
| zurückgenommen. Kretschmer wirft den Protestierenden zwar „Hybris“ vor. Ihr | |
| Aufzug sei in diesen Pandemiezeiten „in höchstem Maße eine Gefährdung“ | |
| gewesen. „Für uns alle.“ Über die Neonazis, die angegriffenen | |
| JournalistInnen oder die überrumpelte Polizei aber verliert Kretschmer kein | |
| Wort. | |
| Innenminister Wöller ebenso wenig. Er kritisiert vor allem das | |
| Oberverwaltungsgericht Bautzen, das den Corona-Protestzug am Samstag doch | |
| noch in der Innenstadt erlaubt hatte – nachdem die Stadtverwaltung diesen | |
| an den Stadtrand verlegt hatte. „Unverständlich“ sei die Entscheidung. Es | |
| sei klar gewesen, dass die Protestierenden sich nicht an Masken und | |
| Abständen halten würden. Das Gericht habe damit „die größte Coronaparty m… | |
| über 20.000 Teilnehmern genehmigt“. | |
| Sonst aber verteidigt Wöller die Coronademonstration als „überwiegend | |
| friedlich“. Auch der Polizeieinsatz sei nicht zu beanstanden, gewalttätige | |
| Auseinandersetzungen mit Gegendemonstranten seien verhindert worden. „Der | |
| Polizei vorzuwerfen, sie hätte versagt, ist unsachlich und völlig abwegig“, | |
| betont Wöller. „Dies weise ich entschieden zurück.“ | |
| ## Kritik am Oberverwaltungsgericht Bautzen | |
| Eine gewaltsame Auflösung einer friedlicher Demonstration stand und stehe | |
| nicht zur Debatte. Wie solle die auch aussehen, fragt Wöller. „Einsatz von | |
| Zwang gegen Senioren oder Wasserwerfer gegen Kinder?“ Nur gab es eben auch | |
| die Rechtsextremen – die Wöller außen vor lässt. Scharf verurteilt er daf�… | |
| die brennenden Barrikaden in der Nacht nach der Demonstration in Connewitz. | |
| In der sächsischen Politik, und darüber hinaus, wird auch dieser Auftritt | |
| teils mit Kopfschütteln quittiert. Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung | |
| (SPD) gibt sich da längst „stinksauer, wie man die kommunale Ebene wieder | |
| einmal alleingelassen hat“. | |
| Tatsächlich stellen sich weiter viele Fragen. Durchaus auch an das | |
| Bautzener Oberverwaltungsgericht. Denn dass die „Querdenker“ Abstände und | |
| Mund-Nasen-Schutz ignorieren würden, war tatsächlich klar – es gehört zum | |
| Konzept und war bei vorherigen Protesten geübte Praxis. | |
| Auch war nach der bundesweiten Mobilisierung absehbar, dass es nicht bei | |
| 16.000 TeilnehmerInnen bleiben dürfte, welche die Richter als | |
| Teilnehmerobergrenze ausgaben. Allein 40 Reisebusse aus dem ganzen | |
| Bundesgebiet rollten am Samstag nach Leipzig. Bemerkenswert ist auch, dass | |
| der Vorsitzende OVG-Richter Matthias Dehoust zur Redaktion der Sächsischen | |
| Verwaltungsblätter gehört – in denen das Coronavirus zuletzt als „nicht | |
| wesentlich schlimmer“ als die gewöhnliche Grippe bezeichnet wurde. | |
| ## Polizei setzte Auflagen nicht durch | |
| Sachsens grüne Justizministerin Katja Meier richtet die Vorwürfe dagegen an | |
| die Polizei und kritisiert, dass die Auflagen nicht durchgesetzt wurden. | |
| Dort hatte man sich verteidigt, dass der Demonstrationszug nur mit immenser | |
| Gewalt aufzuhalten gewesen wäre. [2][Man habe auf Deeskalation gesetzt]. | |
| Nur: Dass der Protesttag schwierig werden würde und auch Rechtsextremisten | |
| breit nach Leipzig mobilisierten, war bereits im Vorfeld unübersehbar. | |
| Dennoch wirkten die Beamten unvorbereitet und überrumpelt. | |
| Am Sonntag reichte die Polizei Zahlen nach. Über das Wochenende sei es zu | |
| 102 Straftaten mit 89 Beschuldigten gekommen, darunter 14 Angriffe auf | |
| PolizistInnen und 13 weitere auf andere Personen. Es habe 31 Festnahmen und | |
| 140 notierten Verstöße gegen die Coronaschutzverordnung gegeben. | |
| Aufgeschlüsselt nach der Coronademo und dem Gegenprotest wurde dies nicht | |
| weiter. Auch Angriffe auf Medienvertreter wurden, obwohl teils auf Videos | |
| dokumentiert, nicht vermerkt. Verdi sprach von 32 verletzten | |
