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# taz.de -- Sexismus als Struktur in Deutschland: Frauen zählen
> Die Justizminister:innen der Grünen fordern, dass frauenfeindliche
> Straftaten künftig auch als solche erfasst werden. Das ist längst
> überfällig.
Bild: In Deutschland greift im Schnitt alle 45 Minuten ein Mann seine Partnerin…
Auf der Straße, im Netz und vor allem im eigenen Zuhause – Frauen in
Deutschland leben gefährlich. Einen Raum, in denen sie sich ohne die Gefahr
aufgrund ihres Geschlechts beschimpft, belästigt oder missbraucht zu
werden, bewegen können, gibt es nicht. Klingt dramatisch, ist es auch:
Jeden Tag versucht ein (Ex-)Partner eine Frau zu töten, jeden dritten
gelingt es ihm. Im Schnitt greift alle 45 Minuten ein Mann seine Partnerin
an. Und die Zahlen der Betroffenen steigen, Jahr für Jahr. Hinzu kommt,
dass Frauen in sozialen Medien regelmäßig Hass, Gewaltandrohung, Mobbing
und Stalking ausgesetzt sind.
Wir wissen, dass Frauen, die sich feministisch äußern oder aufgrund von
Rassismus, Religion, Sexualität, Klassismus oder Behinderung [1][mehrfach
diskriminiert werden], besonders unter digitaler Gewalt leiden.
Gleichberechtigte Teilhabe wird dadurch gefährdet. Und wir wissen auch,
dass digitale Gewalt ins Analoge übergreifen kann und man frühzeitig
eingreifen muss, um physische Gewalt einzudämmen.
Doch wie vielen sexistischen Straftaten, analog wie digital, Frauen in
Deutschland wirklich ausgesetzt sind, können wir nur erahnen. Denn bisher
werden Taten, in denen das „Geschlecht“ des Opfers eine Rolle spielt, nicht
explizit als Hasskriminalität kategorisiert – und damit auch nicht
juristisch statistisch erfasst.
Das soll sich, wenn es nach den Landesjustizminister:innen und
-senator:innen der Grünen geht, nun ändern. In einem gemeinsamen Beschluss,
der der taz vorliegt, fordern sie, dass frauenfeindlich motivierte
Straftaten „als solche benannt und bundeseinheitlich erfasst werden“. Ende
November wollen sie sich bei der Justizminister:innenkonferenz für die
Einrichtung einer Bund-Länder-Gruppe einsetzen, die sich nicht nur der
statistischen Erhebung annimmt, sondern auch die strafrechtlichen
Möglichkeiten sowie die „zivil- und familienrechtlichen Ansatzpunkte“
überprüfen soll.
## Ein drängender Zeitpunkt
Dass sexistische Straftaten bisher noch nicht erhoben werden, ist für
Deutschland durchaus peinlich. Verstärkt es doch den Eindruck, dass
Deutschland allzu gerne mit dem Finger auf die Zustände anderer Länder,
[2][wie aktuell Polen oder Ungarn, zeigt und sich wenig um die
Bedrohungslage für Frauen im eigenen Staat kümmert].
Der Beschluss der grünen Justizminister:innen kommt also spät, aber zu
einem besonders drängenden Zeitpunkt. Denn durch die [3][Coronapandemie hat
sich die Gewalt gegen Frauen deutlich verschlimmert]. Da sich aufgrund von
Kontaktbeschränkungen vieles ins eigene Zuhause und ins Digitale verschoben
hat, ist dort auch sexistisch motivierte Gewalt angestiegen. Und diese
bleibt meist unsichtbar.
Der Beschluss der grünen Justizminister:innen könnte dabei helfen, das
Ausmaß sichtbar zu machen, und er enthält zusätzlich einen wichtigen
symbolischen Charakter: Denn noch immer werden frauenfeindliche Straftaten
individualisiert oder bagatellisiert – [4][beispielsweise durch
Täter-Opfer-Umkehr]. Natürlich erfahren auch Männer Gewalt, doch bei Frauen
ist sie strukturell. Es ist eine Form des Machtmissbrauchs, der aus einer
historischen Ungleichheit heraus gewachsen ist, und seit Jahrhunderten
immer wieder aufs Neue festgeschrieben wird.
## Sexismus als Struktur begreifen
Ein juristisches Erfassen aller frauenfeindlichen Straftaten kann also
dabei helfen, Sexismus als Struktur zu begreifen. In dem Beschluss wird
auch die „Aufklärung und Verfolgung“ der Straftaten gefordert. Doch da ein
Großteil von sexualisierter Gewalt, Missbrauch und Bedrohung überhaupt
nicht zur Anzeige kommt, muss die Prävention priorisiert werden.
Mit der 2018 in Kraft getretenen Istanbul-Konvention hat Deutschland sich
verpflichtet, Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhüten und zu
bekämpfen. Und auch wenn Maßnahmen ergriffen wurden, ist laut
Frauenrechtsorganisationen die Konvention noch nicht genügend umgesetzt.
Es fehlt an [5][Hilfestrukturen für Betroffene, Frauenhäuser und
Nottelefone sind überlastet]. Die zuständigen
Behördenmitarbeiter:innen sind häufig nicht ausreichend
sensibilisiert und geschult. Auch die Gewaltprävention muss, angefangen bei
den Jüngsten der Gesellschaft, ausgebaut werden. Erst wenn das erreicht
ist, kommen wir einer Gesellschaft näher, in der Frauen auf der Straße, im
Netz und im eigenen Zuhause sicher leben können.
16 Nov 2020
## LINKS
[1] https://www.idz-jena.de/forschung/hass-im-netz-eine-bundesweite-repraesenta…
[2] /Versorgung-ungewollt-Schwangerer
[3] /Frauen-in-der-Pandemie/!5720558
[4] /Welttag-gegen-Gewalt-an-Frauen/!5640436
[5] /Gewalt-gegen-Frauen-und-Kinder/!5728093
## AUTOREN
Carolina Schwarz
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