Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Friedensnobelpreis bekanntgegeben: Krieg bringt Hunger bringt Krieg
> Der Friedensnobelpreis 2020 geht an das Welternährungsprogramm, die
> größte humanitäre Organisation der Welt.
Bild: Versorgung aus der Luft: Lebensmittelabwurf des Welternährungsprogramms …
Berlin taz | So falsch waren die Voraussagen vor der Vergabe des
Friedensnobelpreises schon lange nicht mehr. Die meisten Auguren hatten die
Klimakämpfer*innen von [1][Fridays for Future], die im Kampf gegen die
Coronapandemie befindliche [2][Weltgesundheitsorganisation] oder eine*n aus
der in letzter Zeit deutlich gestiegenen Anzahl verfolgter und inhaftierter
Journalis*tinnen auf dem Zettel. An das Welternährungsprogramm (World Food
Programme, WFP) der UNO dachte niemand.
Dabei gehörte die 1961 gegründete und inzwischen größte humanitäre
Organisation der Welt bereits im letzten Jahr beim Auswahlverfahren durch
das Nobelpreiskomittee in Oslo zur Schlussrunde der letzten 3 von über
1.000 vorgeschlagenen Kandidat*innen. Und wenn man sich anschaut, welche
Organisationen und Personen aus dem UNO-System seit 1945 [3][bereits den
Friedensnobelpreis erhalten] haben, dann war die Auszeichnung für das WFP
schon lange überfällig.
„Das WFP erhält den Friedensnobelpreis 2020 für seine Bemühungen im Kampf
gegen den Hunger sowie für seinen Beitrag zur Verbesserung der
Friedensbedingungen in Konfliktgebieten“, erklärte die Vorsitzende des
Komitees, Berit Reiss-Andersen bei der Preis-Bekanntgabe. Zudem sei das WFP
„eine treibende Kraft, um zu verhindern, dass Hunger als Waffe in Kriegen
und Konflikten eingesetzt wird“.
Im Jahr 2019 leistete das WFP humanitäre Hilfe für fast 100 Millionen Opfer
von Hunger und Nahrungsmittelunsicherheit in 88 Ländern. Die vollständige
Überwindung des Hungers in der Welt ist eines der 17 „nachhaltigen
Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, SDGs), die 2015 von den
194 Mitgliedstaaten der UNO-Generalversammlung beschlossen wurden und bis
2030 umgesetzt werden sollen. Das WFP sei „das wichtigste Instrument der
UNO, um dieses Ziel zu erreichen“, heißt es in der Preisbegründung.
## Null Hunger geht nur ohne Krieg
Schon die im Jahr 2000 von der UNO verabschiedeten „Millenniumsziele zur
Halbierung der weltweiten Armut“ bis zum Jahr 2015 sahen eine deutliche
Senkung der Zahl der weltweit Hungernden vor. Doch das gelang nur
unzureichend und im Wesentlichen nur aufgrund von Fortschritten in China,
dem bevölkerungsreichsten Land der Erde. In den Staaten des afrikanischen
Kontinents, wo über 80 Prozent aller hungernden und mangelernährten
Menschen dieser Welt leben, blieb deren Zahl fast unverändert oder stieg
sogar an.
Inzwischen steigen die Zahlen auch weltweit wieder auf rund 825 Millionen
Menschen, darunter „2019 rund 135 Millionen Menschen, die unter akutem
Hunger litten, die höchste Zahl seit vielen Jahren – ein Anstieg,der
hauptsächlich durch Kriege und bewaffnete Konflikte verursacht wurde“,
erklärte das Nobelpreiskomitee.
„Die Verknüpfung zwischen Hunger und bewaffneten Konflikten“ sei „ein
Teufelskreis. Kriege und Konflikte können zu Hunger und
Nahrungsmittelunsicherheit führen, ebenso wie Hunger und
Ernährungsunsicherheit zur Eskalation latenter Konflikte führen und den
Einsatz von Gewalt auslösen können.“ Daher sei das in den nachhaltigen
Entwicklungszielen proklamierte Ziel „Null Hunger auf der Welt“ nicht zu
erreichen ohne die Beendigung von Kriegen und Gewaltkonflikten“.
„Die Coronavirus-Pandemie hat ebenfalls zu einem starken Anstieg der Zahl
der Hungeropfer in der Welt beigetragen“, heißt es in der Preisbegründung.
Im Jemen, in der Demokratischen Republik Kongo, Nigeria, Südsudan und
Burkina Faso habe die Kombination aus bewaffneten Konflikten und der
Coronapandemie „zu einem dramatischen Anstieg der Zahl von Menschen
geführt, die kurz vor dem Hungertod stehen“. Angesichts dieser
Herausforderung habe das WFP seine Bemühungen zur Rettung von Menschenleben
„in eindrucksvoller Weise gesteigert“, lobt das Nobelpreiskomitee die
Organisation.
## Abhängigkeit von freiwilligen Zahlungen macht handlungsunfähig
Zugleich warnt das Komitee, es drohe„eine weltweite Hungerkrise
unvorstellbaren Ausmaßes, wenn das WFP und andere in der
Nahrungsmittelhilfe engagierte Organisationen nicht die finanziellen Mittel
erhalten, um die sie die Staatengemeinschaft ersucht haben“.
Das WFP hat nur ein sehr kleines Festbudget. Über 90 Prozent aller zur
Verfügung stehenden Mittel sind freiwillige Beiträge von Regierungen der
194 UNO-Mitgliedstaaten oder von Wirtschaftsunternehmen und Stiftungen.
Dieser Prozentsatz ist noch höher als bei der Weltgesundheitsorganisation,
wo er bei 80 Prozent liegt.
