# taz.de -- Gerichtsprozess wegen Kirchenasyl: Mutter Mechthild muss vor Gericht | |
> Äbtissin Mechthild Thürmer folgte dem Gebot der Nächstenliebe und | |
> gewährte geflüchteten Frauen Kirchenasyl. Dann kam der Strafbefehl. | |
Bild: Will helfen und soll dafür bestraft werden: Äbtissin Mechthild Thürmer | |
KIRCHSCHLETTEN taz | Mutter Mechthild sieht nicht aus wie eine, die mit | |
einem Bein im Knast steht. Flott, aber ohne | |
Geschwindigkeitsüberschreitungen fährt sie mit ihrem himmelblauen | |
Mitsubishi Space Star durch die oberfränkische Landschaft. Am Vormittag war | |
sie noch drüben in Zapfendorf in der Schule, hat Religionsunterricht | |
gegeben. Es regnet, ist kalt und ungemütlich. Den Regen, den hätten sie | |
hier schon etwas früher gebrauchen können. Die Benediktinerin erzählt von | |
dem trockenen Sommer, unter dem sie hier wie in ganz Franken gelitten | |
hätten. Die Salaternte – ein totaler Reinfall. | |
Kaum hat sie den Wagen geparkt, führt sie auf direktem Weg in die | |
Klosterkirche – der größte Stolz der Nonnen von Kirchschletten. In den | |
Siebzigern haben sie die damals noch überwiegend philippinischen Nonnen zum | |
Teil in Handarbeit aufgebaut, in einem Seitenflügel des Gebäudes. In dieser | |
Phase ist auch Mechthild Thürmer, damals noch Teenager, zu ihnen gestoßen. | |
Nur mal so zu Besuch, Freundinnen hatten sie mitgenommen. | |
Natürlich haben die Mädchen gleich mit angepackt. „Die Zusammenarbeit mit | |
den Schwestern war unendlich schön, wir haben miteinander Brotzeit gemacht, | |
sind miteinander zum Beten gegangen.“ Und um Mechthild, die damals noch | |
Anna hieß, war es geschehen. „Und dann habe ich eines Tages gesagt: So wie | |
die möchte ich auch werden.“ | |
Nein, es braucht wirklich nicht viel Menschenkenntnis, um zu erkennen, dass | |
die kriminelle Energie der Äbtissin Mechthild Thürmer ein doch sehr | |
überschaubares Ausmaß annimmt. Und doch ist es genau diese Frau, die im | |
Februar plötzlich Post von der Staatsanwaltschaft Bamberg bekam, einen | |
Strafbefehl über 2.500 Euro. Der Vorwurf: Beihilfe zum illegalen | |
Aufenthalt. Und später, Thürmer hatte Widerspruch eingelegt, folgte die | |
Vorladung vor Gericht. | |
Dreimal platzte der Termin, zuletzt weil zu dem ursprünglich angeklagten | |
Fall noch zwei weitere hinzugekommen waren, wie sie das Amtsgericht in | |
einem Schreiben wissen ließ. Und sie solle doch bitte ihr Verhalten | |
überdenken, habe sie der Richter noch gewarnt, und dass ihr andernfalls | |
eine „empfindliche Freiheitsstrafe“ drohe. | |
Ihr Verhalten? Was die Staatsanwälte und offenbar sogar das Amtsgericht an | |
diesem so ungebührlich finden, das dürfte in Mutter Mechthilds Milieu unter | |
christlicher Nächstenliebe laufen: Die Ordensfrau hat Frauen und Männern, | |
die nach Deutschland geflüchtet waren und denen die Abschiebung drohte, | |
[1][Kirchenasyl] gewährt. Über 30 Menschen hat sie so schon geholfen. | |
Erst vor ein paar Tagen seien zwei von ihnen hier gewesen, die inzwischen | |
eine Bleibeperspektive hätten, erzählt Mechthild Thürmer, während sie in | |
dem schlichten Speisesaal des Gästehauses Kaffee einschenkt und | |
Mohnstreuselkuchen reicht. Die eine der beiden Frauen sei fünf Jahre auf | |
der Flucht gewesen. „In [2][Libyen] hat sie erlebt, wie die Kinder, Frauen, | |
Männer reihenweise enthauptet worden sind. Und hat sich gedacht: Vielleicht | |
