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# taz.de -- Jasmin Tabatabai im Interview: „Nicht schön, beschimpft zu werde…
> Die Schauspielerin und Sängerin sagt offen ihre Meinung. Auch zum
> Flughafen Tegel. Schließlich wohnt Jasmin Tabatabai in der Pankower
> Einflugschneise.
Bild: „Was das bedeutet, bleibt mysteriös“, sagt Jasmin Tabatabai über ei…
taz: Frau Tabatabai, was haben Sie denn gegen Rehe?
Jasmin Tabatabai: Ich habe natürlich gar nichts gegen Rehe.
Trotzdem heißt Ihr neues Album „Jagd auf Rehe“. Der Titel ist die
Übersetzung von „Shekare Ahoo“, ein altes persisches Volkslied, das Sie
singen.
Eben. Aber in dem geht es nicht ums Jagen, sondern um gebrochene Herzen. Du
hast mich erlegt mit deinem Blick, heißt es im Text, jetzt gehe ich ins
Gebirge und jage Rehe.
Aha.
Ja, was das bedeutet, bleibt mysteriös. Genauso mysteriös wie, wer das
überhaupt sagt, ob es ein Mann ist oder eine Frau, denn es gibt kein
Geschlecht im Farsi. Aber das hat Tradition in dieser Kultur, es wird
vieles nicht ausgesprochen. Und genau dieses Mysteriöse hat mir gefallen,
ich fand das Uneindeutige gut. Mir gefällt, dass mich Leute fragen: Was
soll das bedeuten?
Mehr bedeutet der Albumtitel nicht?
Nein, da steckt kein Programm dahinter. Programmatisches liegt mir fern.
Ich bin niemand, der ein Konzeptalbum machen würde.
Auf dem Album singen Sie extrem unterschiedliches Material. Das geht von
Schuberts „Ständchen“ über einen Slam-Poetry-Text oder die Beatles bis zu
Reinhard Mey. Warum machen Sie diese Diskrepanz auf?
Das hört sich negativ an, wenn Sie Diskrepanz sagen. Das klingt, als wäre
etwas nicht stimmig. Sie könnten auch Vielfalt sagen.
Dann anders: Warum diese Vielfalt?
Es gibt eben unterschiedliche Künstlertypen: Die einen perfektionieren eine
Sache und finden sich darin ein Leben lang wieder. Aber bei mir ist es
andersherum. Ich springe gern zwischen den Welten herum, egal ob es um
Musik geht, um den Beruf oder die beiden Kulturen, in denen ich
aufgewachsen bin. Ich kann mir nicht vorstellen, ein Leben lang dieselbe
Musik zu machen. Für mich wäre es die Hölle gewesen, wenn ich nach dem
großen Erfolg von „Bandits“ die Songs aus dem Film und diese Figur Luna bis
ans Lebensende hätte spielen müssen.
Haben Sie [1][„Bandits“] in letzter Zeit noch mal gesehen?
Ja, erst im März bei der Feminist Film Week.
Der Film ist aus dem Jahr 1997.
Ja, aber kein bisschen gealtert. Obwohl sich Frauenbilder und
Rollenklischees seitdem radikal verändert haben, sind diese vier
Frauenfiguren, diese Archetypen auch heute noch ziemlich modern. Eine Figur
wie Luna, die wütende, junge Frau, die flucht und schon mal Leute
zusammentritt, die gab es damals nicht im Kino.
Der Film hat Preise gewonnen, aber die Kritiker mochten ihn nicht.
Die männlichen Kritiker. Da waren richtig böse Kritiken dabei. Ich glaube,
„Bandits“ hat damals einige überfordert, weil er ein scheinbar harmloser
Musikfilm war. Aber beim Publikum, vor allem bei einem jungen Publikum, hat
der Film offene Türen eingerannt, einen Nerv getroffen. Ich werde bis heute
auf keinen Film so oft angesprochen. Immer wieder treffe ich Frauen, die
damals 13 oder 14 Jahren waren und mir sagen: Wegen diesem Film habe ich
eine Band gegründet.
Auch Sie hätten sich für eine Karriere als Popstar entscheiden können.
