| # taz.de -- Auswirkungen der Klimakrise: Sie macht uns alle krank | |
| > Zu heiß für die Menschen: Die Folgen der Erderhitzung werden die | |
| > Gesundheitssysteme vieler Länder überlasten, warnt eine Studie. | |
| Bild: Der Schmierstoff des Kapitalismus macht uns alle krank | |
| Berlin taz | Hitzeschläge, Verletzungen durch Wirbelstürme, Mangelernährung | |
| – die Klimakrise verursacht nicht nur ökologische Schäden, sondern auch | |
| gesundheitliche. Das ist kein Problem der fernen Zukunft. „Wir spüren die | |
| Folgen der Klimakrise am eigenen Leib, auch in Deutschland“, sagt die | |
| Ärztin Sabine Gabrysch, Deutschlands erste Professorin für Klimawandel und | |
| Gesundheit an der Berliner Charité. „Das zeigt sich hier zum Beispiel an | |
| Hitzewellen und einer Verlängerung der Pollensaison.“ | |
| Davor warnen auch weitere Wissenschaftler:innen, etwa in der kürzlich | |
| erschienenen Studie [1][Lancet Countdown]. Der Report ist eine groß | |
| angelegte Forschungskooperation von 120 Wissenschaftler:innen aus 38 | |
| akademischen Institutionen sowie UN-Organisationen wie der | |
| Weltgesundheitsorganisation und der Weltbank. Sie arbeiten in verschiedenen | |
| Disziplinen, darunter natürlich in der Medizin und der Klimatologie, aber | |
| etwa auch in der Soziologie oder in den Wirtschaftswissenschaften. | |
| „Wir sind jetzt schon bei einer Erderwärmung von 1,2 Grad, und kein Land | |
| ist davon nicht betroffen“, sagte Ko-Autor Tadj Oreszczyn vom University | |
| College London bei der Präsentation der Ergebnisse. In den vergangenen zwei | |
| Jahrzehnten sei die Anzahl der hitzebedingten Todesfälle bei älteren | |
| Menschen – damit sind Personen über 65 Jahren gemeint – weltweit um fast 54 | |
| Prozent gestiegen, heißt es in dem Bericht. Im Jahr 2018 habe es bereits | |
| weltweit 296.000 hitzebedingte Todesfälle bei über 65-Jährigen gegeben – | |
| 20.200 davon in Deutschland. | |
| Das sei „ein hoher Preis an menschlichen Leben und Leiden“, schreiben die | |
| Autor:innen. Zudem haben sie auch noch die wirtschaftlichen Auswirkungen | |
| dieser vorzeitigen Tode geschätzt. In Indien und Indonesien würden die | |
| verloren gegangenen Arbeitsstunden 4 bis 6 Prozent des jährlichen | |
| Bruttoinlandsprodukts entsprechen, haben die Forscher:innen errechnet. In | |
| Europa gehe es um 1,2 Prozent des regionalen Bruttoinlandsprodukts. | |
| ## Menschen immer häufiger Waldbrandrisiko ausgesetzt | |
| Ein weiterer Aspekt: Viele Menschen sind immer häufiger einem „sehr hohen“ | |
| oder „extrem hohen“ Waldbrandrisiko ausgesetzt. In 114 Ländern konnten die | |
| Wissenschaftler:innen nachweisen, dass es im Zeitraum von 2016 bis 2019 | |
| mehr Tage gab, an denen das galt, als im Vergleichszeitraum von 2001 bis | |
| 2004. | |
| Zudem gibt es indirekte Gesundheitsfolgen der Klimakrise, etwa | |
| Mangelernährung, weil Dürren, Stürme und Fluten die Ernten bedrohen. Der | |
| mögliche Ertrag der wichtigsten Feldfrüchte sei zwischen 1981 und 2019 um | |
| bis zu 5,6 Prozent gesunken. Auch die Bedingungen für die Übertragung von | |
| Infektionskrankheiten würden mit der Klimakrise erleichtert, beispielsweise | |
| weil Erreger durch das veränderte Klima in neue Regionen vordringen. | |
| Die Autor:innen warnen davor, dass diese Folgen der Klimakrise die | |
