# taz.de -- Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst: Arbeitskampf in Coronazeiten | |
> Am Donnerstag beginnt die dritte Verhandlungsrunde für die Beschäftigten | |
> von Bund und Kommunen. Beide Seiten stehen unter enormem Einigungsdruck. | |
Bild: Berliner Krankenschwester beim Verdi-Warnstreik in Berlin: Klatschen alle… | |
BERLIN taz | Begleitet von Warnstreiks in mehreren Bündesländern geht der | |
Tarifkonflikt für die rund 2,3 Millionen Beschäftigten im öffentlichen | |
Dienst von Bund und Kommunen in die entscheidende Phase. Von diesem | |
Donnerstag an verhandeln Arbeitgeber und Gewerkschaften wieder im Potsdamer | |
Kongresshotel. Es könnte die letzte Verhandlungsrunde sein. Zwar zeichnet | |
sich bislang noch keine Annäherung ab, aber angesichts der Coronakrise ist | |
der Einigungsdruck auf beide Seiten enorm groß. | |
Die Ausgangslage: Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und der Deutsche | |
Beamtenbund (dbb) [1][fordern eine Anhebung der Einkommen um 4,8 Prozent], | |
mindestens aber 150 Euro pro Monat. Der Bund und die Vereinigung der | |
kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) bieten ein Lohnplus von 3,5 Prozent | |
an, mindestens jedoch 30 Euro. Die Differenz zwischen Forderung und Angebot | |
klingt nicht groß, sie ist es aber. | |
Knackpunkt ist die Laufzeit des Tarifvertrags: Die Gewerkschaften wollen | |
für 12 Monate abschließen, die Arbeitgeber jedoch für 36. Das bedeutet | |
konkret: Nach den Vorstellungen von Bund und VKA soll es zunächst ab dem 1. | |
März 2021 eine Lohnerhöhung von 1 Prozent geben, ein Jahr später erst | |
sollen weitere 1 Prozent dazukommen und zuletzt ab März 2023 nochmal 1,5 | |
Prozent. | |
Da der Tarifvertrag rückwirkend zum September 2020 abgeschlossen werden | |
soll, müssten die Beschäftigten im ersten halben Jahr völlig auf eine | |
Lohnsteigerung verzichten. Das soll ihnen versüßt werden durch eine | |
„Corona-Sonderzahlung“ – eine Einmalzahlung von 300 Euro, die laut VKA der | |
„Abmilderung der Belastung durch die Corona-Krise“ dienen soll. | |
## Bescheidenes Arbeitgeberangebot | |
Insgesamt liegt das [2][erst Ende vergangener Woche vorgelegte] | |
Arbeitgeberangebot unter der für die kommenden Jahre prognostizieren | |
Inflationsrate, würde also einen Reallohnverlust bedeuten. Überdies enthält | |
es durch den wesentlich niedrigeren monatlichen Mindestbetrag von 30 Euro | |
keine relevante soziale Komponente mehr. Gerade Verdi ist es demgegenüber | |
wichtig, für die unteren Einkommensgruppen – beispielweise | |
Müllwerker:innen, Kanalarbeiter:innen oder Reinigungspersonal – einen | |
spürbaren Lohnzuwachs zu erreichen. | |
„Das Angebot ist mehr als nur fair, gerade vor dem Hintergrund der über | |
Jahre eingebrochenen Finanzen der Kommunen“, sagte VKA-Präsident und | |
Oberbürgermeister Lüneburgs Ulrich Mädge (SPD). Es könne „sich sehen | |
lassen“, befand auch Innenminister Horst Seehofer (CSU), der | |
Verhandlungsführer des Bundes. | |
Der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke bezeichnete den Arbeitgebervorschlag | |
hingegen als „sehr enttäuschend“ und „geradezu respektlos“. Auch dbb-C… | |
Ulrich Silberbach zeigte sich unzufrieden: „Genauso wie die | |
