# taz.de -- Streit um Fernsehgebühren eskaliert: Keniakoalition am Abgrund | |
> CDU, SPD und Grüne in Sachsen-Anhalt können sich nicht einigen über die | |
> Rundfunkgebühren. Die Christdemokraten lehnen eine Erhöhung weiter ab. | |
Bild: Die AFD auf einer Kundgebung in Magdeburg würde den öffentlich-rechtlic… | |
BERLIN taz | Reiner Haseloff (CDU), Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, | |
hat drei Ziele, die einfach nicht zusammenpassen. Er ist gegen eine | |
Zusammenarbeit mit der AfD. Ein Teil der CDU würde durchaus lieber mit der | |
AfD als den Grünen regieren. Damit es dazu nicht kommt, tritt Haseloff (66) | |
im Juni 2021 bei der Landtagswahl noch einmal an. Das zweite Ziel ist: Die | |
Koalition von CDU, SPD und Grünen soll nicht zerbrechen. Das dritte: Die | |
CDU-Fraktion in Magdeburg ist gegen [1][die Erhöhung des Rundfunkbeitrags | |
um 86 Cent]. Und auch Haseloff hält davon nichts, obwohl er den | |
Medienstaatsvertrag wie die 15 anderen MinisterpräsidentInnen schon | |
unterschrieben hat. | |
Die CDU-Fraktion ist entschlossen, den Staatsvertrag im Landtag zusammen | |
mit der AfD scheitern zu lassen. Das wird auch Ärger in der CDU geben. Karl | |
Gerhold, der einflussreiche CDU-Schatzmeister, warnt vor einem „politischen | |
Desaster“. Wenn die Fraktion gemeinsam mit der AfD den Staatsvertrag | |
versenke, würde die CDU „nicht nur ihren Ministerpräsidenten verlieren, | |
sondern möglicherweise auch unsere Regierungsfähigkeit“. | |
Wenn die CDU mit der AfD stimmt, will Gerhold zurücktreten. Ein Votum von | |
CDU und AfD gegen den Willen der anderen Bundesländer wäre so etwas wie | |
„Thüringen zwei“. Dort hatten CDU und FDP zusammen mit der Höcke-AfD | |
[2][Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt.] Gerade vor dem | |
Superwahljahr 2021 wäre eine Wiederholung von Thüringen ein Desaster für | |
die CDU. | |
Haseloff hat anscheinend einen bauernschlauen Ausweg gefunden: Der Landtag | |
stimmt einfach nicht über den [3][Medienstaatsvertrag] ab. Dieser Weg | |
scheint die drei unvereinbaren Ziele harmonisch zu verbinden. Ohne | |
Abstimmung Mitte Dezember gibt es keinen für alle sichtbaren | |
Schulterschluss von CDU und AfD. Ohne Abstimmung tritt aber die | |
Gebührenerhöhung nicht in Kraft. Und ohne Abstimmung überlebt auch die | |
Keniakoalition. | |
Das ist der Plan, skizziert in einem sechsseitigen Papier der | |
Staatskanzlei. Die Beitragserhöhung hat die Kommission zur Ermittlung des | |
Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) festgelegt – vor der Pandemie. | |
Haseloffs Königsargument lautet: Corona. Wegen des Lockdowns hätten die | |
Bürger in Sachsen-Anhalt weniger Geld in der Tasche. Deshalb müsse man den | |
Staatsvertrag nachverhandeln. Das bedeutet: Zeitgewinn, kein Showdown Mitte | |
Dezember im Landtag. | |
## Abstimmung möglichst hinausschieben | |
Der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Siegfried Borgwardt, wiederholte am | |
Dienstagmorgen, dass es „mit der CDU-Fraktion keine Beitragserhöhung geben | |
wird“. Die CDU-Fraktion will nun wie Haseloff den Staatsvertrag verschieben | |
und 2021 mit der KEF und den anderen Bundesländern einen neuen Vertrag | |
ausarbeiten. | |
Doch das ist viel Schein, wenig Sein – eine Luftblase. Denn kein anderes | |
Bundesland wird den fertigen und von allen Länderchefs unterzeichneten | |
Medienstaatsvertrag neu aushandeln, nur weil Haseloff seine CDU-Fraktion | |
nicht im Griff hat. Die Erhöhung der Rundfunkgebühren ist die erste seit | |
zehn Jahren. Sie ist nur halb so hoch wie von den öffentlich-rechtlichen | |
Rundfunkanstalten gefordert. | |
Haseloffs Regierungspartner SPD und Grüne sind wenig angetan von dessen | |
Manöver. Das sechsseitige Papier lag am Montag nur ein paar ausgewählten | |
Medien vor – nicht aber SPD und Grünen. Der grüne Landtagsabgeordnete Olaf | |
Meister fand: „Seriöse Verhandlungen sehen dann doch anders aus.“ | |
Rätselhaft, so eine grüne Spitzenpolitikerin, sei auch, warum es dem | |
Ministerpräsidenten „erst im Dezember einfällt, dass er den Vertrag | |
nachverhandeln will“. Die Fraktionschefin der Grünen, Cornelia Lüddemann, | |
twitterte: „Offenbar ist Haseloff bereit, für die Einigkeit seiner Fraktion | |
einen bundesweiten Vertrag und die Keniakoalition zu kippen. Und die Axt an | |
den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu legen.“ | |
Auch die SPD-Fraktionschefin Katja Pähle befand am Dienstag, dass es „nicht | |
hilfreich ist in dieser schwierigen Situation, ‚Vorschläge‘ über | |
ausgewählte Medien zu spielen“. Kurzum: SPD und Grüne können sich auf | |