Ich habe mir das damals angeschaut. Nach „Bandits“ war ich tatsächlich in
der Situation, dass ich mir die Plattenfirma hätte aussuchen können. Aber
mir hat die Branche nicht gefallen. Da gibt es sofort einen ungeheuren
Druck. Wenn die Single nicht sofort ein Hit wird, dann darfst du das Album
nicht mehr machen. Da darf man sich nicht ausprobieren. Außerdem wollte ich
die Schauspielerei nicht aufgeben, aber beides parallel, das wäre zu
zeitaufwendig gewesen.
Aber jetzt stemmen Sie doch beides.
Ja, aber die Musik, die ich jetzt mache, ist ja kein Pop. Im Jazz, im
Chanson läuft das vollkommen anders – auch das Geschäft. Wir sind keine
Pop- oder Rockband, wir gehen nicht dreimal die Woche in den Probenraum und
schon gar nicht mehrere Wochen oder Monate am Stück auf Tour. Mein
musikalischer Partner, David Klein, kommt aus Basel, der Pianist und der
Bassist aus Stuttgart, der Schlagzeuger aus Köln – und seit neun Jahren
treffen wir uns fast jedes Wochenende irgendwo zum Konzert – zumindest bis
Corona kam.
Sie kommen musikalisch aus einer ganz anderen Ecke, Ihre erste Band hieß
Even Cowgirls Get The Blues und spielte Country.
Ja, ich bin Autodidaktin, ich kann musikalisch nicht mithalten mit diesen
unglaublich versierten Jazzmusikern. Aber die haben mir nie das Gefühl
gegeben, dass das, was ich mache, nicht genügen würde. Deswegen bedeutet
Jazz für mich vor allem Freiheit. Ich bin die Stimme, ich bin der rote
Faden, die bauen alles um mich herum, die tragen mich wirklich auf Händen.
Aber ich weiß halt auch, wo meine Grenzen sind. Ich sage denen nicht, wie
sie spielen sollen, und ich mische mich nicht in die Arrangements ein, das
würde ich mir niemals anmaßen. Ich könnte vielleicht sogar sagen, ab heute
schreibe ich alle Texte selbst. Aber warum sollte ich? Es gibt doch schon
so viele wahnsinnig tolle Lieder.
Sie haben immer nur englische Texte geschrieben …
Ja, bis auf eine Ausnahme. Mit Even Cowgirls Get The Blues sind wir mal als
Die Schrippen aus Berlin als unsere eigene Vorband aufgetreten. Dafür habe
ich alle Texte ins Deutsche übersetzt. Das war also eher satirisch.
Ansonsten finde ich es wahnsinnig schwierig, deutsche Texte zu schreiben.
Ich bewundere das sehr, wenn das jemand gut kann.
Haben Sie auf die Pop-Karriere, die sich nach „Bandits“ angeboten hätte,
auch deshalb verzichtet, weil Sie Angst hatten, dass Sie auf ein gewisses
Image festgelegt würden?
Erfolg sollte einem keine Angst machen. Echter Erfolg ist so selten und so
toll, den sollte man genießen. Nein, ich hatte keine Angst, festgelegt zu
werden. Aber ich habe schon auch sehr darauf geachtet, mich um Klischees
und Schubladen herumzudrücken. Das hat allerdings schon lange vor „Bandits“
begonnen, weil ich immer dagegen kämpfen musste, die Quotenausländerin zu
sein. Schon an der Schauspielschule hat ein Lehrer zu mir gesagt, und das
war gar nicht böse gemeint: Jasmin, für dich wird es sehr schwer in
Deutschland, Rollen zu kriegen. Und so war es dann ja auch.
Sie haben mal gesagt, Sie waren zu lange die Quotentürkin.
Ja, das war vor allem am Anfang meiner Karriere ein Problem. Ich habe dann
zwar nur einmal eine Türkin gespielt, aber ich habe auch zwanzig Jahre
gebraucht, um im Mainstream anzukommen und endlich Rollen wie die Mina in
„Letzte Spur Berlin“ zu bekommen. Mittlerweile hat sich zum Glück einiges
getan, es sind jetzt viel mehr Menschen mit Migrationshintergrund sichtbar.
