# taz.de -- Ghana vor der Wahl: Arbeit! Arbeit! Arbeit! | |
> Als Nana Akufo-Addo, langjähriger Oppositionsführer, 2016 Präsident | |
> Ghanas wurde, versprach er Arbeitsplätze. Am Montag will er wiedergewählt | |
> werden. | |
Bild: Abschlussveranstaltung des Präsidenten Akufo-Addo in Accra, Samstag | |
ACCRA taz | Samstagmittag in Accra. Es ist kein Durchkommen. Ein Autofahrer | |
hupt verzweifelt. Anhänger*innen der Neuen Patriotischen Partei (NPP) haben | |
den Kreisverkehr in Kokomlemle, ein eng besiedeltes Viertel in der | |
ghanaischen Hauptstadt, in Beschlag genommen. Sie tragen weiße T-Shirts mit | |
dem Konterfei von Präsident Nana Akufo-Addo, dazu Hüte in den Parteifarben | |
Rot und Blau und machen mit ihren Vuvuzelas mächtig Lärm. | |
In Zeiten von Covid-19 ist das keine Wahlkampfveranstaltung, sondern ein | |
sogenannter „Health Walk“. Sichtbar ist die NPP damit dennoch wie keine | |
andere Partei in dem Land mit knapp 30 Millionen Einwohner*innen, wo am | |
Montag der Präsident neu gewählt wird. | |
Umfragen zufolge liegt Akufo-Addo, 76, vor Herausforderer John Mahama, 62, | |
Spitzenkandidat des Nationalen Demokratischen Kongress (NDC). Mahama | |
regierte bis 2016, [1][unterlag dann aber Akufo-Addo], der zuvor der ewige | |
Zweite geblieben war. Die Wahl 2020 soll die Revanche für Mahama werden und | |
abermals zeigen: Ghana ist Westafrikas führende Demokratie, in der es | |
regelmäßig zu friedlichen Machtwechseln an der Urne kommt. | |
Irgendwann nach 20 Uhr lässt sich Accra wieder einigermaßen durchqueren. Es | |
wird geschätzt, dass mittlerweile mehr als vier Millionen Menschen hier | |
leben. Der Verkehr reicht noch nicht an Nigerias Megacity Lagos heran, aber | |
zu Stoßzeiten steht man stundenlang im Stau. Es fehlt ein durchdachter | |
öffentlicher Personennahverkehr, um vor allen jenen das Leben leichter zu | |
machen, die sich die teuren Wohnungen im Zentrum nicht leisten können. | |
Vor einigen Monaten gab es den Vorstoß, Mopedtaxen zuzulassen, wie in Benin | |
und Nigeria. Die fahren schneller, aber machen den Verkehr eher noch | |
unübersichtlicher. | |
Freddie Blay muss am nächsten Tag hinaus in Ghanas zweitgrößte Stadt Kumasi | |
fahren, theoretisch drei Autostunden entfernt. Der NPP-Vorsitzende sitzt | |
gelassen und siegessicher auf einem dunkelbraunen Ledersofa in seinem Haus | |
im Stadtteil East Legon. „Wahlkampf zu führen, das ist für uns ein | |
Leichtes“, findet er. „Die Regierung hat gute Arbeit geleistet, unser | |
größter Herausforderer war schon mal an der Macht. Wir können daher gut | |
vergleichen, welche Regierung was erreicht hat.“ Das mache den Wahlkampf | |
friedlich und sachlich. | |
## Pluspunkt: kostenlose Oberschule | |
Also was hat Nana Akufo-Addo in vier Jahren erreicht? Sein größter Trumpf | |
heißt SHS (Senior High School), der nunmehr kostenfreie Besuch der | |
Oberschule, deren Abschluss zum Studium berechtigt. Egal ob bei Debatten im | |
Radio oder Gesprächen auf der Straße: Das ist das Thema schlechthin, wofür | |
der Amtsinhaber viel Lob erhält. | |
Die Grundlage dafür stammt aus der Regierungszeit seines Vorgängers. Mahama | |
ist es aber nicht gelungen, dies als seine Errungenschaft zu präsentieren. | |
Akufo-Addo zielt noch weiter. Ende September gab die Regierung bekannt, | |
dass mittlerweile vier von fünf weiterführenden Schulen in Ghana – | |
insgesamt gibt es 722 – mit kostenfreiem WLAN ausgestattet sind. Für die | |
Umsetzung des mehr als 11 Millionen US-Dollar teuren Projekts sind die | |
ghanaischen Elektrizitätswerke verantwortlich. „Eine wichtige Initiative“, | |
sagt Issac Jay Hyde, Präsident der nationalen Student*innenunion NUGS. | |
„Wir gehen davon aus, dass im kommenden Jahr jede Schule vernetzt ist.“ | |
Das klingt modern und fortschrittlich. Hyde, der Management, Jura und | |
Kommunikationswissenschaften studiert, gibt aber zu: Die Unterschiede | |
zwischen dem Norden und Süden des Landes seien enorm. Accra ist gut | |
vernetzt, international und teuer. An der Grenze zu Burkina Faso, 600 | |
