# taz.de -- Nachruf auf Michael Gwisdek: Leben als Abenteuer | |
> Der hat schon was hinter sich, dachte man oft bei seinen Rollen. Der | |
> Schauspieler Michael Gwisdek, Experte für gebrochen würdevolle Figuren, | |
> ist tot. | |
Bild: Ein echter Berliner: Schauspieler Michael Gwisdek bei Dreharbeiten 2014 | |
Einer seiner größten Erfolge war die Rolle als mittelalter Geschäftsmann | |
Henrik Peschke in [1][Andreas Dresens] Komödie „Nachtgestalten“ von 1999. | |
Michael Gwisdek wartet darin als besagter Peschke am Flughafen Tegel auf | |
einen japanischen Geschäftspartner, den er im Auftrag seines Chefs abholen | |
soll. Einen Blumenstrauß zur Begrüßung hat er eigens mitgebracht, es ist | |
ein wichtiger Partner, geduldig harrt er aus. | |
Doch der Gast taucht nicht auf: Er ist schon früher gelandet und hat sich | |
anders beholfen. Der bemühte Peschke steht stoisch ungläubig daneben und | |
zugleich neben sich, sieht machtlos zu, wie ihm die eigene Karriere | |
entgleitet. Eher gegen seinen Willen nimmt er sich dann eines | |
Migrantenjungen an, der am Flughafen gestrandet ist. | |
In späteren Jahren hat der 1942 in Berlin-Weißensee geborene Gwisdek immer | |
wieder solche leicht angeknacksten Charaktere gespielt. Menschen, bei denen | |
das Leben seine Spuren hinterlassen hat, auch im Gesicht, das in Gwisdesks | |
Fall beeindruckend zerfurcht war. | |
Immer hatte man bei ihm auch den Eindruck, dass er in seinem Spiel ein | |
bisschen so etwas wie Fleisch gewordene DDR-Geschichte verkörperte. Was | |
einerseits an seiner ostdeutschen Biografie und andererseits an seiner | |
spezifischen Art mit diesem gelassenen Berliner Singsang beim Sprechen, | |
dieser leicht servil spannungslosen und dabei doch sehr würdigen | |
Körpersprache gelegen haben mag. Was im Übrigen alles Projektionen aus der | |
Sicht eines Westdeutschen sein könnten. | |
## Abgeklärt kauzig | |
Angefangen hat Gwisdek ohnehin völlig anders. Mit 16 Jahren beschloss er, | |
ein aufregendes Leben zu führen und sich einen dazu passenden Beruf zu | |
suchen. Die Lösung kam ihm bei einem Kinobesuch. Im Film „Flucht in Ketten“ | |
(1958), mit Sidney Poitier und Tony Curtis, sah er, wie die beiden | |
Hauptdarsteller sich in einem Sumpfloch prügelten. Solche Dinge, die er im | |
Alltag mit großer Wahrscheinlichkeit sonst nicht erfahren hätte, wollte er | |
fortan auch selbst erleben. | |
Wobei sein Weg ins Schauspielfach wenig geradlinig verlief. Nach einer | |
Dekorateur-Lehre bewarb er sich erfolglos an Schauspielschulen, arbeitete | |
eine Weile als Vertreter. Bis ihn 1965 die Staatliche Schauspielschule | |
„Ernst Busch“ akzeptierte. | |
Es folgten längere Stationen an der Volksbühne (ab 1973) und am Deutschen | |
Theater (ab 1983). Nach dem Ende der DDR arbeitete Gwisdek als freier | |
Schauspieler. Seine erste Nebenrolle auf der Leinwand erhielt er 1968 im | |
Western „Spur des Falken“, wo er, ganz im Sinne seines Berufscredos, | |
Gebrauch von der Schusswaffe machen durfte. Seinen Kino-Durchbruch hatte er | |
1983 als ehemaliger Profiboxer in „Olle Henry“ von Ulrich Weiß. | |
Zu seinen bleibenden Momenten gehört der Part als Mann am Ende des | |
Lebenswegs in Jan-Ole Gersters „Oh Boy“ von 2012. Und 2018, in einer seiner | |
letzten Rollen, war er dann, ganz typgerecht, ein abgeklärt kauziger | |
schwuler DDR-Dissident in [2][Lars Kraumes „Das schweigende | |
Klassenzimmer“]. Am Dienstag ist Michael Gwisdek im Alter von 78 Jahren | |
gestorben. | |
23 Sep 2020 | |
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[1] /Regisseur-Andreas-Dresen-ueber-Ostsaenger/!5525422 | |
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## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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