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# taz.de -- Kremlkritiker Alexei Nawalny in Berlin: Der russische Patient
> Der russische Oppositionelle Nawalny wurde ausspioniert, bevor er
> zusammenbrach. Nun sind ÄrztInnen in Berlin mit dem Fall befasst.
Bild: Mit ersten Ergebnissen wird frühestens am Montag gerechnet
Moskau taz | Spaziergänge an der Uferstraße in Tomsk, Schwimmrunden im
Fluss Tom im Dorf Kaftantschikowo, Sushi vom Lieferdienst, Säfte und Wasser
aus einem Laden, der vor allem Alkohol verkauft: Die Journalisten des
Moskauer Boulevard-Blattes Moskowski Komsomolez haben die
Sibirien-Dienstreise, die Alexei Nawalny in den Tagen vor seiner schweren
Erkrankung machte, am Wochenende detailgenau [1][nacherzählt]. Die
Informationen dazu hätten sie aus „unseren Quellen der Rechtsschutzorgane“,
wie es hieß. Infrage gestellt haben sie die Bespitzelung des russischen
Kremlkritikers nicht.
Stattdessen berichteten sie in einem lockeren Unterhaltungsstil von der
Überwachung des Moskauers – und zeigten auf perfide Weise, wie alltäglich
Beschattung im Leben des 44-jährigen Oppositionellen offenbar ist. Wie so
viele russische Medien schrieben auch sie von einer „Vergiftung“ Nawalnys,
als wäre diese eine bestätigte Tatsache. Russische Behörden weisen eine
solche dagegen weiterhin ab. Weder im Blut noch im Urin seien Gifte
gefunden worden, hieß es vom Gesundheitsministerium der Region Omsk.
„Das Ausmaß der Überwachung überrascht mich überhaupt nicht, wir waren uns
dessen auch früher schon bewusst“, schrieb Nawalnys Sprecherin Kira
Jarmysch am Sonntag auf Twitter. Erstaunt habe sie lediglich die
Schamlosigkeit der Journalisten, davon in aller Ausführlichkeit zu
berichten.
Nawalny liegt derweil weiterhin im Koma. Seit Samstag behandelt ihn ein
Ärzteteam an der Charité in Berlin, [2][wohin er am Samstag gebracht
wurde]. An diesem Montag soll es eine Erklärung zu seinem Zustand geben.
Bislang gab es lediglich einen Tweet der Klinik:
„Die Charité bestätigt, Alexei Anatoljewitsch Nawalny zur ärztlichen
Behandlung aufgenommen zu haben. Derzeit erfolgt eine umfangreiche
medizinische Diagnostik. Nach Abschluss der Untersuchungen und nach
Rücksprache mit der Familie werden sich die behandelnden Ärzte zu der
Erkrankung und weiteren Behandlungsschritten gegenüber der Öffentlichkeit
äußern.“
## Sicherheitskräfte in der Klinik
Diese nüchternen und fast schon banal klingenden Worte sind für die
Unterstützer*innen Nawalnys eine große Erleichterung. Zu sehr hatten sie
sich von den Ärzten in Sibirien nicht ernst genommen, zu sehr von den
Sicherheitskräften, die in der Notfallklinik Nummer 1 von Omsk ein- und
ausgegangen waren, abgedrängt gefühlt.
Das Vertrauen in die russischen Ärzte war seit der Einlieferung Nawalnys in
die Klinik von Omsk – nach einer Notlandung des Fliegers von Tomsk nach
Moskau – ohnehin nicht vorhanden. Es begann ein regelrechtes Tauziehen um
den schwerkranken Patienten.
Nawalnys Familie und Anhänger*innen hatten schnell von einer absichtlichen
Vergiftung gesprochen. Der Antikorruptionskämpfer hat nach Angaben seiner
Sprecherin am Morgen vor dem Abflug lediglich Tee in einem Café am
Flughafen von Tomsk zu sich genommen. Später brach er unter Schreien an
Bord der Maschine zusammen.
Hätte es die Zwischenlandung in Omsk nicht gegeben, hätte Nawalny den Flug
nicht überlebt, sagte Jaka Bizilj von der Initiative Cinema for Peace
später vor Journalisten in Berlin. Ein von seiner Organisation
organisiertes Spezialflugzeug mit Intensivmedizinern aus der Charité hatte
den ganzen Freitag über auf dem Flughafen von Omsk gewartet, um Nawalny
auszufliegen. Erst am Samstagmorgen Ortszeit hob der Flieger in Sibirien
ab. „Der Kampf um Alexeis Leben und Gesundheit hat gerade erst begonnen“,
twitterte seine Sprecherin Jarmysch.
## Mäzen Simin bestätigt Kostenübernahme
Nawalnys Kampagnenchef Leonid Wolkow dankte in Berlin allen an der
Verlegung Beteiligten, vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel, der
deutschen Bundesregierung und dem in den USA lebenden russischen Mäzen
Boris Simin. Dieser hat mittlerweile bestätigt, die Kosten für die
Rettungsaktion übernommen zu haben. Erst nach der Untersuchung durch die
eingeflogenen deutschen Ärzte war Nawalny in Omsk nach einigem Hin und Her
für transportfähig erklärt worden.
Die sibirischen Ärzte hatten lange herumlaviert und teilten schließlich
mit, Nawalny leide an einer Stoffwechselstörung. Wodurch diese ausgelöst
worden sein könnte, sagten sie nicht. Ohnehin vermittelten sie den
Eindruck, es seien nicht sie, die Mediziner, die das Sagen in diesem
politischen Fall hätten. Es begann ein Spiel auf Zeit – Zeit, die verloren
gegangen sei, fürchtet Nawalnys Team, um den Auslöser für seinen Zustand
herauszufinden.
23 Aug 2020
## LINKS
[1] https://www.mk.ru/incident/2020/08/21/otslezhen-ves-marshrut-navalnogo-pere…
[2] /Im-Koma-liegender-Kremlkritiker-Nawalny/!5708989
## AUTOREN
Inna Hartwich
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