Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Filmkomödie „The Death of Stalin“: In Russland verboten
> Die gründlich recherchierte Farce „The Death of Stalin“ von Armando
> Iannucci provoziert Realsatire. So sehr, dass sie in Russland nicht
> gezeigt werden soll.
Bild: Molotow, Malenkow, Wassili Stalin, Chruschtschow und Beria
Bis vor Kurzem war es schwer vorstellbar, dass ein Film über den Tod von
Stalin heute noch Schlagzeilen provozieren könnte. Immerhin ist das Ganze
65 Jahre her. Das Land, in dem der „Vater der Völker“ seine
Terrorherrschaft ausübte, hat sich aufgelöst und vom Sozialismus
verabschiedet. Warum sollte sich irgendjemand aufregen über einen Film, der
die Ereignisse rund um seinen Tod 1953 zeigt? Zumal als Komödie und nicht
etwa als Enthüllungsdokumentation? Über einen Film, den ein schottischer
Regisseur mit einem Starensemble aus britischen und amerikanischen Akteuren
inszeniert hat?
Nun, es fand sich jemand, und zwar in Form einer Gruppe von
Kulturschaffenden und Duma-Abgeordneten, denen das russische
Kulturministerium Armando Iannuccis „The Death of Stalin“ drei Tage vor dem
geplanten Kinostart Ende Januar in Russland zeigte. Einige davon – zu ihnen
gehörte unter anderem der Regisseur Nikita Michalkow – waren nach der
Sichtung so empört, dass augenblicklich ein offener Brief an den
Kulturminister verfasst wurde, in dem sie darum baten, die bereits erteile
Verleihlizenz zurückzunehmen – was prompt geschah.
Im Brief war die Rede davon, dass der Film „extremistische“ Informationen
enthalte, die dazu angetan seien, die „Würde des russischen (sowjetischen)
Menschen“ zu beleidigen. Ein solches Werk am Vorabend des 75. Jubiläums der
Schlacht um Stalingrad zu veröffentlichen, wäre fast so, als würde man den
Opfern und Überlebenden „ins Gesicht spucken“. Mit anderen Worten: Der
Brief las sich wie eine Realsatire auf sozialistische Zeiten, in denen
vorgeblich die Arbeiter selbst die Zensur und Schlimmeres herbeiwünschten,
damit ihre Würde gegenüber den Volksfeinden gewahrt wurde.
Der russische Wikipedia-Eintrag zählt weitere Reaktionen zum Film auf, die
sich wie Realsatire lesen: Der Urenkel Stalins etwa, der ihn nicht gesehen
hat, aber der strengen Meinung ist, dass sich nur „Unmenschen“ über den Tod
lustig machen. Der Sohn Chruschtschows, der die Geschichte seines Landes
verzerrt dargestellt und die Jugend dadurch gefährdet sieht. Andere
beklagen sich über die Brutalität des Films und sehen ihn als beispielhaft
für den „ideologischen Kampf“, der gegen Russland geführt werde.
## Filmpremiere in Moskau
Wenn die Russen einen vergleichbaren Film über die britische Königsfamilie
drehen würden, so hieß es in der Zeitung Iswestija, würde man den doch auch
nicht in Großbritannien zeigen. Übrigens fand eine Premiere des Films in
Moskau am 25. Januar trotzdem statt – vielleicht hatte man vergessen, dem
Kinobetreiber über den Lizenzentzug Bescheid zu sagen.
So traurig das alles in seiner unfreiwilligen Komik anmutet – als
Einstimmung auf Iannuccis Film eignet sich die Farce um den russischen
Kinostart hervorragend. Die Struktur der Argumente, das dichotomische
Denken in Freund und Feind, in „wir“ und „sie“, die permanente Bereitsc…
zum Beleidigtsein besonders auf dem heiklen Gebiet des Humors – all das
findet man in „The Death of Stalin“ wieder, als bestens recherchierte
historische Realität und mit einem Gusto ausagiert, wie man ihn sonst nur
auf der Bühne erleben kann.
Der Film beginnt mit Zwangslagen, die für das Leben unter Stalin typisch
waren. Der Musikmanager Andreyev (Paddy Considine) befindet sich in einer
solchen, als er nach einem im Radio übertragenen Konzert von Stalin um die
Aufzeichnung davon gebeten wird. Dummerweise wurde aber gar nicht
aufgezeichnet. Das Konzert muss also wiederholt werden, und zwar sofort und
vor Publikum, damit alles gleich klingt und der Generalissimus nichts
merkt. Man spielt um sein Leben.
In ähnlich permanenter Angst befinden sich auch die Politbüromitglieder,
die sich mit Stalin (Adrian McLoughlin) die Nächte um die Ohren schlagen
müssen. Keiner traut sich zu gehen, solange der Mann mit dem Schnurrbart
nicht die Tafel aufhebt. Zwar scherzt man laut und grob vor sich hin, über
heikle Themen wie Folter und Deportation, aber Chruschtschow (Steve
Buscemi) führt mithilfe seiner Frau Nina (Sylvestra Le Touzel) später ein
genaues Protokoll darüber, worüber Stalin tatsächlich gelacht hat.
Bald nutzt ihm das nicht mehr, denn Stalin erleidet beim nächsten
Lachanfall einen Hirnschlag – und da er kurz zuvor alle kompetenten Ärzte
hat erschießen oder ins Lager stecken lassen, kann ihm keiner mehr wirklich
helfen.