| JournalistInnen. Die Polizei bat, diese sollten sich melden – bisher habe | |
| man davon keine Kenntnis. | |
| Die Frage bleibt, wie mit dem Coronaprotest weiter umgegangen werden muss – | |
| und das bundesweit. Denn ähnliche Szenen gab es ja bereits [3][Ende August | |
| in Berlin]. Kretschmer und Wöller kündigten an, das Versammlungsrecht an | |
| die sächsische Pandemieschutzverordnung anpassen zu wollen. Ansonsten | |
| appellierten sie an „Vernunft und Rücksicht“. | |
| ## Coronaprotestierende feiern Demo als Erfolg | |
| Bei den Organisatoren um die „Querdenken 711“-Initiative aus Stuttgart ist | |
| darauf indes nicht zu hoffen. Sie feierten den Samstag als Erfolg. Man habe | |
| erfolgreiche Bilder produziert und eine „sehr freundliche und | |
| freundschaftliche Kooperation mit der Bundespolizei“ erlebt, erklärte deren | |
| Anwalt Markus Haintz. „We will win!“ | |
| Fragen nach den angereisten Neonazis wiesen die Organisatoren am Sonntag | |
| dagegen als „Denunzierung“ zurück. Man sei eine „friedliche, | |
| überparteiliche Bewegung“, distanziere sich von Rechts- wie Linksextremen, | |
| so eine Erklärung. Wer sich dem Protest anschließe, könne man weder wissen | |
| noch kontrollieren. Auch die NPD sei nicht verboten. „Wir sind nicht die | |
| politischen Erziehungsberechtigten der Demonstranten.“ | |
| Zu all dem schwieg am Sonntag einer: Bundesinnenminister Horst Seehofer | |
| (CSU). Aus seinem Ministeriums wurde nur auf den „äußerst heterogenen“ | |
| Charakter des Coronaprotests verwiesen, in dem Einzelne „Gewalt zur | |
| Verwirklichung ihrer Ziele einsetzen“. Allgemeine Aussagen zum | |
| Protestgeschehen könnten aber bisher nicht getroffen werden. | |
| 8 Nov 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Querdenker-Protest-in-Leipzig/!5726829 | |
| [2] /Querdenken-Demo-in-Leipzig/!5726826 | |
| [3] /Demonstration-gegen-Corona-Regeln/!5706392 | |
| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
| ## TAGS | |
| Verschwörungsmythen und Corona | |
| Leipzig | |
| Michael Kretschmer | |
| Verschwörungsmythen und Corona | |
| Coronaleugner | |
| Sachsen | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Leipzig | |
| Polizei | |
| Verschwörungsmythen und Corona | |
| Verschwörungsmythen und Corona | |
| Verschwörungsmythen und Corona | |
| Leipzig | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| FDP-Politikerin über Folgen von Covid-19: „Das war der Horror“ | |
| Karoline Preisler war an Covid-19 erkrankt und kämpft noch mit den Folgen. | |
| Die FDP-Politikerin sucht heute auf Demos das Gespräch mit | |
| Coronaleugner:innen. | |
| Corona-Protest nach Leipzig-Demo: Sie radikalisieren sich weiter | |
| Corona-Protestler taten sich mit Neonazis zusammen. Einige Politiker sind | |
| alarmiert. Verfassungsschutz will breiter überwachen. | |
| Koalitionsstreit nach Coronademo: CDU-Innenminister unter Druck | |
| In Sachsen schießen sich die Parteien nach der Demo in Leipzig auf Roland | |
| Wöller ein. Bürgermeister wirft Gerichten ideologische Erwägungen vor. | |
| Demo von „Corona-Skeptiker:innen“: Seehofer verteidigt Polizei | |
| Tausende Nazis und Verschwörungsideolog:innen protestieren Samstag | |
| ungehindert in Leipzig. Die Polizei habe nichts falsch gemacht – meint der | |
| Innenminister. | |
| „Querdenken“-Demo in Leipzig: Und die Polizei guckt zu | |
| Bei Protesten von Coronaleugner:innen in Leipzig wurden Journalist:innen | |
| angegriffen. Für die Polizei eine „weitestgehend“ friedliche Veranstaltung. | |
| „Querdenker“-Protest in Leipzig: Triumph der Coronaleugner:innen | |
| Zehntausende Demonstrierende widersetzen sich in Leipzig der Polizei und | |
| den Infektionsschutzmaßnahmen – auch mit Gewalt. | |
| Coronaskeptiker in Leipzig: Tausende trotzen Demoauflösung | |
| Zum „Querdenken“-Protest kommen mehrere Zehntausend nach Leipzig, auch | |
| Nazis und Hooligans. Polizei beendet die Demo, sie läuft aber dennoch. |