Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kinofilm „David Copperfield“: Die wahren Helden der Geschichte
> Armando Iannucci hat „David Copperfield“ mit viel Humor und ungewohnter
> Besetzung verfilmt. Der Brite erzählt den Stoff straff und episodenartig.
Bild: Wessen Geschichte soll das sonst sein? David Copperfield (Dev Patel)
Ob er am Ende als der Held seiner eigenen Lebensgeschichte dastehen wird,
oder ob andere diesen Platz einnehmen werden, fragt sich David Copperfield
im ersten Satz des Romans, der seinen Namen trägt. Auf den Leser des 21.
Jahrhunderts wirkt das wie viktorianische Geziererei, schließlich steht der
Name im Titel, und die Person, die sich so nennt, erzählt als „Ich“ –
wessen Geschichte soll das sonst sein?
Der Brite [1][Armando Iannucci] lässt seine Kinoadaption damit beginnen:
Sein Held, gespielt von dem einstigen „[2][Slumdog Millionär“ Dev Patel,]
spricht den Satz als Auftakt eines Vortrags, den er vor den Rängen eines
Theaters hält. Allerdings haben Kameraschwenks über das Publikum hinweg
etwas offenbart, das dem Satz eine andere Wendung gibt: Im radikalen Bruch
mit der Tradition, dass die Kostüme in Kostümfilmen mehrheitlich den weißen
Menschen vorbehalten sind, befinden sich hier Hautfarbtöne aller
Schattierungen.
Wer jetzt schreit: „Historisch unkorrekt!“ – hat nie länger über den er…
Romansatz nachgedacht und was er bedeutet, sowohl für die Geschichte von
Copperfield als auch für die des 19. Jahrhunderts, die Dickens einfangen
wollte.
Das „farbenblinde“ Casting dient noch zu etwas anderem als der höheren
historischen Gerechtigkeit: Es ist eine Einladung, der Fantasie und damit
auch dem Humor mehr Raum zu geben für eine Erzählung, die oft durch die
Elendsmotive des Frühindustrialismus mit Kinderarbeit, Schuldenturm und
unüberwindbaren Klassengegensätzen niedergedrückt wird.
## Spurt zur Geburt
So nimmt bei Iannucci im flotten Tempo David Copperfields Erzählung ihren
Lauf – buchstäblich sieht man in der nächsten Szene Menschen rennen, die
rechtzeitig zu Davids Geburt bei seiner Mutter sein wollen, darunter Tante
Betsey (Tilda Swinton), die wieder kehrtmacht, als sie erfährt, dass statt
der von ihr gewünschten Nichte ein Neffe auf die Welt kam.
Die Sache mit den Hautfarben wirbelt die Besetzung im Folgenden so
durcheinander, dass daraus kein bloßer Gag wird, sondern eine Schärfung der
einzelnen Persönlichkeiten. Die schwarze Nikki Amuka-Bird als hochmütige
Mutter des blassweißen Holladri Steerforth (Aneurin Barnard)? Die mangelnde
genealogische Konsequenz hebt ihre Arroganz umso deutlicher hervor.
Iannucci und sein Koautor Simon Blackwell haben den Roman auf Episoden
verdichtet, die dem Film etwas ungewohnt Sketchartiges verleihen. Statt mit
dem langen Atem des Bildungsromans wird in Form einer Nummernrevue erzählt,
und das macht sichtbar, was im Stoff angelegt war: Dass die wahren Helden
dieser Geschichte die Nebenfiguren sind, die auftauchen, verschwinden und
wiederkehren.
## Eine Karriere erschreiben
Charaktere wie Pegotty (Daisy May Cooper), die Kinderfrau mit den groben
Fingern und schiefen Sprachbildern. Oder Mr Micawber (Peter Capaldi), der
ewige Schnorrer, der unerschütterlich an die nächste Chance glaubt. Besagte
Tante Betsey, die hinter einer starren Fassade große Güte versteckt, und
ihr Mr Dick (Hugh Laurie), dessen manifester Wahnsinn David mit
Drachensteigen erfolgreich therapiert. Und der schmierige Uriah Heep (Ben
Whishaw), der jede Raumtemperatur absenkt.
Sie sind mal beteiligt an Copperfields Auf- und Abstieg und mal dessen
„Kollateralschaden“. Aber schlussendlich, Iannucci illustriert das, indem
er die ihnen zugesprochenen Zitate als handgeschriebene Notizen im Blick
behält, sind sie das Fundament, auf das Copperfield seine Karriere gründet:
das Schreiben.
Selten hat man die Erkenntnis, dass „David Copperfield“ der
„autobiografischste“ der Romane von Dickens sei, so spielerisch umgesetzt
gesehen: Am Ende übergibt Copperfield Mr Micawber einen Tantiemenscheck –
der den alten Trickster sichtlich wieder auf Ideen bringt.
23 Sep 2020
## LINKS
[1] /Filmkomoedie-The-Death-of-Stalin/!5492609
[2] /Kinostart-Slumdog-Millionaer/!5166118
## AUTOREN
Barbara Schweizerhof
## TAGS
Spielfilm
Romanverfilmung
England
Industrialisierung
Humor
Diversität
Kostümfilm
Fake News
Türkischer Film
Spielfilm
Frauen im Film
## ARTIKEL ZUM THEMA
Balzac-Verfilmung „Verlorene Illusionen“: Als Fake News noch Enten waren
Regisseur Xavier Giannoli hat Balzacs Roman „Verlorene Illusionen“
verfilmt. Sein Porträt Pariser Journalisten vor 200 Jahren ist aktuell.
Ceylans Film „The Wild Pear Tree“: Der Brunnen will kein Wasser geben
Keine Angst vor Meisterwerken: Nuri Bilge Ceylans vielstimmig und
multiperspektivisch inszenierter Film „The Wild Pear Tree“.
Komödie „Rettet den Zoo“ im Kino: Der Colabär hat Durst
Die südkoreanische Komödie „Rettet den Zoo“ startet im Kino. Statt echter
Tiere schlüpfen darin die Angestellten in Kostüme – und saufen Limo.
Oscar-Kandidat „The Favourite“: 300 Jahre vor #MeToo
Der Film „The Favourite“ stellt drei Frauen und ihre Erfahrungen ins
Zentrum. Das Ränkespiel ist für zehn Oscars nominiert.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.