# taz.de -- Leiterin über Rap-Workshop für Mädchen: „Es gab häufig Hate“ | |
> Das Projekt Sisterqueens aus Berlin-Wedding hat den Hatun Sürücü-Preis | |
> gewonnen. Alma Wellner Bou über Rap, Sexismus und Familienprobleme. | |
Bild: Sisterqueens: Nach dem Rap-Workshop gab es einen Videodreh mit Rapperin H… | |
taz: Frau Wellner Bou, immer wieder gibt es feministische Kritik an | |
Rapmusik, weil die Musikrichtigung häufig Sexismus transportiert. Wie kamen | |
Sie auf die Idee, ein [1][feministisches Rap-Projekt] zu machen? | |
Alma Wellner Bou: Genau deswegen. Weil Rap eine männlich dominierte Szene | |
ist, wenn man sich anschaut, wer sich da zeigt, was gezeigt wird, welche | |
Sprache benutzt wird und wie über Frauen und Männer gesprochen wird. Daraus | |
ist die Idee entstanden, die Inhalte zu ändern. | |
Wie sieht das dann aus? | |
Unser erstes Rap-Projekt „XX“ mit jungen Mädchen aus dem Wedding, in dem | |
auch der von den Mädchen selbst kreierte Name „Sisterqueens“ entstand, ist | |
mittlerweile vier Jahre her und war auch eine Antwort darauf, dass Rap sehr | |
präsent ist im Alltag junger Frauen und Mädchen. Wir versuchen, die Form | |
ein Stück weit mit neuem Inhalt zu füllen. Das ist eigentlich auch immer | |
Teil der Rapkultur gewesen: Die Stimme gegen Ungerechtigkeiten zu erheben | |
und zu partizipieren am gesellschaftlichen Diskurs. | |
Was macht es mit jungen Frauen und Mädchen, wenn sie selbst sexistische | |
Musik hören oder diese zumindest popkulturell und im Alltag allgegenwärtig | |
ist? | |
Es ist schwierig. Aber es geht uns nicht um Verbote. Wir sagen nicht: Das | |
dürft ihr alles nicht hören. Klar hören viele Mädchen auch problematische | |
Sachen. Wir haben uns auch mal zusammen hingesetzt, uns die Texte genau | |
angehört und uns gefragt, wie wir das eigentlich finden. Wir haben die | |
Mädchen gefragt: Was ist eure Antwort darauf? Wir wollten über die | |
Plattform Sisterqueens vor allem was dagegen setzen. Viele, die mitgemacht | |
haben, hören jetzt auch Künstlerinnen wie Ebow und Alice D., die Workshops | |
angeleitet haben und für anderen Rap stehen. | |
Was war denn die Antwort der Mädchen? | |
Die Mädchen positionierten sich gegen Diskriminierungen in jeglicher Form. | |
Teilnehmerinnen sind häufig doppelt und dreifach von Diskriminierungen | |
betroffen: Geschlecht, Herkunft, Alter, Klasse, you name it. Die Mädchen | |
sagen: Yo, das finden wir nicht cool. Sie nennen sich ja Sisterqueens. | |
Viele von unseren kollektiv geschriebenen Lyrics zielen deshalb aber vor | |
allem darauf, sich selbst zu feiern – so, wie man ist. Und allein das stößt | |
sich ja schon mit herkömmlicher Repräsentation im Rap. | |
Inwiefern? | |
Die Mädchen trotzen Klischees. Sie sagen: Wir sind keine Jungs, sondern | |
Mädchen, und gehen trotzdem mit Rap auf die Bühne. Wir kommen aus dem | |
Wedding, trauen uns aber dennoch, in Kreuzberg im HAU vor ausverkauftem | |
Haus aufzutreten. Wir handeln gegen die gesellschaftliche Erwartung. Und | |
wir feiern das und supporten uns gegenseitig. Sisterhood schafft auch | |
Vorbilder: Wir haben für die Videos und Auftritte nur mit Frauen | |
zusammengearbeitet. Man kann Rap nur mit Frauen machen. | |
Was bedeutet Rap als Ausdrucksform? | |
Rappen als Praxis und sich damit auf die Bühne zu stellen, wirkt super | |
empowernd. Beim Rappen setzt man Körper und Stimme anders ein als beim | |
Singen. Dadurch verändert sich auch etwas im Mindset. Ein Mädchen hat sich | |
etwa am Anfang nicht getraut, überhaupt irgendeinen Text laut vorzulesen, | |
weil sie ihre Stimme blöd fand. Am Ende stand sie auf der Bühne und hat | |
ihren eigenen Text gerappt. | |
Wie lief der Auftritt im HAU? | |
Super. Mich haben alle komplett weg gehauen und das Publikum war | |
begeistert. Für die Mädchen war es ein wahnsinniger Moment, von dem sie | |
immer wieder erzählen. Was für sie auch extrem wichtig ist: Dass ihre | |
Familien dabei waren. Es hat die Mädchen am stolzesten gemacht, dass das | |
eigene Umfeld das wertschätzt. Und natürlich haben sie alles auch stolz | |
[2][auf Social Media gepostet]. | |
Wertschätzung haben Sie nun auch mit dem diesjährigen Hatun Sürücü-Preis | |
bekommen. Der wird seit neun Jahren verliehen und erinnert an Hatun Sürücü, | |
die von ihren Brüdern ermordet wurde – weil sie ihre Zwangsehe für ein | |
selbstbestimmtes Leben verließ und sich gegen ihre Familie auflehnte. | |
Welchen Stellenwert hat dieser Preis für Sie und die Mädchen? | |
Einen sehr großen. Während der Projekte gab es häufig mal Hate. Manche | |
Eltern fanden es nicht gut. Eine Teilnehmerin hat ihrem Vater erst gar | |
nicht erzählt, dass sie bei einem Rap-Projekt mitmacht. Als das erste | |
Youtube-Video hochging, haben Jungs negativ kommentiert und wie wild | |
Dislikes gebottet. Sürücü ist ein Vorbild genau wie viele andere Frauen, | |
sich in den Kampf für ein selbstbestimmtes Leben einzureihen. Wir stehen | |
nebeneinander und kämpfen weiter. Wir zeigen und feiern uns. Diesen Geist | |
trägt auch das Mädchenzenrum Mädea. Dort beschäftigen sich die Mädchen auch | |
mit historischen Vorbildern wie etwa Luise Schröder, die sich für das | |
Frauenwahlrecht eingesetzt hat. Oder sie initiieren eine Petition, die eine | |
Bürgermeisterin fordert. | |
Gab es für Mädchen konkrete Probleme mit der Familie, weil sie rappen | |
wollten? | |
Auf jeden Fall. Über Details möchte ich natürlich im Sinne der Mädchen | |
nichts sagen. Aber es gibt Widerstand und auch Mädchen, die nicht mehr | |
dabei sind. Wir versuchen dann, ins Gespräch zu gehen, zu vermitteln und | |
das Projekt zu erklären. Andere Familien supporten das allerdings auch | |
komplett und kommen mit dem ganzen Fanclub zum Konzert. | |
Wie geht es mit der Plattform Sisterqueens weiter? | |
Wegen des Erfolgs wollen wir das Projekt jetzt auch berlinweit etablieren. | |
Es werden also weitere Mädchenzentren dazu kommen und mitmachen! | |
29 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.ongoing-project.org/project.php?id=71 | |
[2] https://www.instagram.com/sisterqueens_berlin/?hl=de | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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