| # taz.de -- Femizid an 34-jähriger Afghanin: Im Namen des Patriarchats | |
| > Eine 34-jährige Afghanin wurde mutmaßlich von ihren Brüdern getötet. Die | |
| > Staatsanwaltschaft spricht von „Ehrenmord“. Der Begriff verharmlost. | |
| Bild: Gedenken an über 140 ermordeten Frauen im Jahr 2019, Berlin | |
| Mitte Juli wurde eine [1][zweifache 34-jährige Mutter aus Berlin getötet]. | |
| Dringend tatverdächtig sind ihre zwei Brüder, 22 und 25 Jahre alt, die | |
| mittlerweile beide in Untersuchungshaft sitzen. Am Freitag teilte die | |
| Polizei Berlin mit, dass die beiden Tatverdächtigen sich „gekränkt gefühlt | |
| haben, weil das Leben ihrer geschiedenen Schwester nicht ihren | |
| Moralvorstellungen entsprochen hatte.“ Das Opfer und die zwei mutmaßlichen | |
| Täter besitzen die afghanische Staatsbürgerschaft. Die Polizei und | |
| Generalstaatsanwaltschaft sprechen von einem „dringenden Verdacht eines | |
| sogenannten ‚Ehrenmordes‘“. | |
| Dass Politiker:innen sich zu einzelnen Tötungsdelikten von Frauen | |
| äußern, kommt in der Regel nicht vor. Femizide nehmen, obwohl sie in | |
| Deutschland Alltag sind, in der politischen Debatte und auch [2][in der | |
| deutschsprachigen Berichterstattung kaum Raum ein]. Geht es allerdings um | |
| einen sogenannten Ehrenmord, sind Forderungen von Politiker:innen | |
| meist nicht weit. | |
| Dabei sind „Ehrenmorde“ nur ein kleiner Teil der Gesamtzahl der Femizide. | |
| Laut einer Untersuchung des BKA von 1996 bis 2005 sind es durchschnittlich | |
| 12 pro Jahr, die Anzahl von Femiziden in Deutschland bewegt sich dabei | |
| jährlich im dreistelligen Bereich. Die Täter stammen dabei im Regelfall aus | |
| dem Nahbereich des Opfers, sind meistens die (Ex-)Partner. | |
| Dieser Vergleich soll keine der Taten verharmlosen: Gewalt und Tötung von | |
| Frauen sind immer zu verurteilen. Doch der Vergleich legt ein | |
| Ungleichgewicht in der politischen Betrachtung und Berichterstattung offen. | |
| Und auch dieses Ungleichgewicht ist es, das schließlich das Leben von | |
| Frauen gefährdet – weil das Problem nicht in seiner kompletten Ausformung | |
| begriffen wird. | |
| ## Falsches Narrativ | |
| Nach der Tötung der 34-Jährigen ist die Debatte im vollen Gange. Im | |
| Interview mit dem Tagesspiegel sagte die Berliner Integrationssenatorin | |
| Elke Breitenbach: „In Deutschland wird jeden dritten Tag eine Frau von | |
| ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Das ist kein Ehrenmord, das ist | |
| Femizid.“ | |
| Eine Aussage, die sofort auf Widerstand traf. Der CDU-Spitzenkandidat für | |
| die Berliner Abgeordnetenhauswahl im September, Kai Wegner, warf ihr vor, | |
| die Tat zu verharmlosen. Er sagte: „Frau Breitenbach leugnet die Realität, | |
| um ihr brüchiges Weltbild zu stabilisieren. Wer die religiös-kulturellen | |
| Hintergründe von sogenannten Ehrenmorden abstreitet, schützt die Täter und | |
| lässt die Opfer im Stich.“ Und auch die Berliner SPD-Spitzenkandidatin und | |
| jetzige Frauenministerin, Franziska Giffey, schrieb bei Twitter: „Es muss | |
| klar benannt werden, dass das nichts anderes ist als ein schrecklicher | |
