| # taz.de -- Jürgen Trittin zu deutscher Außenpolitik: „Appeasement hatte ke… | |
| > Im Umgang mit Donald Trump hat die Bundesregierung versagt, findet Jürgen | |
| > Trittin. Die GroKo hätte Trump öfter vors Schienbein treten müssen. | |
| Bild: Plädiert für einen robusten Kurs gegenüber den USA: Grünen-Politiker … | |
| taz: Herr Trittin, noch zwei Wochen bis zu den [1][Präsidentschaftswahlen | |
| in den USA]. Wer gewinnt? | |
| Jürgen Trittin: Das ist eine offene Frage. Zurzeit hat Joe Biden einen | |
| Vorsprung in den entscheidenden Staaten. Wir wissen aber nicht, was in den | |
| nächsten zwei Wochen noch passiert. Ich würde nach den Erfahrungen der | |
| letzten Wahl zur Vorsicht raten. Damals haben viele geglaubt, dass Hillary | |
| Clinton gewinnt. Es kam dann bekanntlich anders. | |
| Der Linken-Politiker Stefan Liebich hat kürzlich gefordert, die | |
| Bundesregierung müsse bei dieser Wahl ihre Neutralität aufgeben, sich für | |
| Joe Biden aussprechen und Trumps Gegner*innen damit den Rücken stärken. | |
| Hat er recht? | |
| Nein. Der Versuch, sich im Vorfeld auf einen Kandidaten festzulegen, | |
| schafft immer Probleme, wenn anschließend der andere gewinnt. Außerdem weiß | |
| man nicht, wie so eine Botschaft in den USA ankäme. Mobilisiert man damit | |
| nicht vielleicht Trumps Klientel? Um es freundlich zu sagen, Deutschland | |
| genießt bei dieser nicht den besten Ruf. | |
| Oder in Trumps Worten: „The EU is worse than China“ und Deutschland ist | |
| „mit Abstand der schlimmste Täter“. Das sind alles wörtliche Zitate. | |
| Insofern wäre mein Rat für die Bundesregierung – nicht für Parlamentarier | |
| –, Neutralität zu wahren. Die Bundesregierung bekommt aber an einer anderen | |
| Stelle in ein Problem. | |
| An welcher denn? | |
| Wenn es in der Wahlnacht kein klares Ergebnis gibt und der Gegner die | |
| Niederlage nicht anerkennt. Was ist mit den traditionellen Glückwünschen am | |
| Tag danach? Sie bedeuten ja die Anerkennung der Wahl. Wenn die Verhältnisse | |
| nicht geklärt sind, würde ich zu Vorsicht raten und nicht zur voreiligen | |
| Anerkennung eines Gewinners. | |
| In anderen Fällen, in anderen Ländern, schlägt sich die Bundesregierung | |
| nach umstrittenen Wahlen hin und wieder doch auch auf eine Seite. | |
| Im [2][Falle Lukaschenko] hat man sich das sehr lange überlegt und ist | |
| dann, nach Prüfung der vorliegenden Informationen, dazu gekommen, dass man | |
| ihn nicht anerkennen kann. Ich will nicht die Verhältnisse in Weißrussland | |
| mit denen in den USA gleichsetzen. Ich finde aber diese Grundlinie richtig: | |
| Man verhält sich zur Entscheidung neutral, hat aber eine Meinung zum | |
| Verfahren. In Weißrussland wurde massive Wahlfälschung begangen und dazu | |
| hat die Bundesregierung Position bezogen. | |
| Was würde es denn für die transatlantischen Beziehungen bedeuten, wenn Joe | |
| Biden die Wahl tatsächlich gewinnt? Ist dann alles wieder gut? | |
| Nein. Es war der große Irrtum der Bundesregierung und vieler anderer, zu | |
| glauben, dass mit Trump eine ganz neue Zeit begonnen hätte. Dass sich die | |
| USA aus gemeinsamen Institutionen wie der Unesco zurückgezogen haben und | |
| andere Institutionen wie die Welthandelsorganisation blockieren, ist | |
