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# taz.de -- Prozess um Mord an Afghanin: Fragwürdige Ermittlungsmethoden
> Zwei Brüder sollen ihre Schwester getötet haben. Vor Gericht schildert
> die Mordkommission, wie sie die Leiche fand.
Bild: Überwachungskamera am Bahnhof Südkreuz. Vor dort führte die Spur nach …
Berlin taz | Der Prozess um den [1][Mord an der 34-jährigigen Afghanin
Maryam H.] gibt einen tiefen Einblick in die Ermittlungsmethoden der
Berliner Mordkommission. Am Mittwoch und Freitag, den letzten beiden
Verhandlungstagen vor Ostern, schilderten Kripobeamte, wie es im
vergangenen Sommer zum Fund der Leiche gekommen war, drei Wochen nach dem
Verschwinden der Frau.
Seit Anfang März müssen sich die beiden Brüder der Getöteten in Berlin
[2][wegen Mordes vor Gericht verantworten]. Die Staatsanwaltschaft geht
davon aus, dass der 27-jährige Yousuf H. und der 23-jährige Mahdi H. ihre
geschiedene Schwester getötet haben, weil jene sich nicht den
Moralvorstellungen der Familie in Afghanistan unterworfen und zudem eine
Liebesbeziehung geführt habe. Beide schweigen zu den Vorwürfen.
Maryam H., Mutter von zwei Kindern, war am 13. Juli 2021 aus einem Wohnheim
in Hohenschönhausen verschwunden. Mehrere mögliche Tatverläufe hatten die
Ermittler in den Tagen danach untersucht – ohne Ergebnis. Dann endlich eine
heiße Spur: Auswertungen der Aufzeichnungen einer Überwachungskamera am
S-Bahnhof Südkreuz zeigten, wie die zwei Brüder an jenem Tag mit einem
offenbar schweren schwarzen Rollkoffer in einen Zug gestiegen waren.
Wohin die Reise ging, ergab die Auswertung der Telefondaten der
Beschuldigten: Nach Donauwörth in Bayern. Yousuf H. war dort gemeldet.
Zentrale Zeugin in diesem Prozess ist seine gleichfalls in Donauwörth
lebende Freundin, eine Ungarin. Die beiden haben zusammen einen einjährigen
Sohn. Am 2. August machte sich ein vierköpfiges Kommando der 3. Berliner
Mordkommission mit dem Dienstwagen auf nach Bayern. Das Ziel war, nun
endlich Koffer und Leiche zu finden.
## Erste Vernehmung ohne Ergebnis
Zusammenfassen lassen sich die Aussagen der als Zeugen vor Gericht
geladenen Beamten über den Ablauf in Bayern so: Auf dem Polizeiabschnitt
Dillingen, zuständig für Donauwörth, hätten sie die Lebensgefährtin Edina
V. am 3. August zum ersten Mal vernommen. Die verschlossen wirkende Frau
habe dabei lediglich bestätigt, dass sie Yousuf und Mahdi H. am 13. Juli
mit dem Koffer vom Zug abgeholt gehabt habe – und dass Mahdi H. am nächsten
Morgen zurück nach Berlin gefahren sei. Die Vernehmung habe in Anwesenheit
eines Dolmetschers stattgefunden, weil V. schlecht Deutsch gesprochen habe.
Wie ging es weiter? Am Folgetag hätten zwei Mitglieder des Kripo-Teams die
Frau bei sich zu Hause aufgesucht. Was dort ablief, klingt nach
Überrumpelungstaktik.
Dass sie keinen Dolmetscher dabei hatten, begründeten die Beamten vor
Gericht damit, es habe sich nicht um eine Vernehmung gehandelt. Man habe
lediglich „mal kurz in das Handy“ der Frau schauen wollen; die anwesende
13-jährige Tochter der Ungarin habe das Anliegen übersetzt. Edina V. habe
gezögert, ihnen dann aber das Handy überlassen.
