# taz.de -- Nach dem Attentat in Wien: Die Suche nach Schuldigen | |
> Im Vorfeld des Attentats lief in Österreichs Behörden einiges schief. Die | |
> Politiker schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu. | |
Bild: Innenminister Nehammer während einer Sondersitzung des Nationalrats | |
Wien taz | Der dschihadistische Terroranschlag in Wien hätte wohl | |
verhindert werden können, wenn die Behörden funktioniert hätten. Das ist | |
inzwischen Konsens unter den politischen Parteien. Bei einer Sondersitzung | |
des Nationalrats am Donnerstag hagelte es Schuldzuweisungen. | |
Der Attentäter hatte mit einem Kumpan Ende Juli versucht, [1][in Bratislava | |
Munition zu kaufen]. Das misslang, weil er keinen Waffenschein vorweisen | |
konnte. Der slowakische Geheimdienst informierte das Innenministerium in | |
Wien. Und dann passierte – nichts. | |
Obwohl er regelmäßig Deradikalisierungskurse besuchen musste und, anders | |
als anfangs kolportiert, nicht als deradikalisiert galt, blieb er | |
unbehelligt. Die Justiz, die die Einhaltung seiner Bewährungsauflagen nach | |
vorzeitiger Haftentlassung überwachte, wurde nicht informiert. Das Versagen | |
lag also offenkundig beim Innenministerium. | |
Innenminister Nehammer hatte am Mittwoch in einer Pressekonferenz | |
eingeräumt, dass beim zuständigen Bundesamt für Verfassungsschutz und | |
Terrorismusbekämpfung (BVT) nicht alles reibungslos funktioniert habe. Er | |
kündigte die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission an, | |
suchte den Schuldigen aber bei seinem Vorvorgänger Herbert Kickl (FPÖ). | |
Der Fraktionschef der Rechtspartei, der offenbar noch über Informanten im | |
Innenministerium verfügt, hatte vorher Nehammer verantwortlich gemacht. | |
Darauf angesprochen, verlor dieser die Contenance: „Dass ausgerechnet der, | |
der den Verfassungsschutz zerstört hat“, solche Vorwürfe erhebe, mache ihn | |
fassungslos. | |
## Attentat wurde vorverlegt | |
Kickl hatte im Februar 2018 eine Hausdurchsuchung im BVT angeordnet, bei | |
der zahlreiche Dokumente beschlagnahmt wurden. Es sei um das Aufspüren und | |
Zerschlagen von ÖVP-Seilschaften gegangen. Der Vorwurf: Die Kanzlerpartei, | |
die seit Beginn des Jahrhunderts das Innenministerium geleitet hatte, | |
behindere gezielt die Polizeiarbeit. | |
Informanten hat allem Anschein nach nicht nur Kickl, sondern auch die | |
Terrorszene. „Gibt es vielleicht wieder einmal eine undichte Stelle im | |
Bereich des Verfassungsschutzes?“, fragte Kickl. Für Dienstag in den frühen | |
Morgenstunden, also einen Tag nach dem Attentat, sei eine Großrazzia mit | |
zahlreichen Hausdurchsuchungen in der Islamistenszene geplant gewesen: | |
„Operation Ramses“. Davon muss der Attentäter Wind bekommen und seinen | |
Anschlag kurzerhand vorverlegt haben. | |
Nehammer wollte eine solche Operation nicht bestätigen. Sie würde aber | |
sowohl das relativ chaotische und ziellose Vorgehen des Attentäters als | |
auch die starke Polizeipräsenz [2][in der Innenstadt] erklären. | |
Weder Bundeskanzler Sebastian Kurz noch Innenminister Nehammer (beide ÖVP), | |
wiederholten nach Platzen des Skandals um die unterlassene | |
Informationsweitergabe ihre anfangs geäußerten Vorwürfe an die Justiz. | |
Nehammer suchte jetzt Schuldige beim Deradikalisierungsprogramm und warf | |
den Betreuern vor, sie hätten sich vom Dschihadisten täuschen lassen und | |
ihm Harmlosigkeit attestiert. | |
Der junge Österreicher [3][albanisch-nordmazedonischer Herkunft] war 2019 | |
nach einem Versuch, sich dem IS in Syrien anzuschließen, zu einer | |
Haftstrafe verurteilt worden. „Es stand immer fest, dass diese Person | |
keinesfalls deradikalisiert ist“, entgegnete Moussa Al-Hassan Diaw, | |
Islamismusforscher und Mitbegründer des Deradikalisierungsvereins Derad, am | |
Mittwochabend. Andernfalls wäre die Betreuung eingestellt worden. Der | |
spätere Attentäter hatte aber noch in der Vorwoche einen ihm vom Gericht | |
auferlegten Betreuungstermin wahrgenommen. | |
5 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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