diesen Plan nicht einlassen – denn er hilft nur der CDU aus ihrer | |
Bredouille, ruiniert aber die Glaubwürdigkeit von SPD und Grünen. CDU-Chef | |
Holger Stahlknecht hatte vor dem Koalitionsausschuss am Dienstag mit | |
triumphierendem Unterton erklärt, der Ball liege nach Haseloffs Vorschlag | |
„bei den Koalitionspartnern“. Die müssten sich „der Verantwortung für d… | |
Land bewusst sein und die Koalition nicht infrage stellen“. | |
Das ist der Zweck dieses Manövers. Wenn AfD und CDU im Landtag gegen den | |
Staatsvertrag stimmen, sieht es so aus, als würde die CDU die Regierung | |
sprengen. Wenn es gar keine Abstimmung gibt, fällt das Licht eher auf SPD | |
und Grüne. Und auch die Peinlichkeit des gemeinsamen Votums mit der AfD | |
bleibt der CDU erspart. Der Effekt ist indes derselbe: kein Staatsvertrag, | |
keine Gebührenerhöhung. | |
SPD und Grüne wollen die Regierung so wenig wie Haseloff und das Gros der | |
CDU-Fraktion sechs Monate vor der Wahl platzen lassen. Denn das nutzt nur | |
der AfD. Um den Bruch von Kenia doch noch zu verhindern, haben die Grünen | |
einen Kompromiss vorgeschlagen. Man könne den Staatsvertrag beschließen, | |
aber die 86-Cent-Erhöhung erst Mitte 2021 in Kraft setzen. In den sechs | |
Monaten könnte Haseloff dann mit den 15 anderen Ländern über die | |
finanziellen Wirkungen der Corona-Effekte verhandeln. Das wäre nach der | |
Wahl. | |
Aber auch dann müssten die 15 Länder den bereits unterschriebenen Vertrag | |
neu aufsetzen, die MinisterpräsidentInnen müssten den neuen Staatsvertrag | |
unterschreiben, die Landtage diesen verabschieden. Das ist so | |
wahrscheinlich wie die Verwandlung der AfD in Magdeburg in eine gemäßigte | |
konservative Partei. Dieser Vorschlag zeigt eher, wie verfahren die Lage | |
ist und dass guter Wille für einen brauchbaren Kompromiss nicht mehr | |
reicht. | |
Der Koalitionsausschuss endete, nach zweimaliger Unterbrechung, ohne | |
Ergebnis. Die vorentscheidende Sondersitzung des Medienausschusses wurde | |
von Mittwoch um eine Woche verschoben. Man will weiter nach Auswegen | |
suchen. „Wir sind sehr froh“, so die grüne Fraktionschefin Lüddemann, „… | |
wir weiter im Gespräch bleiben.“ Das war schon das Erfreulichste, was nach | |
drei Stunden Verhandlungen zu vermelden war. Der Glaube, dass Kenia diese | |
Krise überlebt, schwindet. Am Abend blies die CDU-Fraktion das letzte noch | |
flackernde Hoffnungslicht für die Regierung aus. Sie lehnte die | |
Verschiebung des Medienausschusses, den ein CDU- und ein AfD-Politiker | |
leiten, ab. Und beerdigte damit das einzige karge Ergebnis des | |
Koalitionsausschusses. Die Versuche, die Regierung doch noch zu retten, | |
sollen abends weitergehen. | |
1 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Koalitionsstreit-in-Sachsen-Anhalt/!5729571 | |
[2] /Ministerpraesidentenwahl-in-Thueringen/!5669597 | |
[3] /Urteil-des-Bundesverfassungsgerichts/!5522603 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
## TAGS | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
CDU | |
Sachsen-Anhalt | |
Rundfunkgebühren | |
GEZ | |
Schwerpunkt Landtagswahl in Sachsen-Anhalt | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Schwerpunkt Landtagswahl in Sachsen-Anhalt | |
Rundfunkbeitrag | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
CDU-Krise in Sachsen-Anhalt: Zeit der Entscheidung | |
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff feuert seinen Innenminister | |
Stahlknecht. Doch die Krise der CDU ist damit noch lange nicht vorbei. | |
Streit um Rundfunk in Sachsen-Anhalt: Krise verschoben | |
In Sachsen-Anhalt verhindern SPD, Grüne und CDU in einem zähen Ringen das | |
Ende der Koalition. Doch das ist vorerst nur eine Woche aufgeschoben. | |
Kenia-Koalition in Magdeburg bröckelt: Triumph des Starrsinns | |
Was gerade im Magdeburger Landtag passiert, ist keine Provinzaffäre. Es | |
kann die politische Achse der Republik nach rechts verschieben. | |
Erhöhung der Rundfunkbeiträge: Nur Sachsen-Anhalt schert aus | |
Sollte der Landtag in Magdeburg den neuen Staatsvertrag blockieren, bleibt | |
der Fernseher zwar nicht schwarz. Doch für die AfD wäre es ein Etappensieg. | |
Linken-Politikerin über Rundfunkbeitrag in Sachsen-Anhalt: „Niederlage für … | |
Die CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt will mit der AfD die neuen | |
Rundfunkgebühren ablehnen. Die Linke Eva von Angern fürchtet einen „Triumph | |
der AfD“. | |
Erhöhung der Rundfunkgebühren: Vertrauen für 86 Cent | |
Die Erhöhung der Rundfunkgebühren um 86 Cent ist eine gute und preiswerte | |
Investition in Qualitätsmedien – und in den gesellschaftlichen | |
Zusammenhalt. |