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# taz.de -- Waldbrände im Pantanal in Brasilien: Plaudernde Brüllaffen
> Es lohnt sich in diesen Corona-Zeiten, seine Reisenotizen zu
> durchstöbern. Dabei wird klar, dass so manch ein Naturparadies vermutlich
> keins mehr ist.
Bild: Ein Jaguar in dem von Waldbränden betroffenen Pantanal
Mein Vater liebte es, zu verreisen. Von jeder Tour brachte er ein volles
Notizbuch mit. „Geistige Notration für schlechte Zeiten“, erklärte er, und
wir Kinder schüttelten den Kopf. Als er alt wurde, machten seine Beine
nicht mehr mit. Doch nun saß er Tag für Tag an seinem Schreibtisch,
studierte seine alten Aufzeichnungen und durchlebte glücklich jede Fahrt
ein zweites Mal. Auch heute herrschen ungute Zeiten in Sachen Reisen. Doch
auch ich habe über die Jahre Notrationen gesammelt. Und ich teile sie gern.
Damit wir nicht vergessen, warum wir gereist sind. Und wieder reisen
werden.
„Stahlblaue Morpho-Schmetterlinge trudeln vorbei, als das Kanu den Rio
Negro hinuntergleitet. Aus dem vielfältigen Grün des Uferwaldes leuchten
knallgelb die Blüten des Ipe-Baumes. Familien stoischer Wasserschweine,
überdimensionierten Hamstern nicht unähnlich, wühlen im Schlamm und tauchen
erst spät und mit empörtem Husten ab. Ein Schlangenhalsvogel sitzt wie
gemeißelt im Baum, schwarz-weiße Scherenschnäbel schnappen in rasendem Flug
einen Fisch aus dem Wasser. Farbenprächtige Hühnervögel mit schönen
deutschen Namen wie Nachtgesichthokko und Halsringwehrvogel picken im Sand.
Alljährlich von November bis März füllt der Regen im Südwesten Brasiliens
eine flache Riesenbadewanne von fast der Größe Rumäniens, das Pantanal. Die
Flüsse schwellen an, glucksend und brausend füllen sich die Senken,
schließlich stehen bis zu vier Fünftel des Landes unter Wasser, ein
amphibisches Paradies, aus dem einzelne Baumgruppen und Hügel ragen.
Ab Juni verdunstet das Wasser.Dann wird es höchste Zeit für die Fische,
rechtzeitig Flüsse oder Seen zu erreichen – kulinarische Festtage für
Kaimane, denen an immer schmaler werdenden Rinnsalen die Leckerbissen in
den aufgesperrten Rachen schnellen. Wie Dutzende dunkle Knubbel ragen ihre
Augen knapp über die Wasseroberfläche. Kommt man ihnen zu nahe, tauchen sie
ab. Bis zu zweieinhalb Meter lang werden sie, Fischfresser allesamt, die
freiwillig Strand und Flussabschnitt räumen, wenn Homo sapiens sich zum Bad
begibt.
Seltener ist da schon der Tapir. Schwarzglänzend und kompakt wie eine
kleine Lokomotive entsteigt er seinem Morgenbad. Gefährlich ist er nicht.
Gefährlicher sind die Pekaris, die vor ein paar Stunden vorbeigezogen sind,
wie der Gestank immer noch verrät. Eine Art Wildschweine, die mit ihren
mächtigen Hauern sogar Pferde angreifen. Noch gefährlicher sind bloß die
wilden Bienen.
Eine Nasenbärenfamilie schnüffelt am Fuß der Bäume, pfiffige Gesichter mit
langen Nasen und weißumrandeten Augen, den Schwanz immer schön steil nach
oben gereckt. Zwei Schildkröten kopulieren, am tiefsten Punkt einer
sandigen Scharte ringelt sich ein Gerippe: „Anakonda“, sagt der Führer.
„Verhungert.“ Von fern dringt ein Brausen, wie aufkommender Sturm: Die
Brüllaffen plaudern miteinander.
## Ein stolzierendes Wahrzeichen
Und überall sind Vögel. Mit schnarrendem „Arra arra“, das Gefieder
schimmernd in fast unglaublichem Metallic-Blau, fallen vier Hyazinth-Aras
in einen Manduvi-Baum ein. Ein Nandu-Vater führt seine 21 Küken spazieren
und zeigt ihnen schon mal, wie man Schlangen aufgreift. Ibisse sicheln mit
gebogenen Schnäbeln durch den Schlamm, Geier zerren an einem Pferdekadaver
und ein Jabiru-Storch, der größte der Welt und das Wahrzeichen des
Pantanal, stolziert auf und ab. Rotstirnblatthühnchen trippeln übers
leichte Grünzeug wie der Heiland weiland übers Wasser. „Kleiner Jesus“
nennen sie sie deshalb auch, „Jesus meninho“. 365 Vogelarten wurden bisher
im Pantanal gezählt, von 1.784, die man in Brasilien kennt.
Und der Jaguar? Ach ja, der Jaguar. Plötzlich ist er da. Verharrt
überrascht 30 Meter weiter vorn auf einem schmalen Uferstreifen am Fluss.
„Onca“, sagte der Bootsführer, fast ehrfürchtig. Er hat seinen letzten vor
fünf Monaten gesehen, bei seinem Kollegen liegt die Begegnung über ein Jahr
zurück. Eine schön gefleckte, alles andere als niedliche Katze steht da,
eingefroren für einen Moment, sehr kompakt, sehr muskulös, sehr real. Zwei,
drei geschmeidige Sätze dann, schon ist sie im Grün verschwunden.“
Und [1][jetzt brennt auch das Pantanal].
3 Oct 2020
## LINKS
[1] /Extreme-Trockenheit-in-Brasilien/!5713407
## AUTOREN
Franz Lerchenmüller
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