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# taz.de -- Der „Tatort“-Doppelpack: Alphatierchen in Ost und West
> Zu Ostern bringt eine Doppelfolge im städtepartnerlichen Doppelpack die
> Marke „Tatort“ zum Glänzen. Ambitioniert, aber nicht allzu aufregend.
Bild: Leichte Beute? Auf dem Kinderstrich schaffen obdachlose Mädchen an.
Warum eigentlich immer Leipzig? Nirgendwo sonst tauchen „Tatort“-Kommissare
derart häufig und unangemeldet auf wie in der sächsischen Großstadt, wo sie
in fremden Revieren wildern. Das war schon ganz am Anfang so.
„Taxi nach Leipzig“ hieß der erste „Tatort“ überhaupt, damals, anno 1…
ermittelte der Hamburger Kommissar Trimmel in der Mustermessenstadt. Die
Messe hat längst ihre Bedeutung verloren, doch das Muster blieb: Schlappe
457 „Tatorte“ später machte sich im Jahr 2000 das Kölner Ermittlerduo Max
Ballauf und Freddy Schenk ebenfalls nach Leipzig auf, ohne sich bei den
Kollegen vor Ort anzumelden. Im Jahr 2002 revanchieren sich wiederum die
Leipziger und fahndeten ohne Ankündigung in Köln.
Und am Osterwochenende ist es endlich wieder einmal so weit: Mit gar nicht
polizeifeiner Dauerhöchstgeschwindigkeitsübertretung rasen Ballauf (Klaus
J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) nach Leipzig. Es geht um eine junge
Frau aus Leipzig, die gerade eben tot aus dem Rhein geborgen wurde. Dieses
Mal hat es sogar nur zehn Jahre für den kooperativen Einsatz - und trotzdem
320 Folgen der Krimireihe gedauert, was man ganz nach Belieben als Beleg
für den Erfolg der Marke „Tatort“ oder den Beweis des inflationären
Einsatzes von TV-Krimis im Hauptabendprogramm werten kann.
Das Opfer, die 15-jährige Sarah Stellwag, hatte in Leipzig auf der Straße
gelebt und war auf den Strich gegangen, weshalb sich Ballauf dort ganz
unbürokratisch umschaut. Dabei kriegt er prompt von seinem Leipziger
Amtsbruder Andreas Keppler (Martin Wuttke) auf die Nase. Denn Keppler und
seine Kollegin Eva Saalfeld (Simone Thomalla) ermitteln ebenfalls im
Straßenkindermilieu, ihre Tote heißt Lisa Noack, war ebenfalls 15 und
schaffte gelegentlich an. „Kinderland“ heißt dieser „Tatort“ aus Leipz…
bei dem von heiler Welt der Jugend nicht die Rede sein kann. Und der -
Weltpremiere! - nach den üblichen 90 Minuten auch noch weitergeht.
Denn am Ostermontag ermitteln beide Kommissarteams in Köln weiter („Ihr
Kinderlein kommet“, Mo., 9.4., 20.15 Uhr, ARD). Ein weiteres, in Leipzig
verschwundenes Mädchen wird nun in der Stadt am Rhein vermutet. Sie lebt -
noch. Doch die Zeit drängt: Hat man es doch offenbar mit einem Serienmörder
zu tun, der sich an jungen Menschen vergreift, die ohnehin schon „vermisst“
sind.
## Kleine amouröse Andeutungen
Laut Bundeskriminalamt waren Anfang 2012 rund 1.900 Kinder und Jugendliche
unter 17 Jahren als vermisst gemeldet, rund drei Prozent von ihnen, so die
BKA-Statistik, blieben auch nach einem Jahr verschwunden. Keine ganz
leichte Kost, die Thomas Jauch (Regie) und Jürgen Werner (Buch) da zum
Osterfest servieren – noch dazu mit der doppelten Herausforderung der
Doppelfolge. Denn natürlich hat auch „Kinderland“ einen abgeschlossen
Handlungsstrang – der Fall Noack wird gelöst, doch die große Frage bleibt
am Ende offen. Wobei der Cliffhanger einen auch nicht um den Osterschlaf
bringt.