| Gesundheitssysteme weltweit künftig überlasten dürften. Fast alle seien | |
| unterfinanziert. Und nur die Hälfte der untersuchten Länder beachten laut | |
| der Lancet-Studie den Klimawandel in ihren nationalen Gesundheitsplänen. | |
| ## Gesundheitliche Auswirkungen ungleich verteilt | |
| Noch etwas geben die Autor:innen zu bedenken: Obwohl die Klimakrise | |
| niemanden komplett verschone, seien die gesundheitlichen Auswirkungen | |
| weltweit völlig ungleich verteilt. Sie träfen „überproportional jene | |
| Bevölkerungsgruppen, die am wenigsten zum Problem beigetragen haben“, heißt | |
| es. Grund: Industrie- und Schwellenländer sind Verursacher, ärmere Regionen | |
| leiden. Das stelle die Frage nach Gerechtigkeit, schreiben die | |
| Forscher:innen, da der Klimawandel mit bestehenden sozialen und | |
| wirtschaftlichen Ungleichheiten in Wechselwirkung trete – und sie | |
| verschärfe. „Trotz dieser klaren und eskalierenden Anzeichen ist die | |
| globale Antwort auf den Klimawandel verhalten, und die nationalen | |
| Bemühungen bleiben weit hinter den im Pariser Abkommen eingegangenen | |
| Verpflichtungen zurück“, kritisieren die Autor:innen. | |
| Das Ziel des Klimavertrags ist es, die Erderhitzung bei „deutlich unter 2 | |
| Grad“ gegenüber vorindustriellem Niveau zu halten, möglichst sogar bei 1,5 | |
| Grad. Die nationalen Klimaziele für 2030, mit denen die Staaten dieses | |
| Vorhaben vor fünf Jahren unterfüttert haben, reichen dafür lange nicht aus. | |
| Eine neue Prognose gibt allerdings Anlass zur Hoffnung: Jüngere politische | |
| Versprechen bringen die Pariser Ziele zumindest theoretisch in Reichweite, | |
| wie die beiden Denkfabriken New Climate Institute und Climate Analytics in | |
| ihrem gemeinsamen Projekt [2][Carbon Action Tracker ermittelt haben]. | |
| Mittlerweile haben mehrere Regierungen angekündigt, wann sie klimaneutral | |
| werden wollen. Das bedeutet: nur noch so viel Treibhausgas ausstoßen, wie | |
| der Atmosphäre auch wieder entzogen werden, etwa durch Wälder und Moore. | |
| China will diesen Punkt 2060 erreichen, die EU 2050, die USA laut dem | |
| designierten Präsidenten Joe Biden ebenso. 127 Staaten haben solche Ziele | |
| oder wollen sie bald beschließen. Würden sie alle umgesetzt, wäre laut dem | |
| Carbon Action Tracker für das Jahr 2100 eine Erderhitzung von 2,1 Grad zu | |
| erwarten – mit mutmaßlich katastrophalen Folgen für alle | |
| Erdenbewohner:innen. | |
| Fraglich ist auch, ob die Ziele vom Papier in die Realität kommen. Das kann | |
| man mit Blick auf die Weichen, die die Regierungen nach aktueller Planung | |
| im kommenden Jahrzehnt stellen wollen, aber kaum erwarten. „Wir sehen die | |
| Emissionen noch bis nach 2030 steigen, was die Regierungen nicht auf den | |
| richtigen Pfad für ihre ambitionierten Klimaneutralitätsversprechen | |
| bringt“, sagte Bill Hare von Climate Analytics. „Die kurzfristigen Ziele | |
| sind nicht ein bisschen, sondern total auf Abwegen.“ | |
| 7 Dec 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.lancetcountdown.org/ | |
| [2] https://climateactiontracker.org/press/global-update-paris-agreement-turnin… | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Schwarz | |
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