# taz.de -- USA nach den Wahlen: Trump geht, die Wut bleibt | |
> Die Linke braucht ein Konzept gegen den leicht entflammbaren Hass auf | |
> liberale Eliten: eine ausgleichende, moderate und entschieden soziale | |
> Politik. | |
Bild: Aufgebrachte Trump-Anhänger in Philadelphia am Sonntag | |
In keinem anderen westlichen Land ist das Misstrauen in die Demokratie so | |
massiv wie in den USA. Trumps Wahl 2016 war der Ausdruck dieser | |
fundamentalen Skepsis. Als Präsident hat er viel getan, um demokratische | |
Institutionen zu demolieren. Sein dreister Versuch, die Wahlen zu | |
manipulieren, ist von US-Gerichten gestoppt worden. Das war der Griff zur | |
Notbremse: Die Wahl ist das Herz der Demokratie, ohne sie verliert sie ihre | |
Legitimität. Wenn Trump mit einer gefälschten Wahl Präsident geblieben | |
wäre, wäre es das Ende der US-Demokratie gewesen. | |
Trump hat vier Jahre lang gelogen und betrogen. Und doch haben ihn fast 71 | |
Millionen US-Bürger gewählt, verstärkt ethnische Minderheiten und LGBT. Der | |
Rechtspopulismus ist zur Volksbewegung geworden. Der Autor Don Winslow | |
schrieb kurz nach der Wahl fassungslos: „Es sollte nicht so knapp sein. | |
Nicht nach 230.000 Covid-Toten. Nicht nach den Kindern, die eingesperrt | |
wurden. Nicht nach vier Jahren fortgesetzten Gesetzesbruchs.“ | |
Es ist kein Zufall, dass der [1][Rechtspopulismus in den USA] so | |
erfolgreich ist. Seit Reagan sind die Einkommen einfacher Arbeitnehmer kaum | |
gestiegen. Mit Lohnarbeit wohlhabend zu werden ist so wahrscheinlich wie | |
ein Lottogewinn. Wer indes Vermögen hat, braucht nur gute Steuerberater, um | |
es zu vergrößern. Knapp zwei Drittel der US-BürgerInnen glauben, dass es | |
ihren Kindern nicht besser gehen wird als ihnen selbst. Das ist ein | |
Alarmsignal. | |
Der US-Politikwissenschaftler Adam Przeworski hält „die Erwartung | |
materiellen Fortschritts seit 200 Jahren für einen elementaren Bestandteil | |
der westlichen Zivilisation“. Vor allem in den USA ist dieses Versprechen | |
identitätsstiftend. Dass es pulverisiert wurde, ist die Folie für die | |
aggressive Ablehnung der regelbasierten Demokratie. | |
## Leicht entflammbare Wut | |
Trump hat die Wut der Gedemütigten kanalisiert. Das Authentische bei Trump, | |
so der US-Philosoph Michael Sandel, ist sein Zorn auf „die New Yorker | |
Elite, die Wall Street, die Medien und Intellektuellen, die ihn verachten. | |
Deshalb versteht Trump, der Steuern für Reiche radikal senkte, das Gefühl | |
der Erniedrigung, das die Arbeiter gegenüber den Eliten empfinden.“ Diese | |
Wut ist noch immer da, leicht entflammbar und manipulierbar. | |
Hat die Linke dagegen ein Konzept? Eine naheliegende Antwort auf den | |
globalen Aufstieg des Rechts- schien der Linkspopulismus zu sein. Die | |
Erfolge von Trump, Le Pen und AfD waren ja nur möglich wegen der Anpassung | |
von Clinton, Schröder und der französischen Sozialisten an den | |
Neoliberalismus. Die früheren Arbeiterparteien haben sich im digitalen | |
Kapitalismus gespalten – in Bildungsaufsteiger, die zur liberalen, urbanen | |
Elite zählen, und eine Klientel, die sich sozial oder kulturell abgehängt | |
fühlt. | |
Der Linkspopulismus verknüpft robuste soziale Umverteilung mit | |
Elitenskepsis und einer mehr oder wenig starken Dosis Nationalismus. So | |
soll die Wut der Abgehängten in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Der | |
Faschismus, schrieb Walter Benjamin, hat den Massen „zu ihrem Ausdruck, | |