Für Regisseur Thomas Jauch stand denn auch die Idee, die Zusammenarbeit der
beiden Kommissarteams von immer mal wieder stattfindenden „kleinen
Besuchen“ zu einer echten „Erweiterung als Zweiteiler zu verzahnen“, im
Vordergrund.
Anders als die sonst üblichen ein bis zwei Tage Drehzeit im jeweils
„anderen“ Revier wurden bei „Kinderland“ und „Ihr Kinderlein kommet�…
neun bis zehn Tage in der „Partnerstadt“ gedreht, erzählt Jauch. Und dass
die vor allem von Keppler und Ballauf zunächst gepflegte Animosität der
Alphatierchen hübsch aufs Drehbuch beschränkt blieb. Was wohl erst recht
für die kleinen amourösen Andeutungen zwischen Schenk und seiner Leipziger
Kollegin Eva Saalfeld gilt.
„Spaß gemacht hats, das war ganz souverän, uneitel und mit sehr viel
Humor“, sagt Jauch, keiner habe "um noch ein Close-up oder ein paar Zeilen
mehr" gefeilscht. Wenn es überhaupt Stress gab, dann eher den, die vier
vielbeschäftigten Darsteller terminlich unter einen Hut zu kriegen. Die
„Spielfreude hat das jedenfalls eher noch beflügelt“.
Stimmt: Die interkommissarisch-menschlichen Zwischentöne machen den Reiz
der Doppelfolge aus. Wobei die Sachsen nicht ganz so brillieren wie die
Herren vom Rhein; dafür liegen die Leipziger Ermittler immerhin in Sachen
Ökobilanz ganz weit vorn: Während die Kölner Kommissare mit dem Bleifuß in
Schenks unvermeidlichem Straßenkreuzer unterwegs sind, kommen Saalfeld und
Keppler brav mit der Bahn.
## Mit der Marke „Tatort“ sorgsam umgehen
Und obwohl die Problematik der Straßenkinder nicht so prägnant
herausgearbeitet wird wie sonst die in fast allen „Tatorten“ zu findende
gesellschaftspolitische Dimension, passt sie zu den Darstellern. Klaus J.
Behrendt und Dietmar Bär engagieren sich seit dem „Tatort: Manila“ (1998)
für Kinder auf den Philippinen. Und Simone Thomalla hat in Leipzig einen
Scheck übergeben für den Verein Straßenkinder, der sich seit 2003 für junge
Menschen einsetzt, die auf der Straße leben.
Schränkt so viel Anteilnahme den Regisseur eigentlich in seiner Arbeit und
Freiheit ein? „Nein“, sagt Jauch, „das hat uns in keiner Weise tangiert�…
schließlich habe das „nichts Missionarisches, und ne Sammelbüchse hat auch
niemand bei den Dreharbeiten aufgestellt“.
Das Team war am Ende mit der Köln-Leipziger Viererbande höchst zufrieden,
und Jauch, der ab Mittwoch in Dortmund den neuen Ruhrgebiets-„Tatort“
dreht, hofft auf Neuauflagen. „Natürlich muss man mit der Marke
,Tatort´sorgsam umgehen, aber im Jahresabstand ließe sich da bestimmt was
machen." Zumal die Münchner, die sich noch gerne an den Kurzbesuch ihrer
Ludwigshafener Kollegin Lena Odenthal erinnern, auch "mal gern was mit den
Kölnern drehen würden“.
Doch noch mehr scheint der Krimistadt Leipzig das Reisen im Blut zu liegen,
nicht nur in der ARD. Das ZDF hat jedenfalls seine „Soko Leipzig“ schon
2009 in einem gemeinsamen Fall mit dem Ermittlerteam der britischen
TV-Krimireihe „The Bill“ gekreuzt und in London ermitteln lassen. Da gibt
es allerdings nicht so schöne, kommissarabschiedstaugliche Imbissbuden wie
am Rhein. Obwohl: Die Kölner Wurstbraterei mit dem berühmten Domblick ist
ja auch nicht echt.
Tatort, „Kinderland“, Regie Thomas Jauch / Kamera Clemens Messow. ARD,
Sonntag, 8. April, 20:15 Uhr.
8 Apr 2012
## AUTOREN
Steffen Grimberg
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