# taz.de -- Journalistin über Gewalt in Mexiko: „Ich arbeite weiter“ | |
> Das Gros der tödlichen Gewalt gehe in Mexiko vom Staat aus, sagt die im | |
> Exil lebende Journalistin Anabel Hernández. Sie aber lässt sich nicht | |
> einschüchtern. | |
Bild: Lässt sich nicht einschüchtern: die mexikanische Journalistin Anabel He… | |
taz: Frau Hernández, Sie leben seit 2014 im Ausland, mussten Mexiko | |
aufgrund der Angriffe auf Sie und Ihre Familie verlassen. Haben Sie je | |
versucht zurückzukehren? | |
Anabel Hernández: Ja, 2016 habe ich einen Versuch unternommen. Damals aber | |
meine Kinder, meine Familie außerhalb von Mexiko gelassen, um kein Risiko | |
einzugehen. Ich habe versucht, erneut in Mexiko zu leben, aber es gab | |
massive Angriffe gegen mich – es hatte keinen Sinn. | |
Wie ist Ihre derzeitige Situation? | |
Ich lebe in Europa und habe während des mir auferlegten Exils gelernt, | |
meine Arbeit nicht aufzugeben. Das unterscheidet mich von vielen Kollegen, | |
die ins Exil gezwungen werden. Sie verstummen – und das ist ein doppeltes | |
Dilemma für den Journalismus. Ich habe weitergearbeitet und finanziere | |
meine Recherchen vor allem durch meine Bücher und [1][berichte für die | |
Aristegui Noticias.] | |
Wozu arbeiten Sie derzeit? | |
Ein roter Faden, der sich durch meine Arbeit zieht, ist die organisierte | |
Kriminalität in Mexiko und ihre Verbindungen zu den obersten Etagen der | |
Politik. | |
Mexiko ist das gefährlichste Land für Journalisten weltweit. 19 Morde gab | |
es allein in diesem Jahr. Von wem geht diese Gewalt aus? | |
Studien von Reporter ohne Grenzen oder Articulo 19 belegen, dass das Gros | |
der Gewalt von staatlichen Institutionen ausgeht. Die Journalist*innen | |
geraten in eine Sandwichsituation: auf der einen Seite die staatlichen | |
Akteure, auf der anderen die Kartelle. Von beiden werden sie bedroht, weil | |
sie die Verflechtungen zwischen beiden aufdecken. Beide Seiten haben kein | |
Interesse daran, dass die Bevölkerung informiert ist, dass sie die Wahrheit | |
erfährt. Das ist der zentrale Grund, weshalb wir mit Gewalt mundtot gemacht | |
werden sollen. | |
Welche Rolle spielt die Straflosigkeit, das Versagen der Justiz? | |
Das ist das zweite zentrale Element. In Mexiko gibt es eine | |
Straflosigkeitsquote von 96 Prozent, viele Verbrechen, auch und gerade | |
Kapitalverbrechen wie der Mord an den [2][43 Studenten von Ayotzinapa] oder | |
die Korruption von hochrangigen Politikern, bleiben ungeahndet, weil es | |
eine Interessengemeinschaft gibt. In vielen Fällen sind es die | |
Journalist*innen, die auf die Defizite bei den Ermittlungen hinweisen. | |
[3][Seit Ende 2018 ist Präsident Andrés Manuel López Obrador im Amt.] Hat | |
sich an der Situation seitdem etwas geändert? | |
Nein. Für 98 Prozent der Gewaltverbrechen an Journalist*innen werden keine | |
Strafen verhängt. Das ist ein Freifahrschein. Die Hoffnungen wurden | |
enttäuscht. | |
Wie würden Sie Ihre Situation im Exil beschreiben? | |
Für mich ist das Exil sehr ambivalent: Auf der einen Seite fühle ich mich | |
sicher, auf der anderen Seite wie amputiert. Ich musste mein Land | |
verlassen, meine Freunde, mein Haus, meine Wurzeln – das ist ein | |
schrecklicher Einschnitt in meinem Leben. Jedes Mal wenn ich nach Mexiko | |
zurückkehre, um zu recherchieren, sage ich mir: Okay, diese Leute haben es | |
geschafft, mich aus Mexiko zu vertreiben, aber sie haben es nicht | |
geschafft, mich mundtot zu machen. Für mich ist das Exil die einzige Weise, | |
wie mein Journalismus überleben kann. Es ist zynisch, aber das Exil ist die | |
einzige Chance, den Kräften, die Mexiko kontrollieren, ein Schnippchen zu | |
schlagen. Mexiko zu verlassen war für mich die einzige Option, um Mexiko | |
weiterhin nah zu sein. | |
4 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://aristeguinoticias.com/ | |
[2] /Verschwundene-Studenten-in-Mexiko/!5630441 | |
[3] https://monde-diplomatique.de/artikel/!5560210 | |
## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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