| #Ehrenmord“. | |
| Doch schon der Begriff an sich folgt einem falschen Narrativ, denn er | |
| übernimmt die Weltanschauung der Täter. Nämlich, dass es tatsächlich eine | |
| „Ehre“ gebe, die das Opfer verletzt habe. Ähnlich wie die Begriffe | |
| „Beziehungstat“ oder „Eifersuchtsdrama“ verharmlosen sie Tötungsdelikt… | |
| Frauen. Sogenannte Ehrenmorde sind die Folge einer patriarchalen | |
| Weltvorstellung, nämlich dass Frauen Männern unterstehen, ihnen zu | |
| gehorchen haben, und wenn sie das nicht tun, die „Ehre“ der Familie | |
| verletzen würden. Strukturelle Frauenverachtung ist also die Grundlage für | |
| solch eine Tat und die Bezeichnung „Femizid“, wie sie beispielsweise auch | |
| die WHO nutzt, angemessen. | |
| ## Prävention und Schutz sind wichtiger | |
| Nicht nur die Verwendung des Begriffs ist problematisch. Wenn Morde im | |
| Namen der vermeintlichen Ehre verübt werden, folgt darauf meist eine | |
| rassistisch konnotierte Debatte. Anstatt über die nötigen Schutzmaßnahmen | |
| für Frauen, wie den Ausbau von Frauenhäusern, bessere Gewaltschutzverfahren | |
| oder die Stärkung von präventiven Maßnahmen für gewalttätige Männer zu | |
| diskutieren, dreht die Debatte sich weg von den Betroffenen hin zu Fragen | |
| von Integration und Asylrecht. Natürlich ist es wichtig, dass | |
| Politiker:innen das Töten zum Beispiel der 34-Jährigen verurteilen. | |
| Doch zahlreiche Studien belegen, dass immer wieder versucht wird, Femizide | |
| als ein Problem, das von „außen“ in unsere Gesellschaft getragen wird, | |
| darzustellen. | |
| Das zeigt sich einerseits in der Berichterstattung, die deutlich häufiger | |
| stattfindet, wenn die (mutmaßlichen) Täter Ausländer sind oder | |
| Migrationsgeschichte haben. Und auch in der Justiz: Verschiedene Studien | |
| der letzten Jahre zeigen, dass „Ehrenmorde“ in Deutschland härter bestraft | |
| werden als andere Femizide. Denn während Ersteres berechtigterweise als | |
| strukturelles Problem wahrgenommen wird, werden Femizide, die durch | |
| (Ex-)Partner verübt werden, noch immer als Einzelfall behandelt. | |
| Ob Täter nach einer Trennung Femizide verüben oder durch eine vermeintlich | |
| verletzte Ehre – die Ursachenbekämpfung muss in jedem Fall früher beginnen. | |
| Denn auch die Gewalt setzt deutlich früher ein. Diese | |
| Unterdrückungsmechanismen ausfindig zu machen und von Beginn an in Schulen, | |
| Gemeinden und an anderen gemeinschaftlichen Orten zu bekämpfen, sollte | |
| Priorität haben. Mit [3][der Unterzeichnung der „Istanbul-Konvention“] hat | |
| Deutschland sich auch zur Prävention von Gewalt gegen Frauen, Kindern und | |
| Queers verpflichtet. Diese nun 10 Jahre nach der Unterzeichnung endlich | |
| umzusetzen, sollte jetzt auf der politischen Agenda stehen. | |
| 9 Aug 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Femizid-an-34-Jaehriger-Afghanin/!5787993 | |
| [2] /Gewalt-gegen-Frauen-in-den-Medien/!5784125 | |
| [3] /Tuerkei-tritt-aus-der-Istanbul-Konvention-aus/!5759872 | |
| ## AUTOREN | |
| Carolina Schwarz | |
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