bin ich die nächste. Das können wir uns nicht vorstellen, was die erlebt | |
haben.“ | |
Die 62-Jährige ist eine konservative Frau, die ihr Kloster mit viel Liebe | |
und Strenge führt. Sie sagt auch Sätze wie „Deutschland kann nicht alle | |
retten“ und ist dafür, dass man denjenigen, die sich nicht integrieren | |
wollten, „sagt, wo’s langgeht“. Aber sie hat eben auch ihre Prinzipien. U… | |
dazu gehört, dass man denen, die in Not sind, hilft. | |
Eigentlich wollte sie in die Entwicklungshilfe gehen, machte deshalb nach | |
der Realschule eine Ausbildung zur Krankenschwester. Aber nachdem sie | |
Kirchschletten kennengelernt hatte, kam für sie nichts anderes mehr in | |
Frage. Aufgewachsen ist sie auf einem kleinen Bauernhof in der Fränkischen | |
Schweiz, nur 50 Kilometer entfernt, als ältestes von sechs Geschwistern. | |
## „Kriminell“ im Idyll | |
2011 wählten sie ihre Mitschwestern zur Äbtissin von Kirchschletten. Neun | |
Schwestern sind sie derzeit noch, die hier beten und arbeiten, wie es das | |
alte Benediktiner-Motto will. Die Standbeine des Klosters sind die | |
ökologische Landwirtschaft, das Gästehaus, die Kerzenmanufaktur und die | |
Lehrertätigkeit der Äbtissin. | |
Noch heute kann sie aus einem Radiobeitrag aus den Siebzigern über | |
Kirchschletten zitieren: „Da lagen sanftnasige Schafe in pastoraler Ruhe | |
hingebettet unterm Apfelbaum.“ Es ist ein friedliches, fränkisches Idyll, | |
in dem Mutter Mechthild ihre angeblichen Straftaten begeht. | |
„Ich weiß es ehrlich nicht.“ Mehrfach sagt die Äbtissin diesen Satz. Sie | |
weiß nicht, warum sie unter Anklage steht, was bei den drei angeklagten | |
Fällen von Kirchenasyl anders gewesen sein soll als sonst. Konkret geht es | |
um eine Eritreerin, eine Irakerin und eine Nigerianerin, die nach der | |
Dublin-III-Verordnung nach Italien und Rumänien hätten abgeschoben werden | |
sollen und die die Schwestern von Maria Frieden zwischen Oktober 2018 und | |
Februar 2020 bei sich aufgenommen haben. Mechthild Thürmer ist überzeugt, | |
dass alle drei Härtefälle sind, dass sie die Frauen etwa vor der | |
Zwangsprostitution bewahrt habe und davor, unter Brücken zu schlafen. | |
Den Strafbefehl zu zahlen, nur um ihre Ruhe zu haben, kommt für sie nicht | |
in Frage – „weil ich mir keiner Schuld bewusst bin“. Angst vor dem | |
Gefängnis habe sie keine, sagt Mutter Mechthild und deutet mit dem Kopf zum | |
vergitterten Fenster: „Gitter habe ich schon 42 Jahre.“ Doch sofort wird | |
sie wieder ernst: „Dann müssten alle verurteilt werden, [3][die je | |
Kirchenasyl gewährt haben].“ | |
## Kirchen vs Bamf? | |
Allerspätestens hier stellt sich die Frage, was es mit diesem Kirchenasyl | |
überhaupt auf sich hat? Die romantische Vorstellung eines Don Camillo, der | |
Menschen auf der Flucht in der Sakristei versteckt, das Kirchenportal | |
verriegelt und seine Gewissenskonflikte allenfalls im Gespräch mit dem | |
Gekreuzigten höchstpersönlich austrägt, hilft hier jedenfalls kaum weiter. | |
Das zeigt sich schon daran, dass Mutter Mechthild, wenn immer sie jemanden | |
aufnimmt, als Erstes die Behörden informiert. | |
Anruf bei Stephan Reichel, dem Vorsitzenden des Vereins matteo, der sich | |
seit 2017 mit dem Thema Kirche und Asyl beschäftigt. „Das Kirchenasyl | |
verfolgt den Zweck, Menschen, die in eine bedrohte Lage kommen – auch durch | |
Defizite im Asylrecht –, den Schutz zu geben, den sie eigentlich | |