Gewerkschaftsforderungen nicht das letzte Wort sind, kann und wird es auch | |
dieses erste Angebot der Arbeitgeber von Bund und Kommunen nicht sein“, | |
sagte er. | |
## Sonderfälle Flughäfen, Sparkassen und der Osten | |
Verkompliziert werden die Verhandlungen durch vier Spezialfälle. Da sind | |
erstens die Flughafenbeschäftigten, die nach Vorstellungen der Arbeitgeber | |
vollständig von den Entgelterhöhungen ausgenommen werden sollen. Eine große | |
Gegenwehr der Gewerkschaften wird es aufgrund der coronabedingten desolaten | |
wirtschaftlichen Situation der Flughäfen hier allerdings nicht geben. | |
Stattdessen verhandelt Verdi bereits mit der VKA über einen bundesweiten | |
Notlagenrahmentarifvertrag, um zu retten, was an Arbeitsplätzen im | |
Flughafenbereich noch zu retten ist. | |
Zweitens geht es um die Sparkassenangestellten, die traditionell eine | |
jährliche Sonderzahlung erhalten, die die Arbeitgeber seit langem schon | |
unter Verweis auf die andauernde Niedrigzinsphase deutlich verringern | |
möchten. Bisher scheiterten sie jedoch am Widerstand der Gewerkschaften. | |
Diesmal scheint die VKA aber fest entschlossen, darauf zu beharren. | |
Verrechnet man deren Kürzungsforderung, dann würde sich die angebotene | |
Gehaltserhöhung für die Sparkassenangestellten in den nächsten drei Jahren | |
auf insgesamt knapp 1,6 Prozent reduzieren. | |
Dann sind da drittens die Beschäftigten im Osten, die auch 30 Jahre nach | |
der Wiedervereinigung eine längere Wochenarbeitszeit haben als ihre | |
Kolleg:innen im Westen. Verdi und dbb wollen das zeitnah ändern. Die VKA | |
bietet dagegen eine schrittweise Angleichung an – und zwar in den Jahren | |
2023 und 2024. Erst dann soll auch im Tarifgebiet Ost die 39-Stunden-Woche | |
gelten. | |
## Was sollen die „Corona-Held:innen“ bekommen? | |
Beim vierten Komplex, über den gesondert beraten wird, besteht immerhin im | |
Grundsatz Einigkeit: Dass die [3][in der Coronakrise als „systemrelevant“ | |
erkannten Beschäftigten] im Bereich der [4][Krankenhäuser, der Pflege- und | |
Betreuungseinrichtungen] sowie in den Gesundheitsämtern sichtbar | |
bessergestellt werden sollen, ist Konsens. Über die Details gibt es indes | |
Differenzen. | |
Verdi und dbb streben eine zusätzliche monatliche Pflegezulage von 300 Euro | |
für alle im Gesundheitswesen Tätigen an. Bund und VKA schlagen hingegen ein | |
abgestuftes Modell vor. Danach sollen es künftig für die Beschäftigten im | |
Krankenhaus oder in der Pflege eine Zulage von 50 Euro geben. Die | |
Wechselschichtzulage soll zudem von 105 Euro auf 155 Euro und die | |
Intensivzulage von rund 46 Euro auf 96 Euro erhöht werden. | |
„Für Beschäftigte in der Intensivpflege, die alle drei Zulagen erhalten, | |
ergibt sich allein daraus eine Entgelterhöhung um monatlich 150 Euro“, | |
rechnet der VKA vor. Außerdem soll es für die Beschäftigten in den | |
Gesundheitsämtern in den nächsten zwei Jahren Sonderzahlungen von insgesamt | |
maximal 1.200 Euro geben. | |
Angesetzt ist die dritte Verhandlungsrunde erstmal nur bis Freitag. Sehr | |
wahrscheinlich ist allerdings, dass auch am Wochenende weiterverhandelt | |
wird. Bis es ein Ergebnis gibt. | |
21 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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