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# taz.de -- Deutsche Filmpreise: Hotdog in der Zeitschleife
> Ein Aufzeichnungsfehler gibt der Gala eine surreale, fast spannende Note
> – spannender jedenfalls, als die Rahmenbedingungen der Filmförderung.
Bild: Immer schön auf dem Boden bleiben
Nach drei Stunden Gala, das heißt: nach zahlreichen Dankesreden,
Clip-Einspielungen und freudig in die Luft gereckten Lolas, nach einer
keck-verschleppten Laudatio von Michael Gwisdek, nach mehreren Appellen –
Monika Grütters fordert mehr Frauen in den Entscheidergremien der
Filmförderanstalt und mehr Wahnsinn nach dem Vorbild Werner Herzogs, Laura
Poitras fordert Asyl für Edward Snowden in Deutschland, Katja Riemann
fordert mehr interessante Frauenrollen, und Til Schweiger fordert mehr
Lolas für Til Schweiger – nach drei Stunden also, die man im Palais am
Funkturm weit im Berliner Westen bei der Verleihung der deutschen
Filmpreise ausgeharrt hat, geschieht etwas sehr Eigentümliches. Der Abend
beginnt von vorn.
Schuld ist ein Aufzeichnungsfehler, der sich am Anfang zugetragen hat, und
weil das Gelingen der Fernsehübertragung Vorrang vor dem Geschehen im Saal
hat, wird ein etwa zehn Minuten währender Teil der Gala wiederholt. Jan
Josef Liefers, der Moderator, ist also noch einmal in einem Clip zu sehen,
wie er, als Hotdog verkleidet, Jürgen Vogel begegnet, in ihm einen Rivalen
erkennt und ihn ausbootet, er kommt noch einmal auf die Bühne, wiederum im
Hotdog-Kostüm, er reißt sich noch einmal das Brötchen, die Wurst und den
Ketchup vom Leib, er singt noch einmal die kurzen Musikstücke nach
bekannten Melodien, zum Beispiel „Hey Jack, lauf doch nicht weg“ nach der
Melodie von „Hey Jude“, bis schließlich jede der sechs Produktionen, die in
der Kategorie bester Spielfilm nominiert sind, ihr Ständchen bekommen hat,
und er ruft noch einmal die Laudatoren auf die Bühne, die vor drei Stunden
die erste Lola überreicht haben, Charly Hübner und Milan Peschel.
Alle, mit denen ich später auf der Party darüber spreche, fürchten in
diesem Augenblick, dass Peschel und Hübner tatsächlich noch einmal um die
Ecke biegen, dass alles wieder von vorne beginnt und man gefangen ist
zwischen den rigide aufragenden Wänden und den furchteinflößenden rechten
Winkeln des Palais, in einer Zeitschleife, die niemals endet.
Und wer weiß, vielleicht ist es ja ein gutes Zeichen, wenn es der deutschen
Filmakademie und der von ihr ausgerichteten Gala gelingt, einen in einen
Zustand zu versetzen, in dem der sichere Boden der Wirklichkeit für einen
Augenblick zu beben beginnt, weil man sich plötzlich alles vorstellen kann,
oder wenn schon nicht alles, so doch zumindest den Einbruch der Fiktion in
die wirkliche Welt. Dann bleibt dieser Einbruch doch aus, und der Abend
beginnt nicht von vorn, sondern geht seinem Ende entgegen, was auch gut
ist, schließlich sind alle im Saal ein wenig entkräftet.
## Souveräner als sonst
Mit der bronzenen Lola wird „Zeit der Kannibalen“ (Regie: Johannes Haber)
geehrt, mit der silbernen „Jack“ (Regie: Edward Berger), und mit der
goldenen „Victoria“ (Regie: Sebastian Schipper). Es ist die sechste Lola
für diesen Film, der damit der eindeutige Gewinner des Abends ist; Laia
Costa wurde zuvor als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet, Frederick Lau
als bester Hauptdarsteller, Sebastian Schipper als bester Regisseur, Sturla
Brandt Grøvlen als bester Kameramann und Nils Frahm als bester Filmmusiker.
Nichts anderes war zu erwarten, besitzt „Victoria“ doch das „Quäntchen
jener wilden Verwegenheit“, von dem die Staatsministerin Monika Grütters
anfangs in ihrer kurzen Rede schwärmte. Dass die mehr als zwei Stunden
währende, in einem Take gedrehte Kraftanstrengung, die von vier Berliner
Driftern und einer spanischen Drifterin erzählt, die im Morgengrauen in
einen Bankraub schlittern, den Geschmack der 1700 Akademiemitglieder
trifft, war von Anfang an spürbar.
Wenn man an zurückliegende Filmpreis-Verleihungen denkt, fällt auf, dass
diese, obwohl sie die Geduld strapaziert, souveräner wirkt. Weitgehend
verzichtet wird auf den seltsam passiv-aggressiven Tonfall, den so viele
Laudatorinnen und Moderatoren in den Vorjahren an den Tag legten, auf die
unglückliche Mischung aus Ironie und Missgunst, deren Bemühen um Witzigkeit
dem Feiern stets im Wege stand.
Doch das täuscht nicht darüber hinweg, dass mit den Rahmenbedingungen etwas
im Argen liegt, seit sich das Bundesministerium für Kultur und Medien dazu
entschlossen hat, das Preisgeld in Höhe von fast drei Millionen Euro direkt
der Filmakadmie zukommen zu lassen, damit sie es an sich selbst verteile.
Eine Filmförderung, die sich einem kulturellen, einem künstlerischen
Auftrag verpflichtet fühlt, ist und bleibt etwas anderes.
20 Jun 2015
## AUTOREN
Cristina Nord
## TAGS
Deutscher Filmpreis
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