bräuchten“, erklärt er. „Es ist aber kein Rechtsinstitut.“ Dennoch gebe… | |
eine ungebrochene Tradition, dass der Staat das Kirchenasyl achte. | |
Im Jahr 2015 gab es eine Vereinbarung zwischen den Kirchen und dem | |
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) unter seinem damaligen Chef | |
Manfred Schmidt, die den Umgang mit dem Kirchenasyl regelte. Darin bekannte | |
sich das Bamf zur Tradition des Kirchenasyls. Die Kirchen ihrerseits | |
sicherten zu, nur bei Härtefällen Kirchenasyl zu gewähren – mit dem Ziel, | |
neue Einzelfallprüfungen zu erreichen. | |
Anfangs funktionierte das System gut, das Bamf nahm rund 90 Prozent der | |
Bescheide nach der Prüfung wieder zurück. Schmidts Nachfolger hielten | |
jedoch offensichtlich nicht viel von dem Papier, Fälle wurden nur noch pro | |
forma geprüft, die Schutzquote sank auf 3 Prozent. Inzwischen geht es daher | |
fast nur noch darum, die Menschen so lange im Kirchenasyl zu behalten, bis | |
die Frist abgelaufen ist, in der Dublin-Abschiebungen zulässig sind. | |
Um diese Frist von 6 auf 18 Monate hochzusetzen, begann das Bamf 2018 | |
damit, Flüchtlinge im Kirchenasyl als untergetaucht zu klassifizieren. Ohne | |
Grundlage, wie das Bundesverwaltungsgericht im Sommer urteilte. Schließlich | |
sei den Behörden der Aufenthaltsort der Geflüchteten bekannt und | |
theoretisch hätten sie Zugriff auf sie. | |
## Eine „bayrische Spezialität“ | |
Dass Staatsanwälte tatsächlich massiv gegen Kirchenleute vorgingen, sei | |
eine bayerische Spezialität, so Reichel. 2017 hätte es unter dem damaligen | |
Justizminister Winfried Bausback eine systematische Aktion gegeben, wonach | |
die Staatsanwälte in ganz Bayern angehalten waren, zunächst gegen | |
Geistliche, die Kirchenasyl gewährten, Ermittlungen aufzunehmen, diese nach | |
einer Vernehmung jedoch wegen geringer Schuld wieder einzustellen. Bei | |
jedem weiteren Fall von Kirchenasyl sollten die Einschüchterungsmaßnahmen | |
verschärft werden. Die Süddeutsche Zeitung berichtete damals über ein | |
entsprechendes internes Schreiben. | |
Der CSU-Politiker wurde inzwischen als Minister ersetzt, sein Nachfolger | |
scheint den Kurs nicht fortzusetzen. Allerdings schließt Reichel nicht aus, | |
dass einzelne Staatsanwälte den Feldzug noch auf eigene Faust weiterführen. | |
So argumentiert die Bamberger Staatsanwaltschaft, die Äbtissin habe sich | |
strafbar gemacht, weil sie das Kirchenasyl fortgesetzt hätte, nachdem das | |
Bamf mitgeteilt habe, dass eine Härtefallprüfung nicht mehr in Betracht | |
komme oder abschlägig beschieden worden sei. Eine Begründung, der Reichel | |
nicht folgen mag: „Die Vereinbarung sah nie vor, dass Kirchenasyle nach | |
negativer Einschätzung durch das Bamf abgebrochen werden müssten.“ Zudem | |
würde die Logik der Staatsanwaltschaft die Rechtmäßigkeit des Kirchenasyls | |
als solches in Frage stellen. | |
„Ich hab’ mal irgendwo den Satz gelesen: Tun, was man kann“, erzählt | |
Thürmer. Sie sei nun mal in der Lage, Kirchenasyl zu gewähren. Andere | |
könnten anders helfen. Dann steigt sie wieder in den blauen Mitsubishi, um | |
den Gast zum Bahnhof zu bringen. Das Autokennzeichen zeigt die Buchstaben | |
„BA-MF“. Irgendwie unvermeidlich, wenn das Kloster Maria Frieden heißt und | |
im Landkreis Bamberg liegt. | |
11 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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