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# taz.de -- Jürgen Trittin zum Fall Nawalny: „Vermögen einfrieren“
> Grünen-Politiker Trittin fordert, Nawalnys Arbeit in Deutschland ernst zu
> nehmen. Immobilien korrupter russischer Politiker sollte man
> beschlagnahmen.
Bild: 2014 in Moskau betritt der Oppositionsführer und Antikorruptionsaktivist…
taz: Herr Trittin, wie sehr belastet [1][der Fall Nawalny] die
deutsch-russischen Beziehungen?
Jürgen Trittin: Jetzt ist für jeden klar: Opposition gegen das System Putin
und die korrupten Machenschaften einiger Oligarchen kann lebensgefährlich
sein. Spätestens jetzt muss die Außenpolitik der Großen Koalition, die
Russland als strategischen Partner betrachtet, ad acta gelegt werden.
Russland bleibt unser Nachbar in Europa. Aber in einem gemeinsamen Haus
kann man auch nicht wegschauen, wenn in der Nachbarwohnung permanent Gewalt
gegen andere ausgeübt wird.
Und was macht man mit dem renitenten Nachbarn? Rausschmeißen?
Russland wird nicht verschwinden. Man wird mit Russland weiter kooperieren
müssen. Sicherheit kann es in Europa nur mit und nicht gegen Russland
geben. Aber man könnte in Europa anfangen, die Arbeit von Herrn Nawalny
ernst zu nehmen, das heißt seinen Kampf gegen Korruption. Auf seiner Seite
gibt es ein Video über eine beeindruckende Finca in der Toscana, die
Ex-Ministerpräsident Medwedjew gehören soll. Nawalny hat außerdem Berichte
darüber veröffentlicht, wie der derzeitige Ministerpräsident Mischustin zu
seinem Vermögen gekommen sein soll: mithilfe von Schwarzgeld, das aus
Erpressung und Korruption stammt. Wenn in Europa Immobilien erworben werden
mit Geld, das aus solchen Quellen stammt, müssen diese Immobilien
beschlagnahmt werden. Man darf sie erst wieder freigeben, wenn nachgewiesen
werden kann, dass sie mit sauberen Mitteln erworben wurden.
Sie fordern Sanktionen gegen führende Politiker:innen Russlands?
Nein. Es geht mir darum, zu unterbinden, dass diejenigen, die in Russland
der Korruption, der Erpressung und der Nötigung verdächtigt werden, ihr
Vermögen in Europa waschen und in legalen Besitz umwandeln können. Diese
Vermögen muss man einfrieren.
Wäre jetzt der Zeitpunkt, den Unterstützer:innen Nawalnys und der
zersplitterten russischen Opposition ernsthaft den Rücken zu stärken?
Das wäre der nächste Schritt. Funktionsträger des russischen Staates dürfen
visumfrei nach Europa einreisen. Für Studierende, Sportmannschaften,
Kirchenchöre, also die Zivilgesellschaft, herrscht dagegen Visumzwang. Ich
könnte mir vorstellen, dass man das umdreht.
Russische Politiker:innen brauchen Visa, normale Bürger:innen nicht?
Wir sollten gerade die Kontakte zur Zivilgesellschaft stärken, und das
heißt, man muss ihnen den Zugang in die EU erleichtern.
Die Bundesregierung fordert volle Transparenz bei der Aufklärung der Tat
gegen Nawalny. Sind Sie optimistisch, dass das passiert?
Die Forderung ist richtig, die Hoffnung, dass sie erfüllt wird, teile ich
nicht. Der Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja ist bis heute nicht
aufgeklärt. Selbst in den Fällen, wo Täter ermittelt wurden, bleiben die
Hintergründe im Dunkeln.
Wieso hat Russland dann zugestimmt, dass Nawalny nach Deutschland überführt
werden konnte? Erst hier ist doch aufgedeckt worden, [2][dass er vergiftet
wurde].
Ich glaube, das hat etwas damit zu tun, dass man im Kreml Deutschland
anders einschätzt als etwa die Vereinigten Staaten. Aber Deutschland muss
zusammen mit der EU eine gemeinsame Antwort auf diese Tat geben.
Ein europäisches Projekt ist die Gaspipeline Nord Stream 2. Soll der Bau
gestoppt werden?
Nord Stream 2 ist eine Wette gegen die europäischen Klimaziele. Die
Strategie der EU-Kommission ist es aber, die Gasversorgung zu
diversifizieren. Das bedeutet, neben Herrn Putin auch auf andere Autokraten
als Lieferanten zu setzen – etwa Herrn Erdoğan und den Scheich von Katar.
Das ist nicht klug. Stattdessen müssen wir den Energieverbrauch in Europa
senken.Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die Pipeline in allen
europäischen Staaten genehmigt ist. Wenn man die Genehmigung widerrufen
will, dann muss man Schadenersatz zahlen.
Sie sind gegen einen Baustopp aus Kostengründen?
Ich sage nur, wenn man den Bau verbietet, muss man zahlen. So ist das mit
gültigen Verträgen im Rechtsstaat. Ich wundere mich, dass manche sich immer
noch so aufführen wie wir Grüne vor 30 Jahren. Da glaubte man auch, man
könnte Atomkraftwerke enteignen, ohne Entschädigung zu zahlen. Es ist auch
wohlfeil, sich wie Manfred Weber hinzustellen und als CSU-Vize zu sagen,
die Pipeline dürfe nicht mehr gebaut werden. Dann muss die CSU diese
Forderung auch in den Koalitionsausschuss einbringen und die
Bundesregierung entscheidet, das Projekt zu untersagen. Das sehe ich nicht.
25 Aug 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Anna Lehmann
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