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# taz.de -- Femizid an 34-Jähriger Afghanin: Ehrenloser Mord
> Zwei Brüder haben ihre Schwester offenbar getötet – die
> Staatsanwaltschaft spricht von Ehrenmord. Die mutmaßlichen Täter sind in
> Haft.
Bild: Eine 34-jährige Berlinerin wurde Anfang Juli von ihren Brüdern mutmaßl…
Berlin taz | Erschütterung und Betroffenheit hat ein mutmaßlicher Mord an
einer 34-jährigen in Berlin lebenden Afghanin und Mutter zweier Kinder
verursacht. Die Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit gegen ihre 22 und 25
Jahren alten Brüder, die die Frau mutmaßlich aus „gekränktem Ehrgefühl“
gemeinschaftlich getötet haben sollen. Es handele sich um einen
„sogenannten ‚Ehrenmord‘“, wie Polizei und Generalstaatsanwaltschaft Be…
am Freitag in einer [1][Mitteilung] schrieben.
CDU-Landeschef Kai Wegner meldete sich ziemlich schnell zu Wort: „Wir
brauchen eine offene Debatte über gescheiterte Integration aufgrund
archaischer Wertvorstellungen, die aus den Herkunftsländern nach
Deutschland mitgebracht werden“, sagte er. [2][Elke Breitenbach], linke
Senatorin für Integration erwiderte: „In Deutschland wird jeden dritten Tag
eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Das ist kein
Ehrenmord, das ist Femizid. Und ich habe leider keine Idee, wie man Männer
besser integrieren kann.“ Es gehe nicht um die Herkunft der Täter, sondern
um die Frage des Geschlechts.
Laut Polizei sind die mutmaßlichen Täter seit dem 4. August in
Untersuchungshaft. Sie sollen ihre Schwester am 13. Juli umgebracht zu
haben. Noch am selben Tag sollen sie ihre Leiche in einem Koffer mit der
Bahn nach Bayern transportiert und dort in der Nähe des Wohnorts des
25-Jährigen Bruders bei Neuburg an der Donau vergraben haben. Eine
Obduktion der Leiche [3][am Freitag ergab], dass es sich bei der Getöteten
um die 34-jährige Berlinerin handelt.
Laut Haftbefehl haben die Männer ihre Schwester mutmaßlich ermordet, „weil
das Leben ihrer geschiedenen Schwester nicht ihren Moralvorstellungen
entsprochen hatte“, wie es in der Mitteilung der Staatsanwaltschaft heißt.
Alle drei Geschwister lebten seit einigen Jahren in Deutschland.
## „Ermordet, weil sie ein eigenständiges Leben wollte“
Der grüne Innenpolitiker [4][Benedikt Lux sagte]: „Dieser Mord erschüttert
zutiefst und hat nichts mit Ehre zu tun. Ich hoffe die Ermittlungen werden
Erfolg haben, zu verurteilende Täter hart bestraft.“ Die grüne
Spitzenkandidatin [5][Bettina Jarasch äußerte sich ähnlich]. Der
SPD-Bundestagskandidat für Neukölln, [6][Hakan Demir], sagte: „Wir müssen
das Patriarchat überwinden! In Gedanken bin ich beim Opfer. Sie wurde
ermordet, weil sie eine Frau war und ein eigenständiges Leben wollte.“
Die Grüne Abgeordnetenhauskandidatin Bahar Haghanipour sagte der taz, dass
es neben Beratungsangeboten für potentielle Opfer auch Täterarbeit brauche:
„Viele haben nicht im Blick, dass auch aufgearbeitet werden muss, wie
Männer eigentlich auf die Idee kommen, dass es ihnen zusteht, über eine
Frau zu bestimmen“, sagt Haghanipour. Mittlerweile gebe auch
[7][Anlaufstellen für Täterarbeit], bei denen sich Männer melden können,
die merken, dass sie Täter sind, sich nicht unter Kontrolle haben und etwas
dagegen tun wollen. Dort gebe es dann eine nicht-stigmatisierende Beratung
von Spezialist*innen.
