# taz.de -- Indigene Geschichtsschreibung: Federschmuck zur Glorifizierung | |
> Der mexikanische Präsident fordert die Rückgabe eines Aztekenkopfschmucks | |
> von der Stadt Wien. Das nützt den Indigenen allerdings wenig. | |
Bild: Der Federkopfschmuck wird im Weltmuseum in Wien gezeigt | |
Verstrickt in Goldlamellen, 222 Vogelfedern, verziert mit Jadesteinen – der | |
als „Federkrone Moctezumas“ bekannte Kopfschmuck [1][aus dem Aztekenreich] | |
ist ein einzigartiges Kunstwerk. Wie es ins Wiener Weltmuseum gelangte, ist | |
umstritten. Hat es der Eroberer Hernán Cortés dem Aztekenherrscher | |
Moctezuma II. geklaut? Oder hat Moctezuma II. ihm den Federfächer | |
geschenkt? | |
Schließlich sind sich die beiden zunächst freundlich begegnet, bevor Cortés | |
den Azteken 1521 mithilfe dessen einheimischer Rivalen in Tenochtítlan, dem | |
heutigen Mexiko-Stadt, besiegt hat. Sicher scheint, dass Moctezuma II. nie | |
Kronen getragen hat und der Schmuck von einem hohen Geistlichen stammt, | |
weshalb Historiker vom „Federschmuck des alten Mexikos“ sprechen. Auf | |
seiner 500-jährigen Reise soll er über die Habsburger in der | |
österreichischen Hauptstadt gelandet sein. | |
Aber warum steht der Kopfschmuck immer noch in Wien? Ob geklaut oder unter | |
dem Druck der Kolonisatoren verschenkt, der in Nahuatl „Quetzalapanecayotl“ | |
genannte Schmuck gehört Mexiko. Vor wenigen Tagen hat Präsident Andrés | |
Manuel López Obrador die Rückgabe des Raubguts gefordert. | |
Seine Ehefrau, Beatriz Gutiérrez Müller, war nach Europa gereist, um für | |
anstehende Feiern einst gestohlene Ausstellungsstücke auszuleihen und sich | |
im Namen ihres Mannes dafür eingesetzt, dass die Federkrone in ihr | |
Heimatland zurückkehrt. Eine „mission impossible“, wie der Staatschef | |
einräumte. Selbst als der Habsburger Maximilian I. im 19. Jahrhundert | |
kurzzeitig als „Kaiser von Mexiko“ eingesetzt war, hätten die Österreicher | |
Quetzalapanecayotl nicht rausgerückt. | |
## 222 Federn zur Erinnerung an historische Ereignisse | |
Dem Präsidenten, der sich gerne als Vorkämpfer der indigenen Sache | |
inszeniert, käme es gut zupass, wenn die 222 Federn bald wieder in Mexiko | |
zu Hause wären. Denn 2021 erinnert Mexiko an mehrere historische | |
Ereignisse: Vor 700 Jahren wurde Tenochtitlán gebaut, vor 500 Jahren wurde | |
die Stadt von Cortés erobert, vor 200 Jahren vertrieben die Mexikaner die | |
spanischen Herrscher. | |
Diese Loslösung hat den Indigenen zwar nichts genutzt, dennoch will der | |
Staatschef den Tag der Unabhängigkeitsverkündung zum „Tag der | |
Entschuldigung bei den indigenen Völkern“ erklären. Erneut hat er den Papst | |
und Spaniens König aufgefordert, sich bei den Indigenen zu entschuldigen. | |
Das klingt wohlfeil – und ist nicht neu. Schon López Obradors Vorgänger | |
hatten die Rückgabe des Federschmucks eingeklagt, wenn es politisch | |
opportun erschien. Der Präsident scheint damit aktuell den Ärger | |
überspielen zu wollen, den er mit indigenen Gruppen hat. Wie unter früheren | |
Regierungen werden die [2][Gemeinden nicht adäquat gefragt, wenn auf ihrem | |
Boden Großprojekte geplant sind]. Und viele Indigene sind wenig begeistert, | |
dass ihr Land beim Abbau von Edelmetallen verseucht oder mit | |
Industrieanlagen zugebaut wird. | |
## Gegen die Idealisierung des aztekischen Imperiums | |
So gesehen erscheint der Präsident bestenfalls paternalistisch. | |
Rassistisch, wie „zapatistische Männer, Frauen und andere Geschlechter“ in | |
einem Kommuniqué erklären. [3][Die Aufständischen aus Chiapas] fordern | |
keine Entschuldigung von spanischen Staat oder Vatikan und geben zugleich | |
allen ein Brett, die prähispanische Zustände verherrlichen. | |
Man wolle nicht die Vergangenheit glorifizieren. Weder allein noch zusammen | |
mit denen, die rassistische Ressentiments säen und ihren verstaubten | |
Nationalismus mit der angeblichen Pracht eines aztekischen Imperiums | |
nähren, das auf Kosten des Blutes von ihresgleichen groß wurde. | |
Dabei haben auch die Indigenen die Geschichte nicht vergessen: 2021 wollen | |
sie eine vor allem von Frauen besetzte Delegation nach Europa schicken, die | |
am Tag der „angeblichen Eroberung“ in Madrid ankommen soll. Sie wollen dem | |
„spanischen Volk“ zwei Dinge sagen: „Dass sie uns nicht erobert haben. Da… | |
wir weiterhin da sind und Widerstand und Rebellion fortsetzen.“ Ob sie sich | |
für Symbole der alten Macht wie den Federschmuck der Azteken | |
interessieren? | |
20 Oct 2020 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Wolf-Dieter Vogel | |
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