Aber es ist natürlich immer noch kein Abbild der Gesellschaft, das Film und
Fernsehen aber sein sollten – finde ich zumindest.
Sie sind generell jemand, der aneckt und sich eine Meinung leistet.
Ja, aber das ist ein Problem, das fast alle Schauspielerinnen und
Schauspieler haben: Man will nicht, dass wir groß den Mund aufmachen, wir
sollen pflegeleicht sein. Unser Job ist es, eine Rolle zu spielen. Wenn du
aus dieser Rolle fällst, dann handelst du dir automatisch Ärger ein. Dass
viele darauf keine Lust haben, das kann ich sogar verstehen. Aber ich kenne
auch immer mehr Bekannte und Kollegen, die sagen: Ich habe eine gewisse
Bekanntheit und dadurch eine gewisse Reichweite, und die werde ich auch
nutzen, um auf Missstände aufmerksam zu machen.
Wie nutzen Sie ihre Reichweite?
Ich bekomme ständig Anfragen, ob ich nicht mein Gesicht für einen guten
Zweck hergeben will. Aber ich finde, man sollte sich konzentrieren auf
Dinge, hinter denen man auf jeden Fall stehen kann. Ich habe mich immer für
Frauenbelange eingesetzt wie für [2][ProQuote Film]. Da bin ich überzeugt,
dass das eine gute Sache ist und wir gar nicht oft genug darüber reden
können, wie viel weniger Geld Frauen bekommen, wie viel weniger Rollen für
sie da sind. Und ProQuote hat endlich mal die Fakten geliefert. Dank der
Studien, die die in Auftrag gegeben haben, haben wir endlich nicht mehr nur
ein doofes Gefühl, sondern gute Argumente.
Hat sich da nicht allerhand getan?
Ja, natürlich hat sich viel getan. Man muss sich ja nur mal Serien wie „Ich
heirate eine Familie“ oder „Drei Damen vom Grill“ ansehen: So niedlich
diese Serien sind, aber welche Frauen- und Männerbilder da in den siebziger
und achtziger Jahren propagiert wurden, das kann man heute kaum noch
verstehen. So etwas könnte man nicht mehr drehen, aber auch heute muss man
als Frau immer noch darauf achten, dass die Rolle nicht zu passiv angelegt
wird. Auch bei „Letzte Spur Berlin“ muss ich aufpassen, dass meine Rolle
Mina nicht zur Mutter der Kompanie wird, dass sie nicht nur am Rande steht
und sich Sorgen um die Männer machen darf … Es gibt noch viel zu tun.
Vor zwei Jahren bei der Verleihung des Deutschen Schauspielpreises haben
Sie noch gesagt, MeToo habe viel verändert in der Filmbranche.
Ach, ob [3][MeToo] wirklich etwas verändert hat in der Filmbranche, da bin
ich mittlerweile sehr skeptisch. Es ist eine kleine Branche, eine sehr
konservative Branche, und das sind ganz alte Strukturen, die MeToo da
endlich mal zutage hat treten lassen. Aber MeToo ist in Deutschland viel zu
schnell im Sande verlaufen. Zuerst konnte man sich eine Zeit lang kaum
retten vor Anfragen, ob man auch mal etwas enthüllen wolle. Aber die
Schauspielerinnen, die dann tatsächlich Namen genannt haben wie Jany
Tempel, die sind völlig alleingelassen worden. Das Einzige, was MeToo
wirklich gebracht hat: Endlich wurde angefangen, über dieses Problem in der
Branche zu sprechen. Wegen der Sensationslust redet mittlerweile aber halt
niemand mehr offen. Intern aber wird weitergesprochen, da gibt es durchaus
einen guten Austausch. Den hat MeToo in Gang gebracht, aber der müsste halt
weitergehen. Denn es ändert sich nichts, wenn nicht dafür gekämpft wird.
Aber kämpfen kann gefährlich sein für die Karriere.
Gefährlich?
