| # taz.de -- Deutsche Fernsehserien floppen: Schmerzensmänner statt Romane | |
| > Im deutschen Fernsehen haben langfristig angelegte Erzählungen, wie sie | |
| > vor allem aus den USA kommen, keine Chance. Das zeigt auch „Die letzte | |
| > Spur“. | |
| Bild: Jasmin Tabatabai versucht sich als Kommissarin. | |
| Fernsehen ist das neue Kino, amerikanische TV-Serien haben das horizontale, | |
| längerfristige Erzählen neu definiert, die großen Romane der Gegenwart | |
| heißen „The Sopranos“ und „The Wire“. Das wird derzeit ständig geschr… | |
| Es stimmt ja auch. | |
| Aber es sind nicht allein die Amerikaner – die Deutschen waren im | |
| horizontalen Krimi-Gewerbe zwischenzeitlich auf Augenhöhe, annähernd, nicht | |
| ganz. Mit Dominik Grafs und Rolf Basedows „Im Angesicht des Verbrechens“ | |
| (ARD) und Orkun Erteners „KDD – Kriminaldauerdienst“ (ZDF). Was in New | |
| Jersey und Baltimore geht, geht auch in Berlin. Das sind nun die Krimis, an | |
| denen sich alle neuen Produktionen messen müssen. | |
| Im Februar lief im ZDF der Vierteiler „Die Chefin“, mit Katharina Böhm, am | |
| Freitag startet „Die letzte Spur“. Erfinder, Autor war für beide Serien | |
| Orkun Ertener. Beide halten dem Vergleich mit „KDD“ nicht stand. Das ist | |
| schade, aber das wirklich Ärgerliche ist: Sie sollen es auch gar nicht. | |
| Selbst dann, wenn die Öffentlich-Rechtlichen (anders als bei Gottschalk) | |
| keine Werbezeit zu verkaufen haben, wollen sie sich partout abhängig wähnen | |
| von den Zuschauerquoten. | |
| Und die waren bei beiden genannten Referenz-Serien – bescheiden. Was also | |
| tun: Den hochgelobten (Grimme-Preis), hochbegabten Autor (Ertener) nehmen | |
| und ihn so höflich wie nachdrücklich bitten, ein paar Gänge | |
| zurückzuschalten. Den Zuschauer bloß nicht überfordern. Für den Autor ist | |
| das ein Affront, dem er sich nur durch Totalverweigerung entziehen könnte. | |
| Ertener hat sich – zähneknirschend – gefügt. | |
| Was dabei herausgekommen ist: „Die letzte Spur“ ist eine deutsche Variante | |
| von „Whithout a Trace“, ein „Hoffnungskrimi“ (ZDF). Es geht ausnahmswei… | |
| nicht um Mord und Totschlag, sondern um Verschwundene. Warum das so | |
| besonders ist, sagt einer der Kommissare von der Vermisstenstelle: „Fassen | |
| wir ’n Mörder, macht das keinen mehr lebendig. Klären wir ’n Einbruch, da… | |
| freut sich die Versicherung. Geht ’n Dieb in ’n Knast, gibt’s deswegen | |
| keinen Junkie weniger. Aber wenn wir ’n Vermissten finden – dann helfen | |
| wir!“ | |
| ## Berlin-Totale in Dauer-Zeitraffer | |
| 45 Minuten sind knapp bemessen für eine ganze Erzählung. Zumal wenn sie so | |
| lebensfremd durchkonstruiert ist wie in der ersten Folge „Verantwortung“. | |
| Mit den spezifischen innerfamiliären Gründen, auf denen das Verschwinden | |
| eines werdenden Vaters beruht, rückt Ertener verblüffend schnell heraus. | |
| Der Zeitdruck schlägt sogar auf die obligatorischen Stimmungsbilder durch. | |
| Immer wieder: Berlin-Totalen im Zeitraffer. | |
| Die Kommissar-Darsteller Hans-Werner Meyer, Jasmin Tabatabei, Susanne | |
| Bormann und Florian Panzner sind aus Fernsehfilmen seit Jahren wohlbekannt, | |
| gleichwohl in Sachen „Serie“ eher unverbraucht. Ein mehrköpfiges | |
| Ermittlerteam, nicht nur ein oder zwei Kommissare – von den Amerikanern | |
| gelernt. Zwei hatten mal was miteinander, zwei haben Kinder, einer einen | |
| vermissten Vater. Ansätze zum Horizontalen beschränken sich auf das | |
| Private. | |
| Um es mit Alexander Kluge zu sagen: „In Gefahr und größter Not bringt der | |
| Mittelweg den Tod.“ Kommissare, die ihre Befindlichkeiten mit an den | |
| Arbeitsplatz tragen, gibt es im deutschen Fernsehen genug. Wann hätte man | |
| je erfahren, wie es bei Derrick zu Hause aussieht. Und wenn man an seine | |
| goldenen Brillengestelle denkt – man wollte es auch lieber gar nicht | |
| wissen. | |
| Wenn die Feigheit vor dem Quotenzuschauer so groß ist, wenn es horizontal | |
| nicht mehr so richtig abgehen darf wie noch bei „KDD“ – hätten das ZDF u… | |
| Ertener dann nicht einfach konsequent das Gegenteil machen können? Einen | |
| Kommissar im Stil der 70er, 80er? Das wenige Private stets in den Dienst | |
| der Verbrecherjagd stellend, die Abende mit Bier und Bulette am | |
| Kneipentresen rumbringend. Aber die Bierkneipe stirbt gerade aus. Und | |
| Stefan Derrick war vielleicht einfach der letzte Bulle. | |
| 20 Apr 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Müller | |
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| Lesestück Interview | |
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