# taz.de -- Aktivistin über Gorleben-Entscheidung: „Heilend für das Wendlan… | |
> Kerstin Rudek geht seit Jahrzehnten fürs Klima und gegen Atommülllager | |
> auf die Straße. Ihr Protest endet mit der Entscheidung gegen Gorleben | |
> nicht. | |
Bild: In 43 Jahren konnte sich die Bevölkerung im Wendland viele Symbole des W… | |
Frau Rudek, Sie sind in Dannenberg im Wendland geboren und seit Jahren | |
Antiatom-Aktivistin. Wie haben Sie die [1][Entscheidung der | |
Bundesgesellschaft für Endlagerung aufgenommen], dass Gorleben jetzt als | |
Endlager für den hoch radioaktiven Müll aus der Standortsuche raus ist? | |
Bei mir trudelte zunächst am Sonntagabend eine Nachricht ein: „Herzlichen | |
Glückwunsch – Dir und euch und uns allen“ von einem befreundeten | |
Bundestagsabgeordneten. Das konnte ich erst gar nicht einordnen. Dann haben | |
mir schnell viele Freundinnen und Freunde den Link zum Spiegel-Artikel | |
geschickt, dass Gorleben aus dem Suchverfahren rausgeflogen ist. Das war | |
zunächst unwirklich. | |
Es war ja ein Spiegel-Artikel, das konnte also keine Ente sein. Ich habe | |
mich nur gewundert, warum das schon am Abend vorher durchgesickert war. | |
Denn vorgestellt werden sollte der Bericht ja erst am nächsten Morgen. Es | |
hat ein paar Stunden gedauert, bis das so richtig bei mir angekommen ist. | |
Aber jetzt bin ich sehr begeistert über die Entscheidung. Es ist ja nicht | |
nur so, dass es jetzt kein Endlager in Gorleben gibt. Sondern dass nach 43 | |
Jahren, in denen vor allem wirtschaftliche Interessen vertreten wurden, | |
endlich wissenschaftsbasierte Argumente zählen und somit die historische | |
Korrektur einer politisch motivierten Fehlentscheidung möglich war. | |
Für uns im Wendland hat das auch etwas Heilendes. Was mussten wir alles | |
aushalten? Beschimpfungen, wir seien ein unappetitliches Pack, wir würden | |
demokratische Entscheidungen nicht ernst nehmen. Wir sind trotzdem bei | |
unserer Haltung geblieben: Nein, Gorleben ist als Endlager nicht geeignet. | |
Und wenn ihr das nicht einseht, wird es weiter Auseinandersetzungen geben. | |
Welche Reaktionen gab es aus dem Wendland und von der Antiatom-Bewegung? | |
Die volle Bandbreite. Da ist die große Ungläubigkeit bei vielen Menschen, | |
die es gar nicht fassen können. Wir bekommen Dutzende | |
Glückwunschnachrichten aus aller Welt, die Menschen freuen sich mit uns, | |
dass wir das mit unseren Protesten geschafft haben. Natürlich gibt es im | |
Wendland auch [2][skeptische Leute, die noch keinen Grund zum feiern | |
sehen]. Aber selbst bei denen hast du das Funkeln in den Augen gesehen. Die | |
freuen sich wie Bolle. | |
Gorleben ist aufgrund der geologischen Kriterien als Endlager | |
ausgeschieden. Was hat der Protest im Wendland mit der Entscheidung zu tun? | |
Unser Widerstand hat einen großen Beitrag dazu geleistet, dass jetzt | |
endlich auf die Wissenschaft gehört wird und die geologischen Kriterien zum | |
Tragen kommen. Ich bin fest davon überzeugt, dass 1977, als Gorleben zum | |
nuklearen Entsorgungszentrum erklärt werden sollte, die damalige | |
Landesregierung das volle Programm durchgezogen hätte, wenn es nicht diesen | |
Protest gegeben hätte. Ohne den Protest wäre Gorleben nicht aus dem | |
Suchverfahren rausgeflogen und es würde hier eine Wiederaufbereitungsanlage | |
geben. Ohne den Protest würden hier nicht 113 hochradioaktive | |
Castorbehälter in unserer „Zwischenlagerkartoffelscheune“ Gorleben stehen | |
und vor sich hinstrahlen, sondern 420 Castorbehälter. | |
Bei den Protesten hieß es immer wieder: Gorleben soll leben. Wie lange | |
begleitet Sie diese Forderung schon? | |
