# taz.de -- Corona-Zahlen in Berlin: Für Resignation keine Zeit | |
> Die Coronafallzahlen in Berlin explodieren. Jetzt muss jeder selbst | |
> mithelfen, die Pandemie einzudämmen. Ein Wochenkommentar. | |
Bild: Vor einer Arztpraxis in Neukölln | |
Seit einer Woche ist die Hauptstadt offiziell Risikogebiet. Das | |
überschattet nicht nur die Herbstferien, was gewiss zu verschmerzen ist. Es | |
verursacht auch ein Unbehagen, das in gewisser Weise dem aus dem Frühjahr | |
in nichts nachsteht. Ein Unbehagen, das befeuert wird durch Bilder und | |
Nachrichten aus Neukölln, wo die Infektionszahlen höher liegen als überall | |
sonst in Deutschland. Und wo die Verantwortlichen in Gesundheitsamt und | |
Bezirksamt verzweifelt versuchen, „wieder vor die Lage zu kommen“ und | |
gleichzeitig bezweifeln, dass das überhaupt noch möglich ist. | |
Die Labore schaffen es auch nicht mehr, Zehntausende von Coronatests | |
zeitgerecht auszuwerten, die Kapazitäten sind nicht nur ausgeschöpft, | |
sondern überschritten. Ist es diese Woche, von der wir später sagen werden, | |
da ist die Lage gekippt? | |
Manches spricht dafür. Der Umstand zum Beispiel, dass die Fallzahlen, auf | |
die wir alle schauen und die die Politik zum Handeln veranlassen – siehe | |
Sperrstunde, [1][Beherbergungsverbot], erweiterte Maskenpflicht –, im | |
Grunde schon ein Hinterherlaufen hinter dem Infektionsgeschehen sind. Die | |
Fallzahlen umfassen ja nur die, die bereits wissen, dass sie infiziert sind | |
(und häufig quasi schon nicht mehr infektiös sind). | |
Das Dilemma der Politik: Ist die Lage bereits ernst, sind zwar Maßnahmen in | |
der Bevölkerung durchsetzbar, aber kommen eigentlich zu spät, laufen den | |
Entwicklungen hinterher. Setzt die Politik dagegen Maßnahmen vorausschauend | |
ein, wird ihre Wirksamkeit zugleich unbeweisbar sein. Das macht sie so | |
schwer durchsetzbar, so angreifbar für Kritiker*innen. | |
## Drosten: „Aktiver Teilnahmemodus“ | |
Zeit für Resignation bleibt dennoch nicht. Es ist nicht so, dass der | |
aktuelle Umgang mit Infektionen – [2][Fallermittlung und Nachverfolgung | |
durch die Gesundheitsämter] – alleiniges Maß aller Dinge ist. Tatsächlich | |
ist sie, das machten die stark betroffenen Bezirke in dieser Woche | |
deutlich, nur bis zu einem gewissen Grad überhaupt umsetzbar. Danach bleibt | |
der Bevölkerung nicht die Hilflosigkeit, sondern etwas, was der | |
Charité-Virologe Christian Drosten „Umschalten in einen aktiven | |
Teilnahmemodus“ nennt. | |
Man könnte auch sagen: Mehr Selbstverantwortung ist gefragt. Die ist schon | |
jetzt erforderlich, wenn Testergebnisse erst Tage später kommen und das | |
Gesundheitsamt mit dem Abtelefonieren der Kontakte nicht mehr | |
hinterherkommt. Sie ist auch erforderlich vor dem Hintergrund, dass laut | |
Gesundheitsämtern bei über der Hälfte der Infizierten keine | |
Infektionsquelle mehr festgestellt werden kann. Man solle am besten selbst | |
abends aufschreiben, wo man am Tag gewesen ist, hat Drosten als Ratschlag | |
gegeben. | |
Und vielleicht ist es nach dieser Woche tatsächlich Zeit, nicht nur auf | |
Maßnahmen der Politik zu warten, um diese dann im Zweifel bescheuert zu | |
finden und sich als nicht obrigkeitshörig abzugrenzen – sondern sich selbst | |
als aktives Teilchen des Infektionsgeschehens zu begreifen. Das ist eine | |
Form von Aktivität, die auch dem Unbehagen etwas entgegensetzen kann. | |
16 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Bodo-Ramelow-zum-Coronagipfel/!5721456&s=beherbergungsverbot/ | |
[2] /Corona-Entwicklung-in-Deutschland/!5721402&s=beherbergungsverbot/ | |
## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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