# taz.de -- Experte über islamistische Gewalt: „Prävention ist möglich“ | |
> In Dresden soll ein syrischer Islamist einen Mann erstochen haben. | |
> Islamwissenschaftler Michael Kiefer spricht über mögliche Hintergründe. | |
Bild: Der Tatort knappe drei Wochen nach der Tat: Erinnerung an ein Opfer islam… | |
taz: Herr Kiefer, ein 20-jähriger Syrer, gerade aus der Haft entlassen, | |
soll am 4. Oktober in Dresden [1][einen Touristen erstochen und dessen | |
Begleiter verletzt haben]. Die Generalbundesanwaltschaft geht von einem | |
[2][islamistischen Terroranschlag] aus. Was weiß man sonst noch über den | |
Fall? | |
Michael Kiefer: Wir wissen, dass der mutmaßliche Täter 2015 aus Syrien nach | |
Deutschland gekommen ist. 2017 hat er sich dem IS zugewandt, 2018 ist er | |
wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden. | |
Interessant ist, dass er seine Haftstrafe bis zum letzten Tag absitzen | |
musste. Das ist bei Jugendstrafen ungewöhnlich und ein Hinweis, dass die | |
Resozialisierung in der Haft nicht gut lief. Er wurde ja nach der | |
Entlassung auch unter Führungsaufsicht gestellt … | |
… das bedeutet? | |
… zum Beispiel, dass er sich regelmäßig melden muss oder sich an bestimmten | |
Orten nicht aufhalten darf. | |
Das war offenbar zu wenig. Er soll sich als Attentäter angeboten haben, auf | |
seinem Handy waren Anleitungen für Selbstmordattentate. Was wäre die | |
Alternative zur Führungsaufsicht gewesen? | |
Sicherheitsverwahrung gibt es bei Jugendlichen nur bei langjährigen | |
Haftstrafen. Möglich gewesen wäre eine Observierung, die aber | |
personalintensiv ist und richterlich genehmigt werden muss. Ich warne | |
davor, aus der Ferne und ohne Details der Risikoanalyse zu kennen, der | |
Polizei und den Behörden Fehler zu attestieren. | |
Mit was für einem Typus von Täter haben wir es tun? | |
Der mutmaßliche Täter von Dresden ist kein anerkannter Asylbewerber, er hat | |
einen Duldungsstatus. Es gibt drei Taten von Flüchtlingen ohne | |
Bleibeperspektive oder mit schwierigen Lebensperspektiven, die an diesen | |
Fall erinnern. 2018 gab es in Hamburg einen Messerangriff von einem jungen | |
Flüchtling, der in einem Flüchtlingsheim lebte und psychische Probleme | |
hatte. Er stach willkürlich auf Passanten ein. | |
In Köln gab es 2018 einen ähnlichen Fall. 2020 verletzte ein Iraker in | |
Berlin [3][mit seinem Auto gezielt Motorradfahrer schwer.] Bei den Tätern | |
haben wir es, bei aller Vorläufigkeit, mit instabilen Persönlichkeiten zu | |
tun, die in wenig geordneten Verhältnissen leben und nur unzureichend | |
psychosozial betreut waren. Das Milieu vor allem junger Flüchtlinge ist für | |
islamistische Gruppen als Rekrutierungsfeld interessant. | |
Sie haben sich mit Chatprotokollen von Islamisten befasst. Mit welcher | |
Erkenntnis? | |
Bei Radikalisierungen von Jugendlichen spielen fast immer kritische | |
Lebensereignisse wie der Tod von Angehörigen oder schulisches Scheitern | |
eine Rolle. Der Weg in den Islamismus ist oft eine Flucht aus einem als | |
frustrierend empfundenen Alltag. Wie weit die Radikalisierung geht, hängt | |
oft davon ab, ob die Jugendlichen zu ihrem familiären Umfeld noch intensive | |
Kontakte haben. Wenn nicht, ist die Radikalisierung wahrscheinlicher. Es | |
gibt ein Bündel von Faktoren. | |
Lassen sich Radikalisierungen bei Geflüchteten verhindern? | |
Prävention ist möglich. Die Unsicherheit, ob man bleiben kann, und die | |
Unmöglichkeit, eine berufliche Ausbildung zu machen, fördern die | |