Ich bin jetzt 52 Jahre alt und ich gehe seit ich 14 bin auf die Straßen. | |
Seit 1986, dem Reaktorunglück in Tschernobyl, organisiere ich Demos, | |
schreibe Flugblätter, bin international in der Antiatombewegung vernetzt. | |
Für mich ist die Entscheidung am Montag daher persönlich sehr berührend. | |
Aber der Beschluss bedeutet nicht, dass ich mich jetzt zurücklehne. Wir | |
sollten den Schwung der Antiatombewegung nutzen. | |
Wofür? | |
Atommüll wird immer noch produziert, wir brauchen eine sofortige | |
Stilllegung aller Atomkraftanlagen, nicht nur der Atomkraftwerke. Ich denke | |
an die Brennelementfabrik in Lingen oder die Urananreichungsanlage in | |
Gronau. Dort wird weiterhin der Rohstoff zum Betreiben von Atomkraftwerken | |
produziert. Das ist nicht hinnehmbar. Wenn die Bundesregierung aus der | |
Atomkraft aussteigt, muss sie es konsequent machen. | |
Es gibt Uranmülltransporte nach Russland. Die Sachen werden hier | |
produziert, also müssen sie auch hier gelagert werden. Damit spart Urenco, | |
eine Firma im Bereich der Urananreicherung, Kosten. Die russische | |
Bevölkerung kann sich nicht dagegen wehren. Die Aktivist*innen, mit denen | |
wir dort zusammen arbeiten, müssen finstere Repressionen aushalten. Die | |
Vorsitzende der Organisation ecodefense hat jetzt etwa nach Verfolgung | |
durch russische Behörden in Deutschland politisches Asyl beantragt. | |
Der letzte Castor rollte im [3][November 2011 ins Zwischenlager Gorleben.] | |
Mir ging es immer um alle Castortransporte, nicht nur um die nach Gorleben. | |
In der ersten Oktoberwoche wird es erneut Transporte aus der [4][britischen | |
Wiederaufbereitungsanlage in Sellafield] nach Biblis in Südhessen geben. | |
Ich werde mich an den Protesten beteiligen und ich hoffe, viele andere | |
auch. Vielleicht auch mit diesem Glücksgefühl gerade: Wir können etwas | |
bewirken, wenn wir zusammenhalten und unsere Überzeugung auf die Straßen | |
tragen. Aus dem Wendland heraus können wir das Zeichen setzen: ‚Not in my | |
backyard‘ spielte nicht die große Rolle. Es geht uns um das große Ganze. | |
Wir haben hier diese 113 sehr stark strahlende Castorbehälter in unserem | |
Wald stehen. Wir fordern auch nicht, dass die abtransportiert werden. Wohin | |
auch? Dann würden sie woanders stehen und dort die Menschen verstrahlen. Es | |
gibt kein Konzept, wohin dieser hochradioaktive Müll soll. Das bedeutet, | |
dass das erste was jetzt passieren muss, ist keinen weiteren Müll zu | |
produzieren. | |
Sie haben 1982 das erste Mal gegen das Zwischenlager Gorleben demonstriert. | |
Mit welcher Erinnerung? | |
Das war ein Konzert unter dem Titel „Tanz auf dem Vulkan“ als Reaktion auf | |
den Baubeginn der Zwischenlagerhallen in Gorleben. Ich fand das sehr | |
beeindruckend, das war mein Einstieg in das Thema Antiatom, was mich bis | |
heute gefangen hält. | |
Das Thema hält Sie gefangen? | |
Ich habe sechs Kinder, unser Alltag war sehr von meinem Kampf gegen die | |
Atommafia geprägt. Manchmal standen meine Kinder vor mir und fragte: Du | |
willst dieses Wochenende wieder zu einer Demo? Mama, wie viele Wochenenden | |
hat ein Monat? Vier. Wie viele warst du diesen Monat schon auf Demos? Drei. | |
Und das vierte willst du jetzt auch noch auf eine Demo gehen und wir sollen | |
wieder mitkommen? Meine Kinder wurden dadurch politisiert und haben sich | |
mit dem Thema Wehrhaftigkeit der Demokratie auseinandergesetzt. Sie wären | |
heute sicher andere Menschen, wenn es Gorleben nicht gegeben hätte. | |
29 Sep 2020 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Linda Gerner | |
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