# taz.de -- Deutscher Filmpreis: Barfuß auf die Bühne | |
> Am Freitag wurde der Deutsche Filmpreis verliehen: auch an Sibel Kekilli | |
> und Michael Haneke. Christoph Waltz überreichte die "Lolas", Frau Merkel | |
> war auch da. Nur künstlerische Extravaganz fehlte. | |
Bild: "Ich, Schauspielerin, weiblich, Spielalter von 23 bis 30, bin an guten St… | |
Als Christoph Waltz den Friedrichstadtpalast gegen Mitternacht verlässt, | |
spielt der DJ einen Hit von Eurythmics. "Sweet Dreams are made of this/ Who | |
am I to disagree?" Am Ende des Roten Teppichs stehen etwa 40 Schaulustige | |
und ein paar Polizisten, Hände strecken sich dem Schauspieler entgegen, er | |
schüttelt sie, gibt Autogramme. Zwei Stunden vorher, während der Gala zur | |
Verleihung des Deutschen Filmpreises,hatte Waltz einen der Preise | |
überreicht. Kaum stand er auf der Bühne, begann er in der ihm eigenen | |
Umständlichkeit, sein Unbehagen an dem Begriff "beste weibliche Hauptrolle" | |
zu erläutern. Der Superlativ mache vergessen, wie unterschiedlich und auf | |
je eigene Art überzeugend die nominierten Darstellerinnen seien. Bevor er | |
seine Skrupel weiter ausführte, war Sibel Kekillis Name schon gefallen. Die | |
Schauspielerin zog sich die hohen Schuhe aus, hastete auf die Bühne, rang, | |
sichtlich überrascht, mit den Worten. Was sie nicht daran hinderte, | |
deutlich zu sagen, dass sie nicht noch einmal mehrere Jahre auf ihre | |
nächste Hauptrolle warten wolle. "Ich, Schauspielerin, weiblich, Spielalter | |
von 23 bis 30, bin an guten Stoffen interessiert", rief sie. "Ich will | |
arbeiten!" | |
Der Preis für Sibel Kekilli für ihre Rolle in Feo Aladags Drama "Die | |
Fremde" war tatsächlich eine Überraschung an einem Abend, der sonst nicht | |
viele Überraschungen bereit hielt. Denn in steter Folge gingen die Preise | |
an Michael Hanekes Schwarzweißfilm "Das weiße Band"; in insgesamt zehn | |
Kategorien reüssierte diese virtuos gemachte Erforschung von Gewalt und | |
Macht in einem preußischen Dorf am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Warum | |
nun ausgerechnet Susanne Lothar, die Hauptdarstellerin bei Haneke, keine | |
Auszeichnung bekam? Ihr Auftritt als gedemütigte Haushälterin und Geliebte | |
des Dorfarztes war nun wirklich preiswürdig. Vielleicht wollten die | |
Akademiemitglieder wenigstens in einer der wichtigen Kategorien für | |
Abwechslung sorgen, vielleicht lag es auch daran, dass "Die Fremde" von der | |
Unterdrückung und Bedrohung einer jungen Deutschtürkin durch ihre eigene, | |
traditionsverhaftete Familie erzählt. Der Film greift ein Thema auf, das | |
als gesellschaftlich relevant gilt und gehört zu jenem vordergründig | |
politischen Kino, das weniger Zweifel denn Gewissheit stiftet: Die Anderen | |
sind rückständig und gewalttätig, wir, die wir den Film sehen, bekommen das | |
gute Gefühl, liberal und fortschrittlich zu sein. | |
Aber zurück zu "Das weiße Band". Auf Hanekes Film entfielen unter anderem | |
die Preise für die beste Regie, das beste Drehbuch und den besten Film. | |
Geradezu routiniert freuten sich der österreichische Regisseur sowie der | |
Produzent Stefan Arndt über Geld und Anerkunng. Kein Wunder, sie haben | |
Übung: "Das weiße Band" gewann im Verlauf der letzten elf Monaten die | |
Goldene Palme in Cannes, mehrere Europäische Filmpreise und war außerdem in | |
zwei Kategorien für den Oscar nominiert. Bevor Bernd Neumann, der | |
Staatstminister für Kultur, den Hauptpreis überreichen sollte, sagte er: | |
"Es ist wirklich spannend." Das brachte ihm einige Lacher ein. Denn dass | |
"Das weiße Band" die Goldene Lola erhalten würde, war spätestens da absolut | |
klar. | |
Die Verleihung hatte also etwas Vorhersehbares. Sicher, die Pointen der | |
Moderatorin Barbara Schöneberger waren, solange sie nicht von ihrer | |
fortgeschrittenen Schwangerschaft sprach, immer wieder wunderbar | |
respektlos. Ob man der Lola nicht einen internationalen Namen geben könnte, | |