Empfänglichkeit für Radikalisierungen. Aber wir wissen aus der | |
Kriminalprävention, dass die auch immer scheitern kann. | |
Es gibt also keinen Katalog von Maßnahmen, der die Gefahr von gewaltsamen | |
Radikalisierungen wirksam begrenzt und senkt? | |
Der israelische Psychologe Haim Omar hat das wegweisende Konzept der | |
„wachsamen Sorge“ entwickelt. Das kann sozialarbeiterisches Monitoring | |
umfassen, aber auch polizeiliche Maßnahmen. Aber auch hier gilt: Vorsicht | |
mit Verallgemeinerungen. Es gibt auch spontane Gewalttaten, die kaum | |
voraussehbar sind. | |
Sind die Präventionsmaßnahmen in Deutschland ausreichend? | |
Man muss schon sagen, dass Deutschland, verglichen mit Frankreich, viel | |
Geld in die Hand genommen hat, etwa für das Bundesprogramm „Demokratie | |
leben“. Wie wirksam das ist, kann man nicht exakt sagen, weil es nur wenig | |
Forschungen dazu gibt. | |
Auffällig ist, dass es sich in Dresden, Berlin, Köln und Hamburg offenbar | |
um Einzeltäter handelt. | |
Man muss das von organisierten Taten wie dem Massaker in Bataclan in Paris | |
2015 oder Attentaten von al-Qaida unterscheiden. Wir wissen noch nicht | |
nicht, ob die Straftat in Dresden geplant war oder spontan erfolgte. | |
Gibt es Ähnlichkeiten zu rechtsextremen Tätern wie in Hanau und Halle? | |
Ja, weil es sich um radikalisierte Einzeltäter handelt. Ansonsten nicht. | |
Halle und Hanau waren langfristig geplante Taten, die Opfer sind gezielt | |
ausgesucht worden. Bei Messerattentaten, die oft aus Alltagssituationen | |
entstehen, ist das meist nicht der Fall. | |
23 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Messerangriff-in-Dresden/!5722909 | |
[2] /Schwerpunkt-Islamistischer-Terror/!t5251352 | |
[3] /Mehrere-Verletzte-auf-der-A100-in-Berlin/!5708595 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Islamistischer Terror | |
Islamismus | |
Dresden | |
Messerangriff | |
IG | |
Schwerpunkt Islamistischer Terror | |
Homophobie | |
Dresden | |
Terrorismusbekämpfung | |
Islamismus | |
Meinungsfreiheit | |
Schwerpunkt Rassismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Islamist für Mord in Dresden verurteilt: Ungebrochener Hass | |
Ein 21-Jähriger Islamist ist wegen Mordes in Dresden zu lebenslanger Haft | |
verurteilt worden. Der zuständige Richter fand deutliche Worte. | |
Messerattacke in Dresden: Tatmotiv Homophobie | |
Im Oktober erstach ein Islamist in Dresden einen Mann. Nun erhebt die | |
Bundesanwaltschaft Anklage – und benennt Hass auf Homosexuelle als Motiv. | |
Messerattacke in Dresden: Vertrauen einmal mehr erschüttert | |
Nach der tödlichen Messerattacke auf ein schwules Paar kritisieren | |
LSBTI-Verbände die Behörden. Sie schweigen zum Tatmotiv Homophobie. | |
Umgang mit islamistischem Terror: Das doppelte Monster | |
Kevin Kühnert und Sascha Lobo fordern, islamistischen Terror entschlossener | |
zu benennen und zu bekämpfen. Aber wie, ohne Rechten Futter zu geben? | |
Messerangriff in Dresden: Verdacht auf islamistisches Motiv | |
Nach einer tödlichen Messerattake in Dresden gibt es Hinweise auf einen | |
islamistischen Hintergrund. Der Generalbundesanwalt ermittelt. | |
Islamistischer Mord in Frankreich: Meinungsfreiheit verteidigen | |
Als Muslim kann man Karikaturen verachten. Trotzdem gilt es aber die | |
Meinungsfreiheit zu schützen. | |
Kritik an Islamismus: Tödliche Ideologie | |
Während Rechte den Islamismus pauschal mit dem Islam gleichsetzen, | |
bagatellisieren ihn Linke oft. Dabei hat er einen globalen | |
Herrschaftsanspruch. |