Diese starke Abhängigkeit von freiwilligen Finanzbeiträgen beschränkt die
Handlungsfähigkeit des WFP in aktuellen Krisen – seien es
Naturkatastrophen, Gewaltkonflikte oder bei der Versorgung von Flüchtlingen
in großen Lagern, die das WFP zumeist gemeinsam mit dem
UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) betreibt.
Besonders folgenreich war diese Abhängigkeit zum Beispiel im Herbst 2014.
Damals wandten sich WFP und UNHCR mit der dringenden Bitte um zusätzliche
Finanzmittel an die Mitgliedsregierungen, um die damals über 3 Millionen
syrischen Flüchtlinge in den Lagern in Jordanien, [4][Libanon] und Irak
weiter ernähren zu können.
## Deutschland ist jetzt zweitgrößter Geber
Auch bei der Bundesregierung wurden die Chefs der beiden UNO-Organisationen
ab August 2014 mehrfach vorstellig. Vergebens. Das WFP musste die
Nahrungsmittelversorgung für 1,7 Millionen syrische Flüchtlinge ab 1.
November 2014 zunächst um ein Drittel reduzieren und dann ab 1. Dezember
sogar ganz einstellen.
Das führte zu dem starken Anstieg de Zahl syrischer Flüchtlinge in
Deutschland und anderen europäischen Ländern. Rund 90 Prozent der syrischen
Flüchtlinge, die ab Ende 2014 in Deutschland und anderen europäischen
Ländern registriert wurden, kamen nicht unmittelbar aus Syrien, sondern aus
einem der Lager in Libanon und Jordanien, in denen sie zum Teil schon bis
zu drei Jahre verbracht hatten, weil sie dort nicht mehr oder nicht
ausreichend ernährt wurden.
Dieses Versäumnis vom Herbst 2014 hat Kanzlerin Angela Merkel seitdem
zumindest indirekt eingestanden. Deutschland ist nach den USA inzwischen
der zweitgrößte Geldgeber des WFP.
Neben Kriegen und der dadurch verursachten Vertreibung von Menschen benennt
das WFP fünf weitere „Hauptursachen“ von Hunger und Mangelernährung: Armu…
Klima- und Wetterveränderungen, fehlende Investitionen in die
Landwirtschaft, Nahrungsmittelverschwendung sowie instabile Märkte.
## Nahrungsspekulation bleibt Tabuthema
Warum Märkte „instabil“ sind, benennt das WFP allerdings nicht. Die
Spekulation mit Nahrungsmitteln an den Börsen oder die Politik globaler
Nahrungsmittelkonzerne wie Nestlé werden nicht kritisiert.
Das WFP proklamiert zwar das Ziel, Nahrungsmittel für die Versorgung von
Flüchtlingen oder anderen hilfsbefürftigen Menschen möglichst vor Ort bei
lokalen Kleinbauern oder Produzenten einzukaufen. Ob und wie weit das
tatsächlich geschieht, ist allerdings nicht immer nachvollziehbar – auch
weil das WFP keine ausreichende Transparenz herstellt.
Das Problem: Lokale Anbieter können die Nahrungsmittel nicht immer in der
aktuell benötigten Menge herstellen und liefern oder nur zu höheren Preisen
als große ausländische Nahrungsmittelkonzerne. Und unter dem Druck knapper
Finanzmittel muss sich das WFP dann für den ausländischen Konzern
entscheiden.
9 Oct 2020
## LINKS
[1] /Erfolgsbilanz-von-Fridays-for-Future/!5714252
[2] /Internationaler-Kampf-gegen-Corona/!5713878
[3] /Kommentar-Friedensnobelpreis/!5057337
[4] /Konflikte-im-Libanon/!5026753
## AUTOREN
Andreas Zumach
## TAGS
Schwerpunkt Armut
Krieg
Schwerpunkt Flucht
Ernährung
Vereinte Nationen
Humanitäre Hilfe
Naturkatastrophe
Hunger
Friedensnobelpreis
Vereinte Nationen
Jemen Bürgerkrieg
Uno
Nobelpreis
Hunger
Schwerpunkt Flucht
## ARTIKEL ZUM THEMA
Vereinte Nationen warnen vor Notlage: Weltweit nehmen Armut und Hunger zu
„Größte humanitäre Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg“: Die UN
schlagen Alarm. 235 Millionen Menschen brauchen nächstes Jahr Nothilfe
Gefangenenaustausch in Jemen: Minutiös geplanter erster Schritt
Gute Nachrichten aus Jemen: Die Konfliktparteien tauschen Gefangene aus.
Was simpel klingt, ist ein politisches und logistisches Monstervorhaben.
Neubesetzung beim Menschenrechtsrat: Saudische Niederlage ist ein Erfolg
Dass Saudi-Arabien bei der Besetzung des Menschenrechtsrats durchfiel, ist
ein gutes Zeichen. Allerdings ist noch vieles zu verbessern.
Friedensnobelpreis für Welternährungsprogramm: Kampf gegen Hunger
Der Friedensnobelpreis 2020 geht an das Welternährungsprogramm der UN. Das
Komitee würdigt damit den Kampf gegen den Hunger.
UN-Prognose über Hungersnot: Corona verschärft die Hungerkrise
In Regionen mit Nahrungsmittelknappheit leiden noch mehr Menschen. Die
Vereinten Nationen befürchten, dass mehr Kinder verhungern.
Liste der vergessenen Konflikte: „Ein Tornado an Notlagen“
Der Norwegische Flüchtlingsrat hat die zehn am wenigsten beachteten
humanitären Krisen aufgelistet. Bis auf eine Ausnahme liegen alle in
Afrika.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.