| # taz.de -- Tegel wird zur „Urban Tech Republic“: Auf dem Holzweg | |
| > Auf dem Flughafengelände sollen innovative Firmen und die Beuth | |
| > Hochschule Platz finden. Und mit dem Schumacher Quartier die weltgrößte | |
| > Holzstadt. | |
| Bild: So soll es sich einst im Schumacher Quartier, der Wohnstadt der Urban Tec… | |
| Berlin taz | „Als wir 2012 angefangen haben, waren wir unserer Zeit zehn | |
| Jahre voraus.“ Philipp Bouteiller weiß, dass jetzt noch ein Aber kommen | |
| muss. Denn wer seiner Zeit voraus ist, kann von ihr auch wieder eingeholt | |
| werden, vor allem dann, wenn man den Zeitvorsprung nicht nutzen kann. | |
| Philipp Bouteiller aber musste warten, denn als Geschäftsführer der | |
| landeseigenen Tegel Projekt GmbH war er abhängig von der Eröffnung des BER. | |
| Aus dem Flughafen TXL soll er eine „Urban Tech Republic“ zaubern – den | |
| Take-off Tegels in die Zukunft. Doch diese Zukunft ließ mit jedem Jahr, in | |
| dem der BER nicht eröffnet wurde, länger auf sich warten. | |
| Doch sind deshalb all die Pläne, die Bouteiller und seine fast 50 | |
| Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entwickelt haben, Makulatur? Schließlich | |
| musste er acht Jahre warten, bis am 8. November 2020 die letzte Maschine in | |
| Tegel abhebt und er mit seiner Zukunft loslegen kann. Verlorene Zeit? | |
| Zumindest Zeit, die es wieder aufzuholen gilt, sagt der 52-Jährige in den | |
| Räumen seiner Gesellschaft in der Charlottenburger Lietzenburger Straße. | |
| „Schon damals war unser Thema der Klimawandel. Wir haben uns gefragt: Wie | |
| schaffen wir es, als Urban Tech Republic und mit einem neuen Stadtquartier | |
| auf diese Herausforderung zu reagieren?“ | |
| Die Antworten, die die Planerinnen und Planer damals hatten, waren | |
| Elektromobilität, die Konzentration des individuellen Verkehrs auf einige | |
| wenige Umsteigepunkte, die Speicherung des Regenwassers nach dem Prinzip | |
| der Schwammstadt, die Entwicklung neuer Energielösungen. „Doch damit | |
| beschäftigen sich inzwischen alle“, verdeutlicht Bouteiller den | |
| Zeitverlust. „Wir gehen deshalb einen Schritt weiter und sagen: Unser | |
| großes Thema heute ist die Kreislaufwirtschaft.“ | |
| ## Null Emissionen und Regenwassermanagement | |
| Kreislaufwirtschaft, das bedeutet nicht nur null Emissionen und | |
| Regenwassermanagement, es heißt auch, den stofflichen Lebenszyklus dessen | |
| in den Blick zu nehmen, was auf dem früheren Flughafengelände entstehen | |
| wird. Deshalb haben Bouteiller und seine Mitarbeiter den Schalter an einer | |
| Stelle noch einmal umgelegt. Aus dem Schumacher Quartier, der Wohnstadt | |
| der Urban Tech Republic, soll die mit mehr als 5.000 Wohnungen weltweit | |
| größte Holzstadt werden. | |
| Die Idee mit dem Holzbau hatte Regula Lüscher. „Es ist ja kein Geheimnis, | |
| dass ich aus einem Alpenland komme“, lacht Berlins Senatsbaudirektorin, die | |
| vor 13 Jahren aus Zürich nach Berlin gekommen ist. In der Schweiz, aber | |
| auch in Österreich, hat der Holzbau eine lange Tradition. Dort sitzen auch | |
| die Firmen, die das entsprechende Know-how haben. | |
| „Das ist natürlich eine Herausforderung für uns“, weiß Lüscher um die | |
| Aufgabe, einen komplett neuen Industriezweig in Berlin heimisch zu machen. | |
| „Die lokale Holzbauindustrie in Berlin und Brandenburg ist noch nicht so | |
| groß. Die muss sich erst noch entwickeln.“ Die meisten Angebote für die | |
| Kitas und Schulbauten, mit denen der Holzbau in Berlin vor einigen Jahren | |
| Fahrt aufgenommen hat, kamen von Firmen aus Süddeutschland oder Österreich. | |
| „Aber natürlich hat auch Brandenburg viel Holz“, sagt Lüscher. „Das ist… | |
| Grund, warum wir jetzt überlegen, in Tegel nicht nur das Schumacher | |