| Ausdruck einer Entfremdung, die sich weit vor Trump abgezeichnet hat. | |
| Zu tun hat das mit der Überdehnung amerikanischer Macht. Das zeigte sich am | |
| Afghanistan- beziehungsweise noch mehr beim Irakkrieg und dem Rückzug der | |
| USA, der darauf folgte. Dieses Zurückziehen auf sich selbst wird sich wohl | |
| auch unter Joe Biden fortsetzen. Es wird nur zivilisierter ausgetragen | |
| werden. | |
| Das ist einerseits nicht ganz falsch. Andererseits ist die Liste der | |
| internationalen Verträge und Organisationen, aus denen sich die USA unter | |
| Trump zurückgezogen haben, unüberschaubar. War das nicht doch ein Bruch mit | |
| der bisherigen US-Außenpolitik? | |
| Ja, das war ein Bruch – insbesondere in der Form, wie es vollzogen wurde. | |
| Nur ein einziges Mal hat der Senat Donald Trump Grenzen gesetzt: Er hat | |
| beschlossen, dass man aus der Nato nur austreten dürfe, wenn der Kongress | |
| zustimmt. In anderen Fragen hat Trump in der Tat Tabula rasa gemacht, zum | |
| Beispiel beim Pariser Klimaabkommen und beim Iran-Deal. Biden hat immerhin | |
| schon angekündigt, in diese Abkommen zurückkehren zu wollen. Das würde eine | |
| manifeste Veränderung sein. | |
| Wird der Weg zurück in Verträge wie das Klimaabkommen denn so einfach | |
| möglich sein? | |
| Beim Klimaabkommen wird man es möglich machen. Die Tür steht da natürlich | |
| offen. Zumal der Austritt formal erst direkt am Tag nach der | |
| Präsidentschaftswahl in Kraft tritt. | |
| Zu den Konflikten, die bestehen bleiben würden, zählt dagegen das | |
| 2-Prozent-Ziel der Nato, das höhere Rüstungsausgaben vorsieht. Wie sollte | |
| sich Deutschland hier gegenüber Biden verhalten? | |
| 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts heißt übersetzt: 80 Milliarden Euro. | |
| Und das in einer Zeit, in der wir jedes Jahr ungefähr 5 Prozent der | |
| Coronaschulden im Haushalt einsparen sollen? Es fehlt mir die Fantasie, wie | |
| das haushalterisch zusammengehen soll. Die Amerikaner haben es verdient, | |
| dass man ehrlich mit ihnen spricht und Ehrlichkeit gebietet, dass dieses | |
| abstrakte Ziel von Deutschland zumindest in absehbarer Zeit nicht erreicht | |
| wird. Es wäre zudem falsch. | |
| Die Amerikaner würden dann wahrscheinlich auf die europäischen | |
| Rüstungslücken zeigen. | |
| Die Masse der Gelder ist zuletzt in Projekte geflossen, die sich gegen eine | |
| Bedrohung durch einen starken Gegner in einem symmetrischen Konflikt | |
| richten, sprich Russland. Das ist albern, weil Europa mittlerweile mehr als | |
| dreimal so viel für Rüstung ausgibt wie Russland. Es gibt keine | |
| Rüstungslücke. Die eigentliche Frage ist doch: Wo gibt es ein | |
| Sicherheitsproblem? | |
| Die USA ziehen sich aus dem Nahen Osten und Nordafrika zurück. Gleichzeitig | |
| verschärfen sich dort der Staatszerfall und die asymmetrischen Konflikte. | |
| Da kommen die wirklichen Entscheidungen auch für eine neue Bundesregierung | |
| auf uns zu. Kennzahlen wie die 2 Prozent helfen da nicht. | |
| Was dann? | |
| Wir hatten in Mali Probleme, die Truppen dorthin zu bekommen, und mussten | |
| uns dafür Hubschrauber aus El Salvador leihen. Das ist etwas anderes, als | |