Kilometer nördlich, findet hingegen sogar Informatikunterricht ohne | |
Computer, Bildschirme und Tastaturen statt, die Lehrer*innen malen Mäuse | |
und Drucker mit Kreide an die Tafel, berichtet Hyde – aber alle schreiben | |
am Ende die gleichen Prüfungen. | |
Man muss nicht in den Norden fahren, um zu sehen, dass Ghanas | |
Modernisierung nicht alle erreicht. In Ashaiman östlich von Accra ist keine | |
Straße geteert. Migrant*innen aus dem ganzen Land sowie den Nachbarstaaten | |
leben in kleinen Häusern dicht beieinander. Ihnen gelingt es nicht, in | |
Accra Fuß zu fassen. Es bleibt nur, sich hier vor den Toren der Metropole | |
mit dem Verkauf von Obst und pappigem Weißbrot durchzuschlagen. An den | |
Kreuzung stehen Kinder, die eigentlich lernen sollten, aber Geld verdienen | |
müssen. Vom verbesserten Bildungssystem profitieren sie nicht. | |
Issac Jay Hyde bewertet die Regierung Akufo-Addo auf einer Skala von eins | |
bis zehn daher lediglich mit der Note 7,5. Das Streben nach mehr Ausbildung | |
sei zwar löblich. Doch dann müssen auch Jobs für die Schul- und | |
Studienabgänger geschaffen werden. „Es geht nicht einmal darum, eine | |
ordentliche Arbeit zu finden, sondern darum, überhaupt etwas zu haben und | |
vor den Eltern nicht als Versager dazustehen. Viele meiner Freunde sind | |
ständig auf der Suche und pumpen wiederum Freunde und Familie an.“ | |
Laut einer Untersuchung der University of Ghana in Accra aus dem Jahr 2017 | |
fand nur jede*r Zehnte im ersten Jahr nach der Ausbildung eine Arbeit. | |
Mitunter kann es bis zu zehn Jahren dauern, um eine geregelte Anstellung zu | |
finden. Daran ändert auch die wachsende Start-up-Szene nichts. | |
Das treibt den Wunsch an, [2][nach Europa] oder [3][in die USA zu ziehen] | |
und einen Job zu finden. Uber-Fahrer sprechen darüber wie auch eine | |
Kassiererin im Supermarkt. „Ins Vereinigte Königreich, das wäre etwas“, | |
seufzt sie. „Dann könnte ich Geld nach Hause schicken.“ | |
## Minuspunkt: zu wenig Arbeitsplätze | |
Alarm schlug Ende September die Weltbank. In einem neuen Bericht heißt es, | |
dass die Jugendarbeitslosigkeit in Ghana bei 12 Prozent liegt, darüber | |
hinaus sind mehr als 50 Prozent nur geringfügig beschäftigt. Beide Zahlen | |
liegen über dem Durchschnitt in Afrika südlich der Sahara. Bis heute lebt | |
knapp jede*r Dritte in Ghana unterhalb der Armutsgrenze, hat also weniger | |
als 1,9 US-Dollar täglich zur Verfügung. | |
Derweil werden in East Legon, Osu oder der Airport Residential Area immer | |
neue Gebäude hochgezogen, die nur für eine kleine Bevölkerungsschicht | |
erschwinglich sind. | |
In East Legon verweist Freddie Blay auf das Regierungsvorhaben 1D1F. In | |
jedem der 216 Bezirke Ghanas soll eine Fabrik entstehen. Es klingt nach | |
Planwirtschaft. Der NPP-Vorsitzende setzt jedoch auf die Privatwirtschaft. | |
Der Staat könne nur unterstützen, beispielsweise durch Bedingungen bei der | |
Kreditvergabe. Auf der Homepage werden 28 neue und 48 bestehende Fabriken | |
gezählt. Wie viel Jobs damit geschaffen worden sind, lässt sich nicht | |
sagen. | |
Als Hindernis gilt auch Korruption. Angeheizt wurde die Debatte darüber, | |
als Anfang November Martin Amidu, der Sonderbeauftragte der Regierung zur | |
Korruptionsbekämpfung, zurücktrat, weil die Regierung seine Arbeit | |
beeinflussen wolle, wie der Oppositionspolitiker sagte. „Es ist ein Thema | |
des Wahlkampfs geworden“, gibt Blay zu. Aber: „Der NDC macht viel Lärm, um | |
uns zu schwächen. Dabei gibt es überall Korruption. In Nigeria ist sie | |
schlimmer als hier.“ | |
Franklin Cudjoe, Gründer von Imani, einem Zentrum für Politik und Bildung, | |
nennt die wirtschaftliche Entwicklung kurzsichtig. „Wir verschwenden unsere | |
Ressourcen“, kritisiert er. Obwohl in Wirtschaft und Ausbildung investiert | |
wird und Ghana als funktionierende Demokratie gilt, würden große Teile der | |
Bevölkerung arm bleiben. „Die letzten dreieinhalb Jahre sind ein echter | |
Rückschritt.“ | |
7 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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