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# taz.de -- Russlands Reaktion auf Nawalny-Diagnose: Kreml zwischen Abwehr und …
> Der russische Oppositionelle Alexei Nawalny liegt noch immer im Koma. Für
> die Staatspropaganda ist klar, wer dafür verantwortlich ist: der Westen.
Bild: Alexej Nawalny mit seiner Frau Yulia nach einem Anschlag in Moskau 2017
Eine mögliche Vergiftung des russischen Oppositionellen Alexei Nawalny? Der
Kreml gibt sich gelassen. Die Ärzte der Berliner Charité hätten nichts
anderes gesagt als die Ärzte in Omsk, so Kremlsprecher Dmitri Peskow am
Dienstag vor russischen Journalisten. Die Berliner Mediziner hatten ersten
Befunden zufolge bei [1][Nawalny Anzeichen einer Vergiftung] gesehen,
russische Spezialisten dagegen sprachen vor dessen Verlegung nach
Deutschland von einer Stoffwechselstörung.
Einen möglichen Anschlag auf den Kremlkritiker nannte Peskow „Lärm um
nichts“. Für strafrechtliche Ermittlungen müsse es ihm zufolge einen Grund
geben, die toxische Substanz und die Vergiftung Nawalnys müssten bestätigt
werden. „Momentan konstatieren wir nur, dass der Patient im Koma liegt.“
Der Kremlsprecher ist geübt darin, in seinen täglichen Briefings vor
Journalisten Fragen zu umgehen. Die Charité-Ärzte, so sagte er in seinem
gewohnt herablassenden Ton, seien zu vorschnell mit ihren Folgerungen
gewesen, er rate zur „ruhigen Analyse“.
Am Montag hatte die Berliner Klinik mitgeteilt, dass vieles auf eine
Vergiftung des Kremlkritikers aus Moskau hindeute – mit einer noch
unbekannten Substanz aus der [2][Wirkstoffgruppe der
Cholinesterase-Hemmer].
## Die Babuschka und der Fliegenpilz
Auf den Wirkstoffen aus dieser Gruppe basieren sowohl Medikamente zur
Alzheimerbehandlung als auch Pflanzenschutzmittel, aber auch Nervengifte
wie Sarin oder das in der ehemaligen Sowjetunion entwickelte Nowitschok.
[3][Nowitschok war auch bei dem Giftanschlag auf den russischen
Doppelagenten Sergej Skripal] und seine Tochter in Großbritannien 2018
nachgewiesen worden.
„Immerhin waren bei Nawalny deutsche Ärzte am Werk, keine britischen“,
höhnte der Moderator der Polit-Talkshow „Wremja pokaschet“ (Die Zeit wird
es zeigen) im staatsnahen Ersten Kanal.
Die „Affäre Nawalny“ bezeichneten gleich mehrere Gäste der Sendung als
„Spezialoperation westlicher Geheimdienste“. Warum nur werde einer
Babuschka, die zu viel vom Fliegenpilz abgebissen habe, nicht auch so
geholfen „wie irgendeinem Blogger?“. Die Antwort: „Sie (die westlichen
Geheimdienste) werden aus diesem Typen einen alternativen Präsidenten
kneten.“
Nach einer Dienstreise nach Sibirien war Nawalny am vergangenen Donnerstag
auf dem Flug von Tomsk nach Moskau zusammengebrochen. Nach einer Notlandung
in Omsk fiel er ins Koma. Am Samstag wurde er nach langem Tauziehen
schließlich mit einer von der Berliner Organisation Cinema for peace
gecharterten Maschine mit Ärzten der Charité an Bord nach Deutschland
ausgeflogen.
## Kein „Danke“ nach Omsk
Der ausgebildete Jurist hatte seine politische Karriere bei der einzigen
ernstzunehmenden Oppositionspartei Jabloko begonnen. Diese schloss ihn 2007
aus – wegen nationalistischer und fremdenfeindlicher Aussagen, so die
Parteispitze damals.
Nawalny lief zeitweise bei „Russland den Russen“-Märschen mit, bei denen
Nationalisten Stimmung gegen Migranten machen. Später distanzierte er sich
davon und setzte ganz auf seinen Kampf gegen die Korruption.
Die Ärzte der Omsker Notfallklinik Nummer 1 sprachen am Montag, noch bevor
die Befunde der Charité öffentlich wurden, von einem „Hype“ um Nawalny und
beklagten sich darüber, kein „Danke“ von der Familie und den
Unterstützer*innen Nawalnys gehört zu haben. „Schließlich haben wir jede
Sekunde um sein Leben gekämpft.“
Auch in Omsk sei Nawalny auf Cholinesterase-Hemmer getestet worden,
betonten sie. Ergebnis: negativ.
## Deutschland und EU mahnen
EU-Außenbeauftragter Josep Borrell verurteilte am Montagabend in Brüssel
den mutmaßlichen Anschlag auf Nawalny. Es sei „zwingend erforderlich“, dass
die russischen Behörden „ohne Verzögerung“ eine unabhängige Untersuchung…
dem mutmaßlichen Anschlag auf Nawalny auf den Weg brächten, verlangte
Borrell.
Auch Bundeskanzlerin Merkel (CDU) und Außenminister Heiko Maas (SPD) riefen
dazu auf, „diese Tat bis ins Letzte aufzuklären – und das in voller
Transparenz. Die Verantwortlichen müssen ermittelt und zur Rechenschaft
gezogen werden.“
Nawalny ist indes auch auf Moskauer Straßen und in den sozialen Netzwerken
ein Thema. „Wer macht denn so was?“, fragt sich eine Nawalny-Skeptikerin.
„In was für einem Land leben wir?“ Im Telegram-Kanal „Der Betrachtende“
hieß es: „Entweder haben die Ärzte in Omsk extra gelogen oder sie sind
völlig unfähige Diagnostiker. Beides wäre beschissen.“
Währenddessen liegt Nawalny weiterhin im Koma in der Charité. Zustand:
ernst, aber nicht lebensbedrohlich.
25 Aug 2020
## LINKS
[1] https://twitter.com/ChariteBerlin/status/1297906233874296839?s=20
[2] https://www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=Cholinesterase-Hemmer
[3] /Nach-Fall-des-Ex-Spions-Skripal/!5519062/
## AUTOREN
Inna Hartwich
## TAGS
Russland
Menschenrechte
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