# taz.de -- Prozess im Fall Maryam H.: Zuerst mehrere Verdächtige | |
> Nach dem Tod einer jungen Afghanin sind zwei ihrer Brüder angeklagt. Am | |
> zweiten Prozesstag haben die Ermittlerinnen ausgesagt. | |
Bild: In Südkreuz sollen die beiden Angeklagten mit der Leiche in den ICE gest… | |
BERLIN taz | Manchmal ist es nur ein Bauchgefühl. Maryam H. ist nicht | |
freiwillig verschwunden, da war sich die Berliner Kriminalpolizei schnell | |
sicher: Nur 4 Tage nach der Vermisstenanzeige übergibt sie den Fall an die | |
Mordkommission, wenige Wochen später wird die Leiche der 34-jährigen | |
Afghanin in Bayern geborgen. [1][Jetzt stehen ihre beiden Brüder vor | |
Gericht.] Weil das Leben der jungen Afghanin nicht ihren Moralvorstellungen | |
entsprach, sollen Sayed Yousuf H. und Seyed Mahdi H. ihre Schwester | |
umgebracht, die Leiche in einem Koffer mit dem Zug nach Bayern gebracht und | |
dort verscharrt haben. Der zweite Verhandlungstag im sogenannten | |
„Ehrenmord“-Prozess in Berlin gibt Aufschluss über die Ermittlungsarbeit | |
nach dem Verschwinden von Maryam H. | |
Am 15. Juli 2021 gibt der Lebensgefährte von Maryam H. eine | |
Vermisstenanzeige auf. In der Gemeinschaftsunterkunft, in der sie mit ihren | |
Kindern lebte, war die junge Frau seit zwei Tagen nicht mehr aufgetaucht. | |
„Es ist komisch, wenn eine Mutter ihre Kinder alleine lässt“, erinnert sich | |
die Vermisstensachbearbeiterin, die als erste die Ermittlungen in dem Fall | |
aufnahm. Sie ist an diesem Freitag als Zeugin im Berliner Kriminalgericht | |
geladen. | |
Die beiden Angeklagten, die links von ihr in einem Glaskasten hinter ihren | |
Verteidigern sitzen, hatte die Ermittlerin nicht in Verdacht. Es war der | |
Lebensgefährte von Maryam H., der ihr komisch vorkam: In der ersten | |
telefonischen Befragung sei er sehr aufgebracht gewesen, habe von der | |
Vermissten immer in der Vergangenheitsform gesprochen. Hätte er nicht | |
eigentlich damit rechnen müssen, dass Maryam H. wieder auftaucht? | |
Der Verdacht verstärkt sich, als die Beamt*innen erfahren, dass er zu | |
Beginn der Beziehung mehrfach handgreiflich geworden sein soll. Auch bei | |
seiner Aussage darüber, wann er die Vermisste das letzte mal gesehen haben | |
will, gibt es Unstimmigkeiten. Der Lebensgefährte selbst verdächtigt | |
gegenüber der Polizei immer wieder den Ex-Mann von Maryam H. – und erzählt, | |
dass die beiden Brüder nichts von der Beziehung erfahren dürften: Sayed | |
Yousuf H. und Seyed Mahdi H. sei die [2][Scheidung ihrer Schwester ein Dorn | |
im Auge], sie hätten ihn schon mehrfach bedroht. Am 19. Juli 2021 gibt die | |
Kriminalpolizei den Fall an die Mordkommission weiter. Ihr Tatverdächtiger: | |
Der Lebensgefährte von Maryam H. | |
## Anfangsverdacht scheint sich zu erhärten | |
„Die Mordkommission hat in drei Strängen ermittelt“, berichtet deren | |
stellvertretende Leiterin, sie ist die zweite Zeugin an diesem | |
Verhandlungstag: „Der Lebensgefährte, der Ex-Mann und die Brüder der | |
Vermissten“. Die Verbindungsdaten der Handys hätten den Ex-Mann der | |
Afghanin entlastet – und erneut Anhaltspunkte dafür geliefert, dass der | |
neue Lebensgefährte etwas mit dem Verschwinden von Maryam H. zu tun haben | |
könnte. | |
In der Nacht vom 18. auf den 19. Juli sei er mit dem Auto von Berlin nach | |
Bad Doberan und wieder zurück gefahren. Hat er da die Leiche von Maryam H. | |
versteckt? Die Ermittler*innen nehmen den Lebensgefährten fest und | |
durchsuchen seine Wohnungen – ohne Ergebnis. Wenige Tage später entlassen | |
sie ihn aus der Haft. | |
Derweil lässt sich die Mordkommission außerdem die | |
[3][Überwachungsaufnahmen vom Bahnhof Südkreuz] zeigen. Sie wollen eine die | |
Aussage von Sayed Yousuf H. überprüfen: Der hatte angeben, am 12. Juli aus | |
Donauwörth nach Berlin gereist und einen Tag später allein zurück in die | |