| Quartier aus Holz zu bauen, sondern dazu noch einen Produktions- und | |
| Innovationsschwerpunkt zum Holzbau entwickeln wollen.“ | |
| Holzbauhütte oder Bauhütte 4.0 soll das Projekt heißen. Ein | |
| verheißungsvoller Name, waren in den Dombauhütten des Mittelalters doch die | |
| besten Architekten ihrer Zeit zusammengekommen, um nach wegweisenden | |
| Lösungen für ihre Bauaufgabe zu suchen. Inzwischen hat eine Studie, die die | |
| Tegel Projekt GmbH von Philipp Bouteiller in Auftrag gegeben hat, den | |
| Nachweis erbracht, dass eine solche Bauhütte machbar ist. Mit an Bord sind | |
| auch das Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und | |
| Konstruktionstechnik IPK sowie die Technische Universität Berlin. Am 12. | |
| November werden die Ergebnisse der Studie der Öffentlichkeit vorgestellt. | |
| ## „Kreislaufwirtschaft machbar“ | |
| „Die Studie sagt, dass wir auf dem Gelände der Urban Tech Republic nicht | |
| nur das Holz für das Schumacher Quartier verarbeiten und die Bauteile | |
| vorfertigen können“, freut sich Lüscher. „Auch eine Kreislaufwirtschaft i… | |
| machbar. Sie reicht von der Produktion vor Ort über die Konstruktion der | |
| Bauten bis zu einem etwaigen Rückbau.“ Mit der Studie in der Tasche, meint | |
| Lüscher, „können wir jetzt weitere Partnerinnen und Partner gewinnen“. | |
| Dass das Schumacher Quartier am Kurt-Schumacher-Platz einmal zu den | |
| spannendsten Teilprojekten der Tegel-Nachnutzung gehören würde, war nicht | |
| abzusehen. Als Bouteiller mit der Planung begonnen hat, war Berlin noch | |
| keine wachsende Stadt. Nur 1.500 Wohnungen sahen die ersten Planungen auf | |
| dem östlichen Gelände des Areals vor. Nachdem 2013 der Masterplan für die | |
| Urban Tech Republic beschlossen worden war, war die Zahl der zu bauenden | |
| Wohnungen dann aber auf über 5.000 gestiegen. | |
| Langfristig kommen mit dem Quartier TXL Nord und der Cité Pasteur fast noch | |
| einmal so viele Wohnungen dazu (siehe Grafik). Von Holzbau aber ist im | |
| Masterplan noch keine Rede. „Doch bei der Tegel Projekt GmbH“, erinnert | |
| sich Senatsbaudirektorin Lüscher, „habe ich mit meinem Vorschlag sofort | |
| offene Türen eingerannt.“ | |
| Begeistert ist auch Andreas Otto. Lange Zeit war der grüne Bauexperte im | |
| Abgeordnetenhaus ein Rufer in der Wüste. „Die FDP hat mich manchmal sogar | |
| Holz-Otto genannt“, erinnert er sich. Dabei war sich die rot-rot-grüne | |
| Koalition auf Initiative Ottos schon 2016 einig, dass der Holzbau ein | |
| wichtiges Thema sei. Zwei Jahre später wurde die Bauordnung dahin gehend | |
| geändert, dass nun auch der Geschosswohnungsbau mit Holz erleichtert wurde. | |
| Um die Bedeutung des Holzbaus für das Klima zu unterstreichen, zitiert Otto | |
| gerne den Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, | |
| Hans Joachim Schellnhuber: „Der hat einmal in einem Vortrag gesagt, wir | |
| müssten aus Klimagründen zu 100 Prozent aus Holz bauen.“ | |
| ## „Die regionale Wirtschaft stärken“ | |
| Otto selbst nennt vier Gründe, warum Holzbauten das Gebot der Stunde seien. | |
| „Wir tragen zur Klimarettung bei, weil wir CO2 einlagern, statt es in den | |
| Zementfabriken in die Luft zu pusten“, zählt er auf. „Dann bauen wir mit | |
| Holz schneller, weil sich die Bauteile vorfertigen lassen. Die Leute fühlen | |
| sich in den Gebäuden wohl, und wir können die regionale Wirtschaft | |
| stärken.“ Wie Regula Lüscher hofft auch Andreas Otto auf Berlin als | |
| Standort einer Zukunftsbranche, die es bisher in der Region nicht gab. | |
| Doch Otto weiß auch, dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist. Von | |
| zentraler Bedeutung sei es deshalb, dass sich zunächst die Holzbranche in | |
| der Region ansiedelt. Erste Beispiele gibt es schon. So hat die | |
