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# taz.de -- Kommunalwahlen in NRW: Erste Frau nach 256 Männern
> Nach den Kommunalwahlen stehen die Chancen gut, dass Aachen die erste
> grüne Oberbürgermeisterin Deutschlands bekommt – ausgerechnet Laschets
> Heimat.
Bild: Sibylle Keupen könnte grüne Oberbürgermeisterin in Aachen werden
Sibylle Keupen? Sibylle Who? Als die Aachener Grünen im Februar ihre
Kandidatin für das Amt des Oberbürgermeisters vorstellten, mussten alle
erst mal nachfragen. Wer ist diese Frau, parteilos zumal, politisch noch
nie aufgefallen? Ach so, sie ist seit über 20 Jahren Leiterin des
Bildungszentrums Bleiberger Fabrik. Die ist in der Viertelmillionenstadt
namentlich durchaus bekannt, aber nicht eben prominent. Und wer außer
Eltern, die ihre Kids zum Töpfern oder Filmedrehen schon dahin schickten,
kannte das Projekt näher? Kaum wer.
Nun gut, man kann sich ja präsentieren. Aber wie sich bekannt machen in
Corona-Zeiten ohne jeden größeren öffentlichen Auftritt?
Keupen, 57, mietete als „Bürger*innentreff“ ein leerstehendes kleines
Ladenlokal – eines von vielen in der dramatisch verödenden Innenstadt – und
stand einfach zur Verfügung. Die Partei powerte offensiv mit
Social-Media-Kampagnen. Als 13 Tage vor der Kommunalwahl die Ergebnisse
einer Infratest-Umfrage in NRW bekannt wurden, war das Staunen noch größer:
35 Prozent gaben an, Keupen bei der Kommunalwahl direkt wählen zu wollen,
NRW-Bestwert. Ausgerechnet Aachen auf dem Weg zur grünen Hochburg, deutlich
vor anderen Hochschulstädten wie Bonn, Bielefeld, Münster, wo die Klientel
immer deutlich ausgeprägter war.
## „Die Politik nach vorne jagen“
Jetzt hat die dynamische Diplom-Pädagogin mit dem grauen Kurzhaarschnitt,
gebürtige Eiflerin, sogar 38,9 Prozent geholt (und über 60 Prozent in den
besten Stimmbezirken) und geht als haushohe Favoritin in die Stichwahl am
27. September. Sie wäre die erste grüne Oberbürgermeisterin
deutschlandweit. Herausforderer ist, zudem knapp, der langjährige
Ratsroutinier der CDU, Harald Baal, mit dünnen 24,8 Prozent. Für Aachen,
die Bischofsstadt, einst tiefschwarz und ein CDU-Selbstläufer, ist das ein
Desasterergebnis.
Nun ist Aachen bekanntlich auch Heimat des möglichen
[1][CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet]. In dessen Wohnbezirk holte Keupen
teils über 50 Prozent, ein Nadelstich extra. Im Stadtrat brach Laschets CDU
um fast zwölf Prozent ein, während die Grünen ihre Stimmen auf 34 Prozent
verdoppelten und mit Abstand stärkste Kraft sind. All diese überraschend
saftigen Erfolge decken sich zum Beispiel mit dem Radentscheid Ende 2019,
dem erfolgreichsten bundesweit. Radfahrerin Keupen will die Verkehrswende
mit vollem Pedaltritt voranbringen. Ein Dienst-Pedelec braucht sie nicht,
„hab ich, seit fünf Jahren, farblich passend in honey-mustard“.
Geflasht sagte sie am Wahlabend, sie müsse sich auf „eine
Wahnsinnsverantwortung für die Zukunft der Stadt“ einstellen, aber sie sei
„glücklich, dass die Bürger den Weg mit mir mitgehen wollen.“ Und wie geht
sie voran? „Die Politik nach vorne jagen“, so Keupen jetzt zur taz, „die
Menschen fühlen sich nicht angehört“, das werde sie massiv ändern. Der
Bürger*innentreff bleibe sowieso.
Keupen hat nachgerechnet. Seit Kaiser Karl hatte Aachen 256
Stadtoberhäupter, ohne Ausnahme männlich. Also: „Es ist jetzt einfach Zeit
für eine Frau.“ Ausgerechnet in der Stadt mit den prozentual wenigsten
Frauen des Landes (männlich dominierte Ingenieurstudiengänge) käme mit
Keupens Wahl eine Art Verwaltungsmatriarchat zustande: Frauke Burgdorff ist
Planungsdezernentin, Isabel Strehle oberste Verkehrsmanagerin, beide erst
seit kurzem erkennbar tatendurstig im Amt.
Ihren besten Wahlkampfauftritt hatte Sibylle Keupen übrigens in der
Lokalzeitung. Zum Fragenkatalog an alle KandidatInnen gehörte neben der
Frage nach dem „Lieblingsort in Aachen“ auch die nach der Alternative „Hu…
oder Katze“? Keupens tierisch gegenderte Antwort: „Hündin“.
14 Sep 2020
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[1] /Kommunalwahlen-in-Nordrhein-Westfalen/!5713907
## AUTOREN
Bernd Müllender
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