# taz.de -- Haushaltsdebatte im Bundestag: Merkel mal emotional | |
> Es sollte um den Haushalt gehen, doch die Kanzlerin wirbt lieber | |
> eindringlich für die Coronaregeln. Die Opposition wirkt dagegen teils | |
> kraftlos. | |
Bild: Aufrichtig besorgt: Angela Merkel am Mittwoch im Bundestag | |
BERLIN taz | Es war ein eindringlicher Appell. Routiniert war Angela Merkel | |
am Mittwochvormittag zunächst durch das weite Feld der Politik marschiert. | |
Angefangen von der Corona-Pandemie hatte die Kanzlerin in der | |
Generalaussprache im Bundestag zu allem, über das es etwas zu sagen gibt, | |
auch etwas gesagt. Nun kehrte sie zum Ausgangspunkt zurück. Sie könne ihre | |
Rede „jetzt nicht einfach so beschließen“, sagte Merkel. Angesichts | |
steigender Infektionszahlen stünde die Bundesrepublik vor einer schwierigen | |
Phase, warnte sie. „Wir riskieren gerade alles, was wir in den letzten | |
Monaten erreicht haben.“ | |
Wie groß ihre Sorge ist, war der Kanzlerin anzusehen. „Wir erleben zurzeit, | |
wie die Vorsicht nachlässt“, konstatierte sie sichtlich bewegt. „Wir alle | |
wollen das Leben, wie wir es kannten, zurückhaben.“ Auch sie selbst sehne | |
sich nach Nähe, Berührungen und Gemeinsamkeit. „Da geht es mir nicht anders | |
als anderen.“ | |
Aber die sich wieder verschlechternde Situation müsse ernstgenommen werden. | |
„Wir brauchen immer noch Abstand als Ausdruck von Fürsorge“, mahnte sie. | |
Sich jetzt an [1][die Regeln] zu halten, schütze nicht nur Ältere, sondern | |
die offene und freie Gesellschaft als Ganze. „Geben wir alle, als | |
Bürgerinnen und Bürger dieser Gesellschaft, wieder mehr aufeinander acht.“ | |
Eingerahmt wurde der emotionale Auftritt der Kanzlerin wie üblich von den | |
Reden der Vorsitzenden der beiden stärksten Oppositionsfraktionen, also | |
derzeit der AfD und der FDP. Überraschendes hatten Alice Weidel und | |
Christian Lindner nicht zu bieten. | |
## Lindner spart sich die Altherrenwitze | |
Beide klangen so, als hätten sie nur alte Manuskripte aus Vor-Corona-Zeiten | |
notdürftig recycelt. Die AfD-Frontfrau beklagte zum Auftakt, die | |
Bundesregierung klammere sich „stur an ihre ideologiepolitischen Irrtümer: | |
Euro-Rettung, EU-Super-Staat, Einwanderung ohne Grenzen, Energiewende, | |
Autowende, Elektroautoplanwirtschaft“. | |
Ach, es wäre zu schön, wenn bloß stimmen würde, was Weidel alles so | |
behauptete: Innenminister Horst Seehofer sei vom „zeitweiligen Kritiker zum | |
willigen Vollstrecker der Willkommenspolitik der offenen Grenzen geworden“, | |
gab sie etwa zum Besten. Und dem Wirtschaftsminister Peter Altmeier empfahl | |
die neoliberale Rechtsauslegerin, er solle „seine Ludwig-Erhard-Büste in | |
seinem Büro durch eine Karl-Marx-Statue ersetzen“. | |
Christian Lindner kam weniger schrill daher. Aber auch er monierte die | |
geplante Neuverschuldung von 96 Milliarden Euro im Etat für 2021. Die | |
erneute Missachtung der Schuldenbremse habe „mit Nothilfe nichts mehr zu | |
tun“, befand er. Einsparpotential identifizierte der FDP-Chef bei den aus | |
seiner Sicht zu hohen Sozialausgaben. Ebenso wenig überraschend forderte | |
er, was er auch sonst immer fordert: Steuersenkungen. Immerhin sparte | |
Lindner sich diesmal [2][seine Altherrenwitze]. | |
Ansonsten waren sich Lindner und Weidel einig in ihren großen Sorgen um die | |
deutsche Autoindustrie. So attackierten beide wortreich und scharf den | |
bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder. Der hatte sich auf dem | |
virtuellen CSU-Parteitag am vergangenen Wochenende dafür ausgesprochen, ab | |
2035 in Deutschland keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr zuzulassen. | |
## Mützenich dreht auf | |
Es sei „ganz interessant“, dass der meistgenannte Politiker in der Debatte | |
Markus Söder sei, „obwohl der gar nicht im deutschen Bundestag ist“, | |
retournierte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. „Die Krise darf | |
nicht zur Ausrede genutzt werden, Klimaziele jetzt in Frage zu stellen“, | |
sprang er seinem Vorsitzenden bei. Das hatte schon beinahe den Sound eines | |
Fridays-for-Future-Aktivisten – wenn denn Dobrindt nicht zuvor eine | |
Kaufprämie für Verbrenner gefordert hätte. | |
Es ist der letzte Haushalt, den die amtierende schwarz-rote Bundesregierung | |
ins Parlament eingebracht hat. Die Generaldebatte am Mittwoch war denn auch | |
bereits geprägt von dem Blick auf die kommende Bundestagswahl in knapp | |
einem Jahr. „Dieser Haushalt ist ein Wahlkampfhaushalt“, bemängelte | |
Linksfraktionschef Dietmar Bartsch. | |
Die Regierung bliebe bewusst die Antwort darauf schuldig, wer dafür die | |
Rechnung zu bezahlen habe. „Nicht einmal jetzt in der allergrößten Krise | |
trauen Sie sich, die Superreichen in unserem Land mal an den Kosten zu | |
beteiligen“, kritisierte Bartsch. Stattdessen drohe nach der Wahl ein | |
„Kürzungshammer“ auf Kosten des Sozialstaats. | |
Mit solch unerfreulichen Aussichten beschäftigte sich Rolf Mützenich in | |
seiner Rede lieber nicht. Der SPD-Fraktionsvorsitzende scheint sich schon | |
voll im Wahlkampfmodus zu befinden. Mit gehörigem Pathos blies er | |
Finanzminister Olaf Scholz zum sozialdemokratischen Hoffnungsträger auf: | |
„Mit seiner großen Erfahrung, Konzentration und dem Willen für | |
Gerechtigkeit kann er unser Land durch die tiefen Umbrüche der kommenden | |
Jahre führen“, schwärmte Mützenich. „Olaf Scholz ist der richtige Kanzler | |
für Deutschland.“ Das war schon verdammt dick aufgetragen. | |
Es war der grüne Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter, der zurückfand zu | |
einem passenderen Ton – und zur richtigen Prioritätensetzung. Wie Merkel | |
appellierte er nachdrücklich, die Corona-Schutzmaßnahmen einzuhalten. Bis | |
jetzt sei Deutschland „ziemlich glimpflich“ durch die Pandemie gekommen. | |
Aber die Gefahr sei groß, dass das nicht so bleibe. Er könne verstehen, | |
dass die Menschen feiern wollten. Noch eine Zeitlang auf Partys zu | |
verzichten sei aber zu verkraften. Es sei jedoch „sehr schwer damit zu | |
leben, wenn wieder die Schulen geschlossen werden müssten“. Die Menschen | |
müssten sich deshalb verantwortungsvoll und solidarisch verhalten. | |
30 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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