# taz.de -- Deutscher Filmpreis: Greifbare Ehrfurcht | |
> Oh Boy! Der Berlinfilm von Jan Ole Gerster bekommt gleich sechs Deutsche | |
> Filmpreise. Die unnötig aufgesexte Gala hatte mehrere ergreifende | |
> Augenblicke. | |
Bild: Sechsfachsieger: „Oh Boy“ mit Tom Schilling. | |
BERLIN taz | Als Michael Gwisdek am Freitag Abend auf die Bühne des | |
Friedrichstadtpalasts tritt, steckt er in der Klemme. Gleich wird er einen | |
Filmpreis für die beste darstellerische Leistung in der Kategorie männliche | |
Nebenrolle entgegennehmen. Sein Sohn Robert Gwisdek war in der selben | |
Kategorie nominiert und ist leer ausgegangen. | |
In die Freude über den eigenen Gewinn – für einen kurzen, beeindruckenden | |
Auftritt als Quartalssäufer in Jan Ole Gersters Film „Oh Boy“ – mischen | |
sich Mitgefühl für den Sohn und vielleicht noch anderes, was sich in | |
Unkenntnis der Familiendynamik nicht sagen lässt. Michael Gwisdek löst das | |
Dilemma auf wunderbare Weise, indem er in seiner Dankesrede eine Anekdote | |
erzählt. | |
Einmal ließen sich sein Sohn und er auf einen privaten Wettbewerb ein; die | |
Aufgabe war, einen zum Tode Verurteilten zu verkörpern. Der Sohn hielt sich | |
zurück und spielte kaum, der Vater dagegen trug dick auf. Nachdem sie sich | |
die Videoaufzeichnung angesehen hatten, riet der Sohn dem Vater, weniger zu | |
spielen. Kurz bevor er die Szene am Kneipentresen in „Oh Boy“ angegangen | |
sei, erzählt Michael Gwisdek, habe er sich an den Rat seines Sohns erinnert | |
und sich dementsprechend zurückgehalten. Dass er nun mit der Lola in der | |
Hand auf der Bühne stehe, habe er seinem Sohn zu verdanken. | |
In diesem Augenblick sitzt man im Friedrichstadtpalast und freut sich: Na | |
also, es geht doch! Es gibt eine Wärme, eine Freude und eine überspringende | |
Energie in diesem Saal, in dem sich die Mitglieder der Deutschen | |
Filmakademie versammelt haben, um sich selbst und die Filme der letzten | |
zwölf Monate zu feiern. | |
## Stripshow im Schwarzlicht | |
Es braucht nichts von dem, was sich Fred Kogel, zuständig für die | |
Ausgestaltung der Gala, ausgedacht hat: keine zickige Moderatorin, keine | |
Stripshow im Schwarzlicht, keine selbstironisch verschwurbelten Witze über | |
Körbchengrößen, keinen Bühnenregen, kein ad nauseam vorgetragenes | |
Bekenntnis zur Sexyness des deutschen Films und keinen Jürgen Vogel, der | |
sich auf zwei Bände „Shades of Grey“ stellt, bevor er ein Nummerngirl mit | |
Anzüglichkeiten umzingelt. All diese Samstagsabend-Unterhaltungsideen mit | |
der dazugehörigen Witzischkeit machen die ohnehin schon lange Gala nur noch | |
länger. | |
Stattdessen braucht es Augenblicke wie Gwisdeks Dankesrede, Augenblicke, in | |
denen die Ehrfurcht vor den Leistungen der anderen spürbar wird. Es braucht | |
den nicht versiegenden Applaus für Werner Herzog, nachdem der den | |
Ehrenpreis entgegengenommen hat, oder die tiefe Verbeugung, die Tom | |
Schilling vor der Schauspielerin Barbara Sukowa und der von ihr | |
verkörperten Philosophin Hannah Arendt ausführt. | |
In solchen Augenblicken wird greifbar, was dieser Filmpreis sein könnte, | |
wäre er nicht so seltsam inzestuös (die Mitglieder der Filmakademie | |
verteilen knapp drei Millionen Euro aus den Fördertöpfen des | |
Bundesminsteriums für Kultur an sich selbst): eine würdevolle Feier des | |
Kinos in all seinen Möglichkeiten und Spielarten. Und für die nötige Erdung | |
sorgt der Kulturstaatsminister Bernd Neumann, indem er von den | |
öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten verlangt, ihren Bildungsauftrag ernst | |
zu nehmen und Filmen Programmplätze zu geben, die nicht nach Mitternacht | |
beginnen. | |
„Oh Boy“, der Film, in dem Michael Gwisdek eine Nebenrolle hat, ist der | |
große Gewinner des Abends, sechs Auszeichnungen erhält er, darunter die für | |
die beste Regie und den besten Spielfilm. „Oh Boy“ ist ein Debütfilm, in | |
Schwarzweiß gedreht; der 1978 geborene Regisseur Jan Ole Gerster hat damit | |
sein Studium an der Berliner Filmhochschule DFFB abgeschlossen. Der Film | |
folgt einem jungen, von Tom Schilling gespielten Mann 24 Stunden lang durch | |
ein sommerliches Berlin, der junge Mann weiß nicht, wohin mit sich und | |
seinem Leben, und ist, obwohl ständig unterwegs, wie gelähmt. | |
Wenn er sich in der ersten Szene von seiner an Jean Seberg erinnernden | |
Freundin verabschiedet, wird der ästhetische Referenzrahmen der Nouvelle | |
Vague aufgezogen. Damit verhebt sich Gerster zwar ein wenig, „Oh Boy“ ist | |
nicht „Außer Atem“, aber der Wechsel zwischen Komik und Tragik und die | |
Nonchalance, mit der der Regisseur die Szene einflicht, in der Gwisdeks | |
Trinker daran erinnert, was sich in den Berliner Straßen am 9. November | |
1938 ereignete, machen „Oh Boy“ in jedem Fall zu etwas Besonderem. | |
Hoffentlich gelingt es Jan Ole Gerster, produktiv mit dem Preisregen | |
umzugehen. | |
Einer bleibt in jedem Fall produktiv: „Ich gehe nicht in Pension“, | |
versprach Werner Herzog in seiner Dankesrede in der ihm eigenen Diktion. | |
„Ich bin der wüstesten Arbeit und werde bald auch mit neuesten Filmen für | |
Sie zur Verfügung stehen.“ Wenn das kein Grund zur Freude ist. | |
27 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
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