fragte sie, da doch so viele der nominierten Filme internationale | |
Koproduktionen seien. "The Golden Lola" zum Beispiel, aber das, so | |
Schöneberger, "versteht dann wieder unser Außenminister nicht." Angela | |
Merkel machte ein etwas unglückliches Gesicht, als sie das hörte; sie saß | |
zwischen Bernd Neumann und Bernd Eichinger, der am Freitag abend den | |
Ehrenpreis für herausragende Verdienste um den deutschen Film entgegenahm. | |
Schöneberger war es auch, die am Ende, als Angela Merkel im Begriff war, zu | |
ihrem Sitz zurückzukehren, herrschte: "Frau Merkel, Sie werden jetzt nicht | |
die Bühne verlassen." Und Angela Merkel machte brav kehrt. | |
Aber worum geht es beim Filmpreis? Um die Vergabe von 2,85 Millionen Euro | |
Fördergeld aus dem Bundesministerium für Kultur an Filmschaffende, damit | |
diese neue Projekte entwickeln und verwirklichen können. Man muss Angela | |
Merkel dankbar sein für die Klarheit in ihrer kurzen Rede: Dieses Geld | |
gehört nicht der Akademie, es handelt sich um Steuergelder. Die Filmbranche | |
kann in Deutschland produktiv sein, weil sie sich aus zahlreichen | |
Fördertöpfen bedient, und einer ist der Filmpreis. | |
Gegen diese Alimentierung ist erst einmal nichts einzuwenden, wohl aber | |
dagegen, wie die Gelder eingesetzt werden. Seit 2005 entscheidet die | |
Akademie in einem mehrstufigen Auswahlverfahren, wer ausgezeichnet wird, | |
zuvor war es eine vom BKM bestellte Jury. Vor fünf Jahren wurde noch | |
kontrovers diskutiert, ob es legitim ist, dass die öffentlichen Gelder so | |
umstandslos an die Branche gehen, die sie dann selbst unter sich verteilt. | |
Heute stellt dies kaum jemand mehr in Frage, vermutlich allein schon | |
deshalb nicht, weil das alte Verfahren zu ganz ähnlichen | |
Konsensentscheidungen führte wie die Voten der Akademie. | |
Trotzdem zeigen die zehn Preise für "Das weiße Band", dass etwas im Argen | |
liegt. | |
Ginge es tatsächlich darum, zukünftige Filmprojekte zu fördern, bräuchte es | |
einen Modus, der die nicht sowieso schon erfolgreichen Filme stärker | |
berücksichtigt. Reinhold Vorschneiders Kamera in Benjamin Heisenbergs Film | |
"Der Räuber" ist großartig - warum kann sie nicht mit einem Preis belohnt | |
werden? Maren Ades Beziehungsfilm "Alle Anderen" ist auf eine viel | |
subtilere Weise politisch als "Die Fremde" - warum kann das nicht honoriert | |
werden? Ganz zu schweigen von all dem, was überhaupt nie vorkommt - Romuald | |
Karmakars oder Thomas Heises Dokumentationen und Essays beispielsweise, die | |
es nie in die engere Auswahl schaffen. | |
Die Filmakademie versteht sich zwar als Vertretung des gesamten deutschen | |
Film, grenzt sich aber immer wieder gegen alles ab, was ihr zu spröde und | |
zu sperrig erscheint. Der Autorenfilm der 70er Jahre ist kein positiver | |
Bezugspunkt, das wurde spätestens deutlich, als Senta Berger und Günter | |
Rohrbach, die scheidenden Akademie-Präsidenten, die Laudatio auf Bernd | |
Eichinger hielten und dabei dessen Anti-Autoren-Politik positiv | |
hervorhoben. Der Autorenfilm der Gegenwart wiederum ist nur dann | |
preiswürdig, wenn er wie "Das weiße Band" bereits überall mit Anerkennung | |
und Preisen überschüttet wurde. Warum tut sich die Akademie so schwer mit | |
dem, was nicht konsensfähig ist, warum sieht sie rot, sowie sie es mit | |
Kunst und Kritik zu tun bekommt? Im vergangenen Jahr etwa hätte sie, statt | |
Vicco von Bülow den Ehrenpreis zu verleihen, den inzwischen verstorbenen | |
Werner Schroeter ehren können. Das wäre ein Zeichen gewesen: Man | |
verschließt sich der künstlerischen Extravaganz nicht. Man erkennt an, dass | |
es da draußen eine Welt jenseits des gefälligen Arthouse-Kinos gibt. | |
Solange die Filmakademie zu dieser Integrationsleistung nicht in der Lage | |
ist, steht es nicht gut um ihre Legitimation, die Preisgelder zu verleihen. | |
25 Apr 2010 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Deutscher Filmpreis | |
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