# taz.de -- Megaprojekt in Mexiko: Zerstörung statt Magie | |
> Präsident Obrador plant eine Schnellzugtrasse durch den Isthmus von | |
> Tehuantepec. Laut Indigenen gefährdet das Mensch und Natur. | |
Bild: AktivistInnen gegen Megaprojekte im Isthmus von Tehuantepec | |
Sandra Velásquez erfuhr nur zufällig, dass ihr Dorf zerstört werden soll. | |
Befreundete Surfer hatten ihr per Whatsapp Pläne geschickt, die zeigten, | |
was die mexikanische Regierung hier vorhat: rechts von Playa Brasil ein | |
Containerhafen, links eine Industrieanlage, und dort, wo sich heute noch | |
der kleine Küstenort befindet, soll ein großes Abflussbecken entstehen. Der | |
Sandstrand, von dem aus die 34-jährige Meeresbiologin gerade auf den | |
Pazifik blickt, wäre dann verschwunden. | |
Der [1][mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador] sei damals | |
selbst angereist, um den Ausbau des Hafens in der nahegelegenen Stadt | |
Salina Cruz vorzustellen, erzählt sie. Doch die Präsentation an jenem | |
Apriltag vergangenen Jahres fand im kleinen Kreis statt, mit Unternehmern | |
und Politikern. | |
Wären da nicht die Surffreunde gewesen, die an dem Treffen teilnahmen, | |
hätten die Menschen in Playa Brasil erst viel später von den Plänen | |
erfahren, dass ihr Heimatdorf in das Megaprojekt „Interozeanischer | |
Korridor“ einbezogen werden soll. Dabei geht es gerade für die Menschen in | |
der Küstenregion um alles. Schließlich leben sie vor allem vom Tourismus, | |
Fischfang und Salzabbau. „Man wird uns vertreiben und die Natur zerstören“, | |
befürchtet Velásquez. | |
Der Interozeanische Korridor zählt zu den wichtigsten | |
Infrastrukturprojekten López Obradors. Das Staatsoberhaupt hat sich die | |
Bekämpfung der Armut als höchstes Ziel gesetzt, Umwelt und Naturschutz | |
müssen da nachstehen. Mexiko hat zwar die UN-Biodiversitätskonvention | |
unterzeichnet, doch für den Staatschef geht die industrielle Entwicklung | |
vor. | |
## Ein Panamakanal auf Schienen | |
In Velásquez`Heimatregion, dem südöstlich gelegenen Isthmus von | |
Tehuantepec, will er eine 300 Kilometer lange Schnellzugtrasse für | |
Container bauen, die den Pazifik mit dem Atlantik verbindet. Ein | |
Panamakanal auf Schienen, samt Ausbau der Häfen, Erdölpipeline und | |
Autobahn. Auch Energieprojekte sollen eingebunden werden und entlang der | |
Bahnstrecke sollen zehn Industrieansiedlungen entstehen. „Der gesamte | |
Streifen im Isthmus wird eine Freihandelszone“, kündigte López Obrador nach | |
seiner Wahl im Sommer 2018 an. Er wolle im verarmten Süden Tausende | |
Arbeitsplätze schaffen und so verhindern, „dass junge Leute aus der Region | |
auf der Suche nach Arbeit in den Norden abwandern“. | |
Doch daran glaubt Sandra Velásquez nicht. „Der Industriehafen wird vor | |
allem Experten von außerhalb hierher bringen, bestenfalls brauchen sie dann | |
noch ein paar billige Arbeitskräfte“, ist sie überzeugt. „Sie wollen uns … | |
ihre Weltmarktfabriken stecken, wo wir unter prekären Bedingungen arbeiten | |
sollen“, ergänzt Bettina Cruz. „Man will uns unser Land, unser Wasser, | |
unsere Arbeit und unseren Wind nehmen“, sagt die Zapotekin und erinnert | |
daran, dass in der Region schon 29 Windparks gebaut wurden, ohne Rücksicht | |
vor allem auf die Indigenen vor Ort. | |
Für zahlreiche Zapoteken, Mixe, Ikoots und zehn [2][weitere indigene | |
Völker], die die Mehrheit der Bevölkerung ausmachen, ist die Natur | |