| österreichische Firma Kaufmann Bausysteme, die in Berlin unter anderem die | |
| Sekundarschule in Mahlsdorf gebaut hat, in Treptow-Köpenick eine | |
| Montagehalle eingerichtet. „Damit können die Hölzer in der Region | |
| vorgefertigt werden, und die Raumzellen, die etwa die Größe von | |
| Schiffscontainern haben, müssen nicht mehr aus Österreich angeliefert | |
| werden“, sagt Otto. | |
| Für die Mahlsdorfer Schule hat Kaufmann Bausysteme 2019 den erstmals vom | |
| Senat ausgelobten Berliner Holzbaupreis in der Kategorie Neubau gewonnen. | |
| Auch das Genossenschaftsprojekt „Gemeinschaftswohnen Wedding“ in der | |
| Lynarstraße war unter den Preisträgern. | |
| Inzwischen haben auch Fachzeitschriften oder Portale wie holzbauaustria | |
| oder lignum.ch große Storys über das Schumacher Quartier veröffentlicht. | |
| Doch Andreas Otto weiß, dass das nur ein erster Schritt ist. Der nächste | |
| sei die Gründung der Bauhütte. „Damit können wir das Bauen vor Ort mit der | |
| Forschung verknüpfen.“ Immerhin sei die Umplanung des Schumacher Quartiers | |
| für die Wirtschaft ein starkes Signal. Denn mit den 5.000 Holzwohnungen | |
| wird Berlin ein deutlich größeres Holzquartier schaffen als etwa Wien mit | |
| der Seestadt Aspern oder München mit dem Umbau der Prinz-Eugen-Kaserne. | |
| „Tegel kann für den Holzbau der lang ersehnte Durchbruch sein“, meint | |
| Andreas Otto. | |
| ## Wohnungsbaugesellschaften im Dilemma | |
| Es ist ein offenes Geheimnis, dass Lüscher und Otto nicht bei jedem offene | |
| Türen einrennen. Vor allem die Wohnungsbaugesellschaften sind noch | |
| zurückhaltend. „Die Baupreise beim Geschosswohnungsbau aus Holz liegen | |
| derzeit noch etwa 10 Prozent über dem für herkömmliches Bauen“, sagt | |
| Tegel-Projekt-Chef Bouteiller. | |
| Und Regula Lüscher ergänzt: „Die Wohnungsbaugesellschaften wissen, dass es | |
| erst mal teurer ist. Die sind im Dilemma. Auf der einen Seite sollen sie | |
| nachhaltig bauen, auf der anderen Seite sollen sie preiswerte Wohnungen | |
| bauen.“ Ohne eine zusätzliche Förderung gehe es also nicht, ist Lüscher | |
| überzeugt. „Wir müssen die Wohnungsbaugesellschaften in der Anfangsphase | |
| unterstützen.“ | |
| Langfristig aber, da sind sich Bouteiller und Lüscher einig, können die | |
| Baukosten nicht nur auf den Durchschnitt gesenkt werden. „Wenn der | |
| Bauprozess vor Ort stattfindet, wenn viel gebaut wird und wenn wir serielle | |
| Lösungen finden“, sagt Lüscher, „können wir die Baukosten auch unter den | |
| Schnitt senken.“ | |
| Doch das ist noch Zukunftsmusik, ebenso wie die Idee von Andreas Otto, in | |
| Berlin ein erstes Hochhaus aus Holz zu bauen. Auch die Idee, irgendwann | |
| einmal eine landeseigene Bauhütte aus dem Boden zu stampfen, ist noch | |
| nicht konkret unterfüttert. Vorerst heißt es, Fördermittel zu akquirieren, | |
| um pünktlich zum Baubeginn des Schumacher Quartiers die notwendige | |
| Infrastruktur vor Ort zu haben. | |
| ## Der Zeitplan ist sportlich | |
| Denn der Zeitplan, den sich die Verantwortlichen für den Baubeginn gesetzt | |
| haben, ist sportlich. „Wir wollen so schnell wie möglich beginnen“, betont | |
| Regula Lüscher. Mit den Bebauungsplänen sei man im Schumacher Quartier | |
| bereits sehr weit fortgeschritten.“ Wenn die Tegel Projekt GmbH startet, | |
| müsse auch die Infrastruktur, also Straßen und Versorgungsleitungen, | |
| bereitgestellt werden. „Parallel dazu werden wir die Ausschreibungen für | |
| die Grundstücksvergaben machen“, kündigt Lüscher an. „Das sind einmal die | |
| landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, aber auch Grundstücke, die wir im | |
| Rahmen von Konzeptverfahren an Genossenschaften geben wollen.“ Ziel sei | |