Heimat gefahren zu sein. Auf den Videoaufnahmen ist zu sehen, wie die | |
beiden Brüder einen Koffer auf Gleis 3 tragen und anschließend in den ICE | |
Richtung Bayern hieven. | |
„Da ist was Schweres transportiert worden“, das sei deutlich erkennbar | |
gewesen, so die Ermittlerin der Mordkommission. Auch das Taxi, das die | |
beiden zum Bahnhof gebracht haben soll, konnten die Beamt*innen | |
identifizieren: Der Fahrer bestätigt, zwei Männer mit einem schweren Koffer | |
bei der Adresse von Seyed Mahdi H. abgeholt und zum Südkreuz gefahren zu | |
haben. „Danach waren wir uns sicher, dass sie die beiden Täter sind.“ | |
## Der gleiche Koffer, aber nicht derselbe | |
Die Polizei nimmt die beiden Männer fest und durchsucht die Wohnungen von | |
Sayed Yousuf H. und dessen Freundin in Donauwörth und die von Seyed Mahdi | |
H. in Berlin. In Berlin finden sie einen Frauengürtel, eine Freundin von | |
Maryam H. wird später aussagen, dass er der Vermissten gehört. Bei Sayed | |
Yousuf H. stoßen die Ermittler*innen auf einen Koffer. | |
Es ist die gleiche Bauart wie der auf den Überwachungsaufnahmen: 60 Euro, | |
schwarzer Stoff, [4][von Primark]. Maryam H. wurde darin jedoch nicht | |
transportiert. Sayed Yousuf H. hatte seine Freundin mehr als zwei Wochen | |
nach dem Verschwinden seiner Schwester damit beauftragt, den Koffer zu | |
kaufen. Vielleicht, um den Transport der Leiche zu verschleiern. | |
Die Freundin von Sayed Yousuf H. gibt außerdem an, in einem Baumarkt zwei | |
Schaufeln und Handschuhe für die beiden Brüder gekauft zu haben. Sie ist es | |
auch, die die Ermittler*innen später zu der Leiche von Maryam H. führt: | |
In Holzkirchen, etwa 150 Kilometer entfernt von Donauwörth, liegt sie unter | |
der Erde verscharrt, eine Plastiktüte über dem Kopf, Panzerband über Mund | |
und Nase. Laut Obduktionsbericht wurde ihr die Kehle durchgeschnitten, | |
zwischen den einzelnen Lagen Klebeband findet die Rechtsmedizin Rückstände | |
eines Gummihandschuhs, daran Spuren von Seyed Mahdi H. Der Koffer ist bis | |
heute nicht aufgetaucht. | |
4 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Prozessauftakt-im-Fall-Maryam-H/!5835491 | |
[2] /Femizid-in-Berlin/!5831937 | |
[3] /Video-Ueberwachung-am-Suedkreuz/!5607914 | |
[4] /Edeka-und-Primark-kuerzen-Weihnachtsgeld/!5820906 | |
## AUTOREN | |
Johanna Jürgens | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Femizide | |
Ehrenmord | |
Justiz | |
Gewalt gegen Frauen | |
Ehrenmord | |
Ehrenmord | |
Prozess | |
Schwerpunkt Femizide | |
Hatun Sürücü | |
Schwerpunkt Femizide | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Prozess um Mord an Afghanin: Von Brüdern überwacht | |
Der Prozess versucht zu klären: Wie hätte Maryam H. vor den Tätern | |
geschützt werden können und wie stark war sie in patriarchalen Strukturen | |
gefangen? | |
Prozess um Mord an Afghanin: Fragwürdige Ermittlungsmethoden | |
Zwei Brüder sollen ihre Schwester getötet haben. Vor Gericht schildert die | |
Mordkommission, wie sie die Leiche fand. | |
Prozess um Mord an Maryam H.: Viel für die Familie getan | |
An Tag vier des Prozesses sagt eine Freundin des Opfers aus: Jene habe | |
erwartet, ihre Brüder würden sie unterstützen. Sie sind wegen Mordes | |
angeklagt. | |
Prozessauftakt im Fall Maryam H.: Alles spricht für einen Femizid | |
Musste Maryam H. sterben, weil ihr Leben nicht den Vorstellungen ihrer | |
Brüder entsprach? Die Angeklagten schweigen beim Prozessauftakt. | |
Femizid in Berlin: „Im schlimmsten Fall Tötung“ | |
Am Freitag beginnt der Prozess gegen zwei Afghanen, die ihre Schwester | |
getötet haben sollen. Petra Koch-Knöbel sieht Parallelen zum Fall Sürücü. | |
Femizid an 34-Jähriger Afghanin: Ehrenloser Mord | |
Zwei Brüder haben ihre Schwester offenbar getötet – die Staatsanwaltschaft | |
spricht von Ehrenmord. Die mutmaßlichen Täter sind in Haft. |