## Bösartig, blind und feige
Der mit der Reihenfolge der historischen Ereignisse etwas frei umgehende
Plot stammt aus der französischen Graphic Novel von Fabien Nury und Thierry
Robin. Wo die Vorlage die habituelle Grausamkeit der Todesumstände und des
Machtkampfs um die Nachfolge mit comichafter Detaildeutlichkeit und
Düsternis ausstellte, hebt Iannucci in seiner Verfilmung die individuelle
Bösartigkeit, Blindheit und Feigheit dieser mächtigen Männer hervor, die
allesamt Blut an ihren Händen haben.
Allen voran der Geheimdienstchef Beria, den der herausragende Simon Russell
Beale mit verführerisch schlauer, glatter Eleganz gibt. Steve Buscemi legt
als gestresster Chruschtschow, den alle fahrlässig unterschätzen, eine für
den Darsteller ungewohnte Durchsetzungskraft an den Tag. Doch wie einer der
russischen Kritiker ganz korrekt schrieb: Es gibt hier keine einzige
positive Figur.
Einer der großen Kunstgriffe Iannuccis besteht darin, dass er seine
Schauspieler nicht „russisch“ spielen lässt. Man hört keine gefaketen
Akzente, keine eingeflochtenen Russismen, kein „Nasdrowje“ oder
„Väterchen“. Wenn Stalin sein Politbüro nächtens zur Sichtung eines
„Cowboyfilms“ einlädt, fragt er verschmitzt, wer in seinem „Suchtrupp“
mitmache. Mit der Bemerkung, er sei kein Clark Gable, stichelt
Chruschtschow gegen die Ambitionen des eitlen Malenkow (Jeffrey Tambor).
Der wiederum zeigt sein ideologisches Geschick, indem er ein dahingesagtes
„No problem!“ wenig später als „No!! (It’s a) Problem!!“ verstanden …
will.
Auch dem Rest der Truppe perlt der schnelle, böse, anglophone Humor nur so
über die Lippen. Wer die britische Serie „The Thick of it“ oder deren
amerikanische Variante „Veep“ gesehen hat, beide unter Iannuccis
Federführung entstanden, wird mit dem Stil vertraut sein. Wie Macht sich in
Sprache manifestiert, wie ein schneller Scherz zur Seite ein Gegenüber
kaltstellt oder wie man mit tabubrechender Vulgarität Verbündete in den
Gehorsam zwingt, das weiß niemand besser in Dialoge zu fassen als der
gebürtige Schotte.
## Die Szenen entfalten sich zur Groteske
Das Seltsame dabei ist, und auch das mag vielen in „Veep“ und in „The Thi…
of it“ schon ähnlich ergangen sein: Wirklich zum Ablachen ist der Film
nicht. Abgesehen von ein paar Wortwitzen und ein wenig Situationskomik
funktioniert „The Death of Stalin“ weniger als gag-getriebene Komödie denn
als bittere Farce. Das Timing ist komödiantisch flott, die Szenen entfalten
sich zur Groteske, die Figuren sind Karikaturen, aber all das macht die
Gewalt, um die es geht, nicht „verdaulicher“, sondern im Gegenteil: Sie
wird erst recht in ihrer absurden Monstrosität sichtbar.
Erschreckend viel von dem, was Iannucci wie als Hintergrund-„Gag“
inszeniert, ist übrigens historisch verbürgt: die nächtlichen Gelage bei
Stalin, dem Western-Fan, genauso wie die Tatsache, dass Kinder ihre eigenen
Eltern dem NKWD auslieferten oder Molotow Stalin weiter lobte, als der
seine Ehefrau verhaften ließ.
Ja, Wassili Dschugaschwili wollte tatsächlich dem eigenen Vater den
Flugzeugabsturz des Eishockey-Nationalteams verschweigen, und es stimmt,
dass NKWD-Chef Beria in Serie junge Frauen vergewaltigte. Was nicht stimmt:
dass Iannucci mit „The Death of Stalin“ auf Trump antworten wollte; der
Film war schon vor dessen Wahl so gut wie fertig. Dass man ihn nun – wie in
Russland selbst – als höchst aktuellen Kommentar sieht, hat mit der
unbedingten, prinzipienhaften Respektlosigkeit zu tun, mit der Iannucci die
Mechanismen der Macht entlarvt – die manchmal viel Hirn und Intrige
erfordern, manchmal aber auch nur einen Schlag ins Gesicht.
28 Mar 2018
## AUTOREN
Barbara Schweizerhof
## TAGS
Russland
Stalin
Film
Spielfilm
Kino
Sozialismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Australischer Western „Sweet Country“: Lektionen in Demut
Soziale Verschiebungen im Blick: Warwick Thorntons australischer Western
„Sweet Country“ erzählt detailreich von einen Aborigine-Farmhelfer.
Kinofilm „Arrhythmia“: Russische Herzrhythmusstörungen
Die Frau ist weg, das Herz schmerzt – Oleg greift zur Flasche, wieder und
wieder. In „Arrhythmia“ zeigt Boris Khlebnikov direkten, trockenen
Realismus.
Internethumor mit alten Männern: Sozialismus Superstars
Im Internet tauchen alte Ikonen als Memes auf. 30 Jahre nach dem Ende der
UdSSR scheint Sozialismus wieder in zu sein. Ist das etwa schon Protest?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.