Ja, klar, wenn man den Mund aufmacht, wird man weniger besetzt. Das sagt
einem natürlich keiner ins Gesicht, aber Regisseure und Regisseurinnen
haben mir erzählt, dass sie mich besetzen wollten – aber die Redaktion dann
Nein gesagt hat. Es brauchte dann eine mutige Casterin, eine mutige
Redakteurin, damit ich bei „Letzte Spur Berlin“ anfangen konnte – und dann
merkt man, dass es dem Publikum völlig egal ist. Ich will mich nicht
beklagen, aber es ist nun mal so, dass es vor allem bei Frauen in der
Branche nicht gern gesehen wird, wenn sie meinungsstark sind. Aber ich
verstehe auch, dass die meisten lieber still bleiben.
Warum?
Weil es anstrengend ist, weil es nicht schön ist, beschimpft zu werden.
Wenn ich in einer Talkshow etwas zum Thema Schule und Kinderbetreuung sage,
ist im Internet der Teufel los. Ich solle mich raushalten und dorthin
zurückgehen, wo ich herkomme. Wenn ich auf Facebook einen Aufruf zur
Seenothilfe poste, bekomme ich tonnenweise Hasspost, die übelsten
Beschimpfungen. Wenn ich sage „Nazis raus!“, dann geht es richtig ab.
Gerade wenn man Migrationshintergrund hat, soll man lieber still sein,
heißt es dann.
Wie geht es Ihnen damit?
Na, toll finde ich das nicht. Aber soll ich deswegen die Schnauze halten?
Wie gesagt: Engagement sollte auch was kosten, sonst ist es nicht
glaubwürdig.
Ein Thema, zu dem Sie sich exponiert haben, war die Schließung des
Flughafens Tegel.
Ja, da habe ich mich auch nicht unbedingt beliebter gemacht. Ich weiß, dass
vor allem die Westberliner an Tegel hängen. Für die hat der Flughafen einen
sentimentalen Wert. Das verstehe ich ja auch. Für die Westberliner war
Tegel das Tor zur Freiheit.
Für Sie ist er vor allem ein Quell des Lärms, Sie wohnen schon lange in
Pankow in der Einflugschneise und haben sich engagiert in der [4][BI „Tegel
endlich schließen“].
Ja, und seitdem wegen Corona kaum noch geflogen wird, haben wir hier eine
vollkommen andere Lebensqualität. Ich kann zum ersten Mal, seit ich in
Pankow lebe, bei offenem Fenster schlafen. Ich kann mich endlich in meinem
Garten mit Menschen unterhalten. Fluglärm ist einfach eine Zumutung.
Fluglärm ist ja kein buntes Treiben, nicht der Sound eines quirligen
Stadtlebens, sondern ein aggressiver, krank machender Krach, der den Leuten
zugemutet wird.
Die Bürgerinitiative konnte allerdings nicht verhindern, dass 56 Prozent
der BerlinerInnen beim Volksentscheid dafür stimmten, dass TXL offen
bleiben soll. Wie haben Sie sich damals gefühlt? Fühlten Sie sich verraten?
Nein, es haben ja über 40 Prozent für die Schließung gestimmt, das ist ja
nicht nichts. Den Lärm spüren ja auch nur die Anwohner. Das Problem, und
das haben wir immer gesagt, war ja auch nicht Tegel, sondern dass der BER
nicht fertig wurde. Die Leute waren einfach sauer über dieses Versagen und
haben trotzig gesagt: Dann behalten wir halt Tegel. Und darauf haben sich
einige mit populistischen Parolen draufgesetzt. Vor allem die FDP – und das
hat mich richtig geärgert. Weil die so getan haben, als gäbe es die
Vereinbarungen und Verträge nicht, aufgrund deren Tausende von Menschen mit
ihren Familien eine Entscheidung getroffen haben, hierherzuziehen. Denen
wurde gesagt: Dann habt ihr euch halt verzockt. Ich zocke nicht, schon gar
mit so einer Lebensentscheidung.
Ist es ein Triumph, dass das Ende nun gekommen scheint?
Gar nicht. Wenn Tegel wirklich zumacht, bin ich einfach nur erleichtert.
Werden Sie Tegel auch ein wenig vermissen?
Kein bisschen.
12 Jul 2020
## LINKS
[1] https://www.imdb.com/title/tt0118682/
[2] https://www.facebook.com/proquotefilm
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/MeToo
[4] https://www.tegelschliessen.de/
## AUTOREN
Thomas Winkler
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