Kurz darauf habe sie sich anders besonnen und das Handy zurück verlangt.
Aber da hätte einer der Beamten schon einen Screenshot vom Bewegungsprofil
des Handys gemacht. „Es gab einen Ausreißer zu einer Funkmastspur, den wir
uns schon im Vorfeld aus den Verbindungsdaten von Yousuf H.s Handy nicht
hatten erklären können“, sagte der Beamte, der den Screenshot gemacht
hatte, vor Gericht.
## Befragung vor Ort ohne Ergebnis
Die Spur führte nach Ehekirchen. Noch am selben Abend habe man sich dort
umgeschaut und festgestellt, dass der Ort nur aus ein paar Bauernhöfen
bestanden hätte. Die Befragung im Ort sei ergebnislos verlaufen. Danach, so
einer der Ermittler vor Gericht, war klar: „Okay, sie muss uns erklären,
was es damit auf sich hat.“
Am 5. August wurde die Ungarin erneut vernommen. Parallel seien zwei
Berliner Beamte zu einem gleichfalls im Bewegungsprofil verzeichneten
Baumarkt in der Nähe von Ehekirchen gefahren. So hätten sie herausgefunden,
dass dort am Morgen des 14. Juli eine Blume, ein Edelstahlspaten, eine
Schaufel und Handschuhe gekauft worden seien. Zeitgleich sei die Ungarin
von den beiden anderen Berliner Beamten erneut vernommen worden.
Man habe ihr den Screenshot vorgelegt und gefragt, was sie im Baumarkt
gemacht habe, sagte einer der Beamten. Blumen gekauft, so ihre Antwort.
„Als wir sie mit Details des Kassenbons konfrontierten“, so der Beamte,
„wusste ich: Okay, jetzt kippt sie um“.
Die Frau habe auf den Boden geschaut. „Wir haben sie erstmal einen Moment
weinen lassen und dann gefragt, ob sie uns zeigen will, wo sie liegt.“ Man
habe aber klargemacht, dass man dort ohnehin suchen werde – dass es die
Sache aber erleichtere, wenn sie helfe.
Mit Blaulicht und der Zeugin auf der Rückbank ging es nach Ehekirchen. Auf
einem der Handyfilmmitschnitte der Kripo, der am Freitag in der Verhandlung
gezeigt wurde, sieht man die Ungarin, die Dolmetscherin und zwei
Kripobeamte hinter einer Weggabelung außerhalb der Ortschaft einen Hügel
durch den Matsch hochlaufen. In einem Gebüsch unter Bäumen, wo das Erdreich
nicht bewachsen ist, entdecken sie die Stelle, wo Maryam H. vergraben
worden war.
## Es ist unklar, was die Freundin wusste
Edina V. ist Anfang Mai als Zeugin geladen. Es ist zu erwarten, dass sie
versuchen wird, sich auf ein Zeugnisverweigerungsrecht zu berufen. Zu den
Berliner Beamten soll sie gesagt haben, dass Yousuf H. sie angewiesen
hätte, unten am Weg zu warten. Und dass sie merkwürdige Geräusche gehört
habe. Ihr sei nicht klar gewesen, was er da tue, wenngleich sie gewusst
habe, dass die Schwester verschwunden gewesen sei. Yousuf H. habe von einem
Unfall gesprochen und sie gebeten, nicht zu fragen.
Alle vier Berliner Beamten hätten Edina V. danach in einem Auto zu ihr nach
Hause gefahren. Weil man „ein Team“ sei, sagte der Beamte am Freitag vor
Gericht. Geschafft, aber zufrieden habe man am nächsten Tag die Heimreise
nach Berlin angetreten.
Der Prozess wird am 20. April fortgesetzt.
1 Apr 2022
## LINKS
[1] /Prozessauftakt-im-Fall-Maryam-H/!5835491
[2] /Prozess-um-Mord-an-Maryam-H/!5840895
## AUTOREN
Plutonia Plarre
## TAGS
Ehrenmord
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Hatun Sürücü
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