aber beileibe nicht zu ihrem Recht“ verholfen. Der Linkspopulismus soll dem | |
Groll der Abgehängten auf die Eliten zum Ausdruck – und den Bürgern zu | |
ihren sozialen Rechten verhelfen. | |
## Das Scheitern des linkspopulistischen Projekts | |
Das klingt gut, es hat aber nicht funktioniert. Bernie Sanders und | |
[2][Jeremy Corbyn] sind gescheitert. Sanders wurde 2016 von dem mit der | |
Finanzindustrie verbandelten Establishment der Demokratischen Partei | |
verhindert. Aber das Scheitern des linkspopulistischen Projekts wurzelt | |
tiefer. | |
Sanders Ausstrahlung war zu sehr auf das Milieu junger AkademikerInnen | |
beschränkt, Corbyn unfähig, eine Antwort auf das Brexit-Dilemma zu geben. | |
Das Pendant zu den Dramen bei den US-Demokraten und Labour war in | |
Deutschland die Farce von „Aufstehen“. | |
Der Linkspopulismus ist für hochindividualisierte Gesellschaften offenbar | |
unterkomplex und unbrauchbar, ausreichend große Bündnisse zwischen den | |
Milieus zu schmieden. Die Fixierung auf die Abgehängten ist zu eng. In den | |
USA waren zu Reagans Zeiten noch zwei Drittel der WählerInnen weiße | |
Nichtakademiker, 2020 war es noch ein Drittel. | |
Zudem bildet nicht die Unterschicht, sondern die bedrohte Mittelschicht die | |
Fußtruppe des Rechtspopulismus. Bei US-Wahlen haben die Ärmeren, die | |
weniger als 50.000 Dollar im Jahr verdienen, laut exit polls mehrheitlich | |
[3][Biden gewählt,] Wohlhabendere, die über 100.000 Dollar verdienen, | |
mehrheitlich Trump. | |
## Es fehlt der visionäre Überschwang | |
So bleibt die moderate linke Antwort auf den Rechtspopulismus, die in den | |
USA Joe Biden und in Deutschland [4][Olaf Scholz] verkörpern. Die Linke, so | |
das Konzept, muss ausgleichend und behutsam agieren und auch der alten | |
verunsicherten, kulturell konservativen Mittelklasse Angebote machen. Biden | |
ist das zum Teil gelungen. Seine Erfolge in traditionell konservativen | |
Regionen waren wichtig und wären Sanders kaum geglückt. | |
Gegen Trumps Mix aus Hatespeech, Rassismus und Elitenverachtung setzt Biden | |
eine verbindende Rhetorik, den Appell an nationale Solidarität und | |
gesellschaftlichen Zusammenhalt. Doch was fehlt, ist jeder visionäre | |
Überschwang, jeder Hauch eines Roosevelt-Moments. | |
Entscheidend wird sein, ob Biden wirklich begriffen hat, dass die | |
Sanders-Linke in einem wesentlichen Punkt recht hat: Ohne soziale Balance | |
geht die Demokratie kaputt. Ein positiver Hinweis darauf ist, dass Biden im | |
Präsidentschaftswahlkampf nicht, wie es demokratische Kandidaten sonst | |
üblicherweise tun, Richtung Mitte abgebogen ist. Er will Trumps | |
Steuersenkungen zurückdrehen, den Mindestlohn auf 15 Dollar anheben und in | |
das Gesundheitssystem investieren. | |
Doch ob die Machtverhältnisse im Senat das erlauben, ist ungewiss. Der | |
prompte Streit zwischen Mitte-Demokraten und der Linken Alexandria | |
Ocasio-Cortez zeigt, welche Fliehkräfte es im demokratischen Lager gibt. | |
Wenn es Biden nicht gelingt, den aggressiven Kapitalismus einzuhegen, | |
bleibt die rechtspopulistische Gefahr akut. | |
10 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Trumps-Anhaenger-bei-den-US-Wahlen/!5723608 | |
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[4] /Kevin-Kuehnert-ueber-Perspektiven-der-SPD/!5708320 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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