| ein gemischtes Quartier, betont Lüscher. „Ich gehe davon aus, dass wir 2023 | |
| die ersten Planungsvorgaben haben und gleich starten können.“ | |
| Auch Philipp Bouteiller kann es gar nicht erwarten. „Ich freue mich schon | |
| darauf, loszulegen“, sagt der Tegel-Projekt-Chef und verteilt gleich noch | |
| ein paar Dankesworte. „Die Radikalität, mit der das jetzt passieren wird, | |
| haben uns Regula Lüscher und die ehemalige Bausenatorin Katrin Lompscher | |
| ermöglicht. Das hat den Durchbruch möglich gemacht. Jetzt können wir den | |
| Holzbau neu erfinden.“ Wobei das „Jetzt“ etwas übertrieben ist, denn | |
| Hausherr in Tegel wird Bouteiller erst nach Ablauf einer sechsmonatigen | |
| Frist. „Tegel wird am 4. Mai an uns übergeben“, sagt er. „Vorher sind wir | |
| nur Gast auf dem Gelände.“ | |
| Aber schon im nächsten Sommer soll es für alle Berlinerinnen und Berliner | |
| geöffnet werden. „Wenn es Corona zulässt, wird es einen Tag der offenen Tür | |
| geben“, freut sich Bouteiller. Dann kann die Tegel Projekt GmbH allen | |
| zeigen, dass sie der Zeit doch wieder voraus ist. | |
| Denn der Zeitverlust, weiß Bouteiller, war eigentlich ein Zeitgewinn. | |
| „Wären wir 2012 gestartet“, weißt er, „hätten wir keine Holzstadt bauen | |
| können.“ | |
| 7 Nov 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Uwe Rada | |
| ## TAGS | |
| Volksentscheid Tegel | |
| Zukunftsprojekte | |
| Berlin autofrei | |
| Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) | |
| Flughafen Tegel | |
| Holzindustrie | |
| Geflüchtete | |
| Berlin-Tegel | |
| Flughafen Tegel | |
| Engelbert Lütke Daldrup | |
| Holz | |
| Berlin-Tegel | |
| Flughafeneröffnung | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Lesestück Interview | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Flüchtlingsunterbringung in Berlin: Es wird eng in Tegel | |
| Händeringend werden Unterkünfte für Geflüchtete gesucht. Nun müssen bis | |
| Jahresende auch noch die Terminals A und B in Tegel geräumt werden. | |
| Tegel als Spielfeld für Zukunft: Visionen bereit zum Abheben | |
| Der ehemalige Flughafen Tegel ist offiziell in den Händen der neuen | |
| Betreiber. Es kann losgehen mit dem größten Stadtentwicklungsprojekt | |
| Berlins. | |
| Damit der Holzbau nicht teurer wird: Am eigenen Ast sägen | |
| Die Preise für verarbeitetes Holz gehen durch die Decke. Mit einem lokalen | |
| Sägewerk könnte die Preisspekulation ein Ende haben, finden die Grünen. | |
| Der Flughafen Tegel ist Geschichte: Sanft entschlummert | |
| Als der BER eröffnete, musste der „Flughafen der kurzen Wege“ noch sechs | |
| Monate betriebsbereit bleiben. Am Dienstag endete die letzte Phase von TXL. | |
| Ausstellung der Architektenkammer: Es wird geholzt! | |
| Bei der Ausstellung „da! Architektur in und aus Berlin“ der Berliner | |
| Architektenkammer gibt es einiges aus Holz zu sehen. | |
| Schließung des Berliner Flughafens Tegel: Pankow hat seinen Himmel zurück | |
| Nach acht Jahren Warten ist es so weit. Am Sonntag startete um 15.40 Uhr | |
| das letzte Flugzeug vom Flughafen Tegel. In Pankow wurde das gefeiert. | |
| Nachnutzung des Flughafens Tegel: Nehmen S’ doch noch ein Stück TXL | |
| Der SPD-Abgeordnete Daniel Buchholz fordert, dass die Einrichtung des | |
| Flughafens Tegel per Publikumsversteigerung unter die BerlinerInnen kommt. | |
| Klima-Vergütung für Waldbesitzer: Regierung arbeitet an Baumprämie | |
| Bislang schluckt der deutsche Wald jedes Jahr gratis 60 Millionen Tonnen | |
| Kohlendioxid. Dafür sollen seine Besitzer bald bezahlt werden. | |
| Jasmin Tabatabai im Interview: „Nicht schön, beschimpft zu werden“ | |
| Die Schauspielerin und Sängerin sagt offen ihre Meinung. Auch zum Flughafen | |
| Tegel. Schließlich wohnt Jasmin Tabatabai in der Pankower Einflugschneise. |