| 100 Leo-Panzer zurückzukaufen, wie es die Bundesregierung macht. | |
| Letztendlich geht es da aber auch um Ausrüstungsdefizite, und um die zu | |
| beseitigen … | |
| Ich sage ja nicht, dass es billiger wird. Ich glaube nur nicht, dass wir | |
| die 2 Prozent erreichen müssen. | |
| Prinzipiell meinen Sie aber, dass die Verteidigungsausgaben steigen müssen? | |
| Sie sind unter der Großen Koalition gerade massiv gestiegen. Ich habe | |
| Zweifel, dass das so weitergehen muss. Aber wer glaubt, man könnte da viel | |
| Geld einsparen, irrt genauso wie die 2-Prozent-Apologeten. | |
| Das klingt doch nach einer guten Kompromisslinie für schwarz-grüne | |
| Koalitionsverhandlungen im kommenden Jahr. | |
| Nein, das ist keine Kompromisslinie für irgendwelche | |
| Koalitionsverhandlungen. Das ist die Realität. Wenn ich im Rahmen eines | |
| UN-Mandats Soldatinnen und Soldaten nach Mali schicke, dann müssen sie so | |
| ausgerüstet sein, dass sie ihren Auftrag erfüllen können. Das können wir | |
| zurzeit nicht. | |
| Lassen Sie uns nach diesem Blick in die Zukunft noch mal zurückschauen: | |
| Nach Trumps Wahlsieg vor vier Jahren war die große Frage, wie Deutschland | |
| und Europa mit ihm umgehen sollten. Wie würden Sie die Strategie der | |
| Bundesregierung rückblickend beschreiben? | |
| Sie lässt sich mit einem Wort beschreiben: [3][Appeasement]. Und das | |
| Appeasement hat zu keinem Erfolg geführt. | |
| Haben Sie dafür konkrete Beispiele? | |
| Der Tiefpunkt der antieuropäischen Haltung war, als die Bundesregierung auf | |
| EU-Ebene eine Blockade-Minderheit gegen die Plattformbesteuerung für | |
| Internetkonzerne organisiert hat, gegen die Mehrheit des EU-Parlaments und | |
| der Kommission. Aus einem ganz einfachen Kalkül heraus: Sie hatte Angst vor | |
| amerikanischen Stahl- und Automobilzöllen. Was ist daraus geworden? | |
| Die Zölle sind gekommen. Trump hat nie verstanden, wenn ihm die | |
| Bundesregierung ein Dialogangebot gemacht hat. Er hat immer nur „Tit for | |
| Tat“ verstanden, wenn ihm jemand, nach dem er getreten hat, selbst vors | |
| Schienbein getreten hat. | |
| Die Sorge der Bundesregierung war wahrscheinlich, dass mehr Härte zur | |
| Eskalation führen kann. | |
| Ja, aber die Erfahrung zeigt etwas anderes. Wir reden ja nicht über ein | |
| abstraktes Modell, sondern darüber, was passiert ist. Als die Stahl- und | |
| Aluminiumzölle verhängt wurden, hat die EU mit Gegenzöllen reagiert. Dann | |
| war erst mal Ruhe im Karton. Als die Chinesen den Amerikanern Strafzölle | |
| auf Sojaimporte verpasst haben, hat das die Eskalation im Zollkrieg ein | |
| Stück weit gebremst. Genau zu dieser Art und Weise des Umgangs waren CDU | |
| und SPD aber nicht in der Lage. | |
| Sollte doch Trump die Wahl gewinnen, sollte die Bundesregierung also in den | |
| nächsten vier Jahren häufiger die Konfrontation riskieren als in den | |
| letzten vier Jahren? | |
| Sie sollte die europäische Souveränität stärken. Nicht laut, aber | |
| selbstbewusst. Die transatlantischen Beziehungen haben sich verändert. Aber | |
| Europa hat sein eigenes Gewicht. Das gilt auch unter Biden. Aber unter | |
| Trump erst recht. | |
| 22 Oct 2020 | |
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