existenziell für ihr wirtschaftliches Überleben und ihre kulturellen | |
Traditionen. Sie begreifen sich als Teil von ihr, gerade hier im Isthmus, | |
der Region mit der größten Biodiversität Mexikos. | |
Die Küste beheimatet große Mangrovenwälder, auf dem Land befinden sich | |
artenreiche Wälder. Mit ihren vielen Flüssen, Bächen und Quellen ist die | |
Gegend die wichtigste Trinkwasserquelle Mexikos. Durch die Ansiedlung von | |
Fabriken, Energiewerken und Bergbauprojekten könnte das Wasser knapp und | |
der Boden der Gemeinden verschmutzt werden. So beispielsweise im Regenwald | |
von Chimalapas, der unweit der Bahnstrecke liegt. Dort wehren sich die | |
Zoque-Indigenen gegen den geplanten Gold- und Silberabbau, der dort den | |
Dschungel vernichten und Flüsse kontaminieren werde. Ikoots, die an der | |
Pazifikküste leben, berichten, dass dort schon jetzt wegen der Windparks | |
weniger Vögel vorkommen. | |
## Magieversprechen entpuppt sich als Betrug | |
Insgesamt 1.223 Windräder stehen im Isthmus von Tehuantepec. Die Indigenen | |
wurden meist nicht über den Bau der Anlagen auf ihrem Territorium befragt, | |
obwohl das ihr international verbrieftes Recht ist. So auch in Union | |
Hidalgo, einer Kleinstadt, in der Oppositionelle den Bau weiterer | |
Windkraftanlagen und des Korridors verhindern wollen. Eine Universität, | |
neue Krankenhäuser und asphaltierte Straßen seien angekündigt worden, wenn | |
die Parks erst einmal installiert seien, berichten sie auf einer | |
Versammlung. Doch daraus wurde nichts. „Sie haben uns einen geradezu | |
magischen Ort versprochen und uns betrogen“, sagt ihr Sprecher Norberto | |
Altamirano. | |
Warum sollten sie vom Korridor profitieren, fragen sie sich. 70 Prozent der | |
Menschen in der Region seien arm und zugunsten der Industrie vernachlässigt | |
worden, erklärt Carlos Beas von der indigenen Organisation Ucizoni. | |
„Traditionelles Wirtschaften wie Fischfang sowie kleinbäuerliche | |
Landwirtschaft und Viehzucht sind deshalb immer mehr zugrunde gegangen“, so | |
Baes. Durch den Korridor werde die Entwicklung verschärft. | |
Doch die Dörfer sind gespalten. „Viele, die sich früher für die | |
Verteidigung ihres Territoriums eingesetzt haben, sind heute Teil der neuen | |
Regierung“, sagt der Ucizoni-Sprecher und verweist auf den sich als links | |
gerierenden Präsidenten. Zahlreiche Anhänger López Obradors und auch andere | |
hoffen darauf, dass der Interozeanische Korridor Wohlstand bringt. Bislang | |
leben hier viele vor allem von den Geldüberweisungen Angehöriger, die in | |
die USA oder in andere Regionen Mexikos migriert sind. | |
Elena Ramirez ist nach Oaxaca de Juárez, die Hauptstadt des Bundesstaates, | |
gezogen und arbeitet dort als Gastronomin. „Ich wäre nicht aus dem Isthmus | |
weggegangen, wenn es dort Fabriken gäbe, in denen ich arbeiten könnte“, | |
sagt sie. Aber es gebe nur den Anbau von Mais, Sesam und Saisonfrüchten wie | |
Mangos und Kokosnüssen. „Viele meiner Landsleute wollen da raus.“ Ganz | |
anders sieht das die Zapotekin Bettina Cruz. Sie wollten nicht zu „Zombies“ | |
werden, die acht Stunden in einer Fabrik arbeiten, sondern ihr Leben so | |
führen, wie sie es gewohnt seien, kritisiert sie. „Warum denken die, dass | |
wir von der Zivilisation aufgesaugt werden müssen?“ | |
11 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Wolf-Dieter Vogel | |
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