Bei Morden, die von den Behörden als „Ehrenmorde“ eingestuft werden,
schwingen schnell rassistische Diskurse mit. „Ehrenmorde in westlichen
Großstädten, meist begangen von Personen mit Migrationshintergrund, erregen
öffentliches Aufsehen. Die Wurzeln dieser Tat aber liegen in ländlichen
Gegenden mit einer eher archaisch-patriarchalen Sozialstruktur“, schreibt
dagegen etwa [8][die Soziologin Ayfer Yazgan], die sich in ihrem Buch „Mord
ohne Ehre“ ausführlich mit dem Phänomen beschäftigt hat.
Sie beschreibt sogenannte „Ehrenmorde“ als „Tötungsdelikt, die als Tatmo…
die Wiederherstellung der Familenehre haben, die infolge des als
unehrenhaft beurteilten Verhaltens des Opfer verletzt wurde“. Feministische
Organisationen setzen sich schon seit längerem dafür ein, im Zusammenhang
mit patriarchaler Gewalt gegenüber Frauen von „Femiziden“ zu sprechen.
Gleichwohl werden auch Männer Opfer von Morden zur Wiederherstellung einer
vermeintlichen „Familienehre“.
## 12 Fälle pro Jahr
Das Bundeskriminalamt schätzt in einer Studie, dass es circa 12 Morde pro
Jahr gibt, die [9][ihrer Definition] nach als „Ehrenmord“ einzuordnen
seien. Angesichts der Zahl von 700 Menschen, die jährlich getötet würden,
[10][„ein quantitativ seltenes Ereignis“].
Medial sind Morde dieser Art hingegen überrepräsentiert: In der
öffentlichen Debatte wird häufig ignoriert, dass auch [11][Deutsche Männer
häufig Frauen töten]. Allerdings schlagen diese Fälle, medial häufig
verharmlost als „Beziehungsdrama“, weitaus weniger Wellen, als wenn
Täter*innen als nicht-deutsch gelesen werden.
Eine [12][quantitative Untersuchung] der Rechtswissenschaftlerin Julia
Kasselt und des Soziologen Dietrich Oberwittler von 63 Fällen in
Deutschland zwischen 1995 und 2005 kommt zu dem Schluss, dass diese Taten
hauptsächlich von Migrant*innen aus der ersten Einwanderergeneration
begangen wurden – bei Menschen, deren Familie seit mehreren Generationen in
Deutschland leben, [13][existiere das Phänomen kaum]. Die deutsche Justiz
bestraft laut der Studie als „Ehrenmord“ wahrgenommene Taten härter als
andere Femizide.
8 Aug 2021
## LINKS
[1] https://www.berlin.de/generalstaatsanwaltschaft/presse/pressemitteilungen/2…
[2] https://www.tagesspiegel.de/berlin/nach-mord-an-34-jaehriger-afghanin-berli…
[3] http://(https://twitter.com/GStABerlin/status/1423650702941954056
[4] https://twitter.com/bene_lux/status/1423758117725216770
[5] https://twitter.com/Bettina_Jarasch/status/1423930729583501312
[6] https://twitter.com/HakanDemirNK/status/1424022320151203847
[7] https://www.bag-taeterarbeit.de/
[8] https://www.schantall-und-scharia.de/mythen-und-fakten-zu-ehrenmorden/
[9] /C:/Users/garet/AppData/Local/Temp/2006-05-19%20Presseinformation%20Ehrenmo…
[10] https://csl.mpg.de/de/forschung/projekte/ehrenmorde-in-deutschland/
[11] /Jahrestag-Ermordung-Hatun-Sueruecue/!5658315
[12] https://csl.mpg.de/de/forschung/projekte/ehrenmorde-in-deutschland/
[13] https://www.schantall-und-scharia.de/mythen-und-fakten-zu-ehrenmorden/
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
Schwerpunkt Femizide
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